Das epische Moment: Leporello Arie


Fragt man, welches Moment in der Oper das am meisten epische sei, so ist die Antwort leicht und unzweifelhaft. Es ist Leporellos zweite Arie, der Vortrag des »kurzen Registers«. Schon im vorhergehenden ist hervorgehoben, welche absolute Bedeutung die Musik habe, dass diese gerade dadurch, dass sie uns Don Juan mit allen Variationen seiner Stimmung hören läßt, eine Wirkung hervorrufe, wie das Wort oder die Replik dazu nicht im stande ist. Hier ist es wichtig, die Situation und das Musikalische derselben zu betonen. Sehen wir uns auf dem Schauplatze um, so besteht das szenische Ensemble aus Leporello, Elvira und dem treuen Diener. Der ungetreue Liebhaber ist dagegen nicht am Platze; wie Leporello treffend sagt - »er ist fort«. Und doch erwähne ich hier seine Person und führe ihn mit hinein in die Situation. Bei näherer Erwägung wird man dies völlig in der Ordnung finden und hier ein Beispiel sehen, wie genau und nach dem Wortlaute es verstanden werden muß, dass Don Juan in der Oper allgegenwärtig sei. Stärker kann dies kaum bezeichnet werden, als so: selbst wenn er fort ist, sei er dennoch zugegen. In welchem Sinne, davon später. Wir fassen zuvor die drei auf der Bühne befindlichen Personen ins Auge. Elvira ist es, durch welche die Situation zustandekommt; aber durch ihre Gegenwart wird die Situation, nämlich das Aufrollen des Registers, auch zu einer peinlichen. Ist doch überhaupt der mit Elviras Liebe getriebene Spott beinahe ein grausamer. So im zweiten Akte, wo sie in dem entscheidenden Augenblicke, als Ottavio endlich Mut gefaßt und den Degen gezogen, um ihn Don Juan in die Brust zu stoßen, sich dazwischen stürzt und nun entdeckt, dass es nicht Don Juan sei, sondern Leporello! Ein Unterschied, den Mozart durch einen gewissen ächzenden Klageton angedeutet hat. Und was kann schmerzlicher für sie sein, als anzuhören, dass in Spanien 1003 auf die Liste der Opfer gesetzt sind? Ja, im deutschen Texte, welcher sich bekanntlich durch seine Geschmacklosigkeit auszeichnet, wird ihr vor den Kopf gesagt, dass sie eins der Opfer sei. - Für Elvira gibt hier Leporello eine epische Übersicht über das Leben seines Herrn; und was man nicht leugnen kann, es ist ganz in der Ordnung, dass Leporello die Rolle des Vortragenden, Elvira die der Zuhörerin hat. Beide sind ja in hohem Grade dabei interessiert. Sowie man daher in der ersten Arie beständig Don Juan hört, so hier an einzelnen Stellen Elvira, welche sichtbar auf der Bühne zugegen ist, als ein Zeuge in-star omnium, nicht wegen eines persönlichen Vorzuges, sondern weit die Methode wesentlich dieselbe bleibt und so eine für alle gelten darf. Wäre Leporello als dramatischer Charakter und als reflektierende Persönlichkeit anzusehen, so ließe sich schwerlich ein solcher Monolog denken; aber darum eben, weil er eine musikalische Figur ist, welche gänzlich in Don Juan aufgeht, daher kommt dieser Arie eine so große Bedeutung zu. Sie gibt eine Reproduktion des ganzen Lebens Don Juans. Leporello ist der epische Erzähler, welcher sich in gewissen Akkorden gleich anfangs ankündigt. Ein solcher darf zwar nicht kalt oder gleichgültig sein gegen den Inhalt seiner Erzählung; jedoch muß er eine objektive Haltung ihm gegenüber bewahren. Dies ist bei Leporello nicht der Fall. Er wird von dem Leben, das er schildert, ganz hingerissen; er vergißt sich selbst über Don Juan. Wiederum ein erläuterndes Beispiel zu dem Satze, dass Don Juan überall durchtönt. Die Situation beruht also nicht sowohl auf Leporellos und Elviras Unterhaltung über Don Juan, als vielmehr auf der Stimmung, die das Ganze trägt, auf Don Juans unsichtbarer, geistiger Gegenwart. Die Übergänge in dieser Arie näher zu entwickeln, wie sie ruhig und weniger bewegt anhebt, aber je mehr und mehr Don Juans Leben und Treiben in ihr wiedertönt, wie Leporello immer völliger davon hingenommen wird und sich von diesen erotischen Schwingungen gleichsam wiegen läßt, wie dieselben in verschiedener Weise nüanciert werden, in dem Maße wie die Differenzen weiblicher Art und Weise, die für Don Juan zugänglich waren, in der Arie zu Gehör kommen - dafür fehlt hier der Raum.


 © textlog.de 2004 • 13.10.2024 06:18:03 •
Seite zuletzt aktualisiert: 22.01.2006 
bibliothek
text
  Home  Impressum  Copyright