Don Juan und die übrigen Personen


Es wäre wohl der Mühe wert, alle Situationen der Reihe nach durchzugehen, nicht um sie mit Ausrufungszeichen zu begleiten, sondern um bei jeder einzelnen ihre Bedeutung, ihren Wert als musikalische Situation zu zeigen, jedoch liegt das außerhalb der Grenzen gegenwärtiger, kleiner Untersuchung. Hier kam's vor allen Dingen darauf an, Don Juans Zentralität für die ganze Oper hervorzuheben. Ähnliches wiederholt sich hinsichtlich der einzelnen Situationen.

Jene erwähnte Zentralität Don Juans werde ich etwas näher beleuchten, indem ich die übrigen Personen des Stückes im Verhältnis zu ihm in Betracht ziehe. Wie in einem Sonnensysteme die dunklen Körper, welche ihr Licht von der Zentralsonne erhalten, beständig nur zur Hälfte hell sind, leuchtend auf der zur Sonne hingewandten Seite, gerade so ist's mit den Personen dieses Stückes: nur ihr Lebensmoment, die dem Don Juan zugekehrte Seite ist erleuchtet; übrigens sind sie dunkel und undurchsichtig. Man nehme dies nicht in dem eingeschränkten Sinne, als stelle jede dieser Personen die eine oder andere Leidenschaft dar, als wäre z.B. Anna der pure Haß, Zerline der Leichtsinn. Solche Geschmacklosigkeiten gehören am wenigsten hierher. Die Leidenschaft des Einzelnen ist konkret, aber in sich selbst konkret; das übrige der Persönlichkeit ist von dieser Leidenschaft verschlungen. Das ist nun völlig in der Ordnung, weil wir es eben mit einer Oper zu tun haben. Jene Dunkelheit, jene teils sympathische, teils antipathische, geheimnisvolle Kommunikation mit Don Juan macht sie sämtlich musikalisch, und bewirkt, dass die ganze Oper in Don Juan zusammenklingt. Die einzige Figur im Stücke, welche eine Ausnahme zu machen scheint, ist natürlich der Kommodore. Aber darum ist es auch so weislich eingerichtet, dass er gewissermaßen außerhalb des Stückes steht, oder es begrenzt. Je mehr der Kommodore hervorgehoben und ins Stück hineingezogen würde, desto mehr würde die Oper aufhören, absolut musikalisch zu sein. Daher ist er beständig im Hintergrunde gehalten und so nebelhaft wie möglich. Der Kommodore ist der kraftvolle Vordersatz und der schroffe Schlußsatz, zwischen welchen beiden Don Juans Zwischensatz in der Mitte liegt; aber der reiche Inhalt dieses Zwischensatzes ist der Gehalt der Oper. Nur zweimal tritt der Kommodore auf. Das erste Mal ist es Nacht. Die Sache geht im Hintergrunde der Bühne vor sich; man kann ihn nicht sehen; man hört ihn fallen von dem Degen Don Juans. Schon hier offenbart sich sein Ernst, um so ergreifender bei dem paradoxierenden Spotte Don Juans, was Mozart vortrefflich in der Musik ausgedrückt hat. Schon hier ist sein Ernst ein zu tiefer, als dass er einem Menschen angehören konnte. Der Alte ist Geist, ehe er stirbt. Das zweite Mal erscheint er als Geist; und die Donnerstimme des Himmels erdröhnt in seiner ernsten, feierlichen Stimme. Sowie er aber persönlich verklärt ist, so ist seine Stimme umgewandelt: er redet nicht mehr, er richtet.

Die nächst Don Juan wichtigste Person des Stückes ist Leporello. Sein Verhältnis zum Herrn wird erst durch die Musik wahrhaft verständlich; ohne dieses bleibt es unverständlich. Ist Don Juan eine reflektierte Persönlichkeit, so wird Leporello beinahe ein noch größerer Schurke, als er ist; und man begreift nicht, wie Don Juan über ihn so viele Gewalt ausüben kann. Das einzige Motiv, das übrig bliebe, wäre, dass dieser ihn besser als alle andern bezahlen konnte, ein Motiv, von dem sogar Molière keinen Gebrauch machen wollte, welcher Don Juan in Geldnot geraten läßt. Erblicken wir dagegen in ihm beständig, was er wirklich ist: unmittelbares Leben, dann begreift man leicht, dass er einen entscheidenden Einfluß auf Leporello üben kann, dass er denselben sich assimiliert, ja fast zu seinem Organe macht. In gewissem Sinne ist Leporello eher zu einem persönlichen Bewußtsein angelegt, als Don Juan; um es aber so weit zu bringen, müßte er sich über sein Verhältnis zu letzterem klar werden; dies vermag er nicht, er vermag den Zauber nicht zu lösen. Auch in Leporellos Verhältnis zu Don Juan ist etwas Erotisches, eine Macht, mit welcher er ihn sogar wider seinen Willen gefangen hält. Aber unter aller dieser Zweideutigkeit bleibt er musikalisch, und beständig hören wir Don Juan aus ihm widerklingen. Hiervon später ein Beispiel, zum Beweise, dass dieses mehr als eine Phrase ist.

Den Kommodore ausgenommen, stehen alle Personen in einer Art erotischen Verhältnisses zu Don Juan. Über jenen, welcher in persönlichem Bewußtsein steht, kann er keine Macht ausüben; die übrigen stehen unter seiner Herrschaft. Elvira liebt ihn; dadurch ist sie in seiner Gewalt. Zerline fürchtet ihn; dadurch ist sie in seiner Gewalt. Ottavio und Mazetto gehen der Verschwägerung zuliebe mit: denn die Bande des Blutes sind zarter Art.


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