Don Juan nach Mozart, Oper
Die Idee des Faust ist bekanntlich Gegenstand einer Reihe verschiedener Auffassungen geworden, was dagegen mit der des Don Juan keineswegs der Fall war. Dies könnte auffallend scheinen, zumal letztere Idee in der Entwickelung des individuellen Lebens einen weit universelleren Abschnitt bildet, als die zuerst genannte. Indessen läßt es sich eben daraus erklären, dass das Faustische Streben eine geistige Reife voraussetzt, bei der jedenfalls eine mehr oder minder eigentümliche Auffassung bei weitem näher liegt. Hierzu kommt der Umstand, dass man schon früher die Schwierigkeit empfunden haben mag, für die Sage vom Don Juan (soweit eine solche überhaupt existierte) das rechte Medium zu finden, bis Mozart das Medium und zugleich die Idee entdeckte. Seitdem hat die Idee erst ihre wahre Würdigung gefunden, und wiederum in ungewöhnlichem Umfange, hier und dort, in Nord und Süd, einen gewissen Zeitraum individuellen Lebens ausgefüllt, aber auch so befriedigend ausgefüllt, dass der so natürliche Drang, das in der Phantasie Erlebte dichterisch darzustellen, dennoch nicht zu einer poetischen Notwendigkeit ward. Und auch das kann als indirekter Beweis gelten für den absolut klassischen Wert dieser Oper Mozarts. Das in dieser Richtung liegende Ideale hatte schon einen künstlerischen Ausdruck gefunden, der in solchem Grade vollendet war, dass er wohl versuchend wirken konnte (und dies mag mehr als eine Seele an sich selbst verspürt haben), aber nicht gerade zu dichterischer Produktivität versuchend. Die tiefsten, von der Idee berührten Naturen, sie fanden in jeder, auch der zartesten, von Mozart musikalisch ausgedrückten Regung, sie fanden in der grandiosen Leidenschaft dieser Musik einen volltönigen Ausdruck für das, was ihr eignes Innere bewegte; sie wurden inne, wie ihre ganze Stimmung dieser Musik zustrebte und in sie aufzugehen verlangte, sowie das Flüßchen eilt, sich in die Unendlichkeit des Meeres zu verlieren. Solche Naturen fanden in dem Mozartschen Don Juan ebensoviel Text, als Kommentar; und während sie sich auf diesen Tonwellen wiegen und Schaukeln ließen, genossen sie der Freude, sich selbst zu verlieren und gewannen zugleich den inneren Reichtum, den alle echte Bewunderung mit sich führt. In keiner Hinsicht war die Mozartsche Musik ihnen zu eng; im Gegenteil erweiterten sich ihre eignen Stimmungen, steigerten sich zu überschwenglicher Höhe, während man dieselben in Mozart wiederfand. Gemeinere Naturen, nichts Überschwenglisches ahnend, die darum, weit sie einer Bauerndirne oder einer Kellnerin die Wange kniffen, sich als Don Juans fühlten, sie verstanden natürlich weder die Idee, noch Mozart; oder wenn sie gar einen Don Juan zu dichten sich vermaßen, ward eine lächerliche Karikatur, in welcher höchstens einige sentimentale Fräulein einen wahren Don Juan, den Inbegriff aller Liebenswürdigkeit, erblickten. In diesem niedrigen Sinne hat der Faust noch niemals einen Ausdruck gefunden, und kann ihn, wie vorher bemerkt, niemals finden, darum nicht, weil die Idee eine weit konkretere ist. Eine Auffassung des Faust kann den Namen der vollkommenen verdienen; und dennoch wird eine spätere Generation einen neuen Faust hervorbringen, während Don Juan, wegen des abstrakten Charakters der Idee, durch alle Zeiten hindurch lebt; und nach Mozart einen Don Juan liefern, heißt immerdar, eine Ilias post Homerum dichten, ja in noch weit tieferem Sinne, als dieses von Homer gilt.
Dessenungeachtet kann eine einzelne begabte Natur sich auch darin versucht haben, Don Juan von einer andern Seite aufzufassen. Daß dem also ist, weiß jeder; aber vielleicht hat nicht jeder darauf geachtet, dass der Typus für alle andern Auffassungen wesentlich Mozarts Don Juan ist. Dieser Typus ist ja eigentlich älter, als der Mozartsche, zugleich von komischer Färbung, und verhält sich zu demselben, wie etwa eines der Märchen des Musäus sich zu der Tieckschen Bearbeitung verhält. Insofern könnte ich mich begnügen, nur den Molièreschen Don Juan zu besprechen, und indem ich ästhetisch ihn zu würdigen suche, indirekt zugleich den andern Auffassungen ihre Stelle anzuweisen, jedoch will ich eine Ausnahme machen mit dem Don Juan des dänischen Dichters J. L. Heiberg (gest. 1860). Auf dem Titel erklärt er selbst, dass die Dichtung »zum Teil nach Molière« verfaßt sei. Dies ist zwar richtig; aber Heibergs Drama hat doch einen großen Vorzug vor demjenigen Molières. Dieser Vorzug beruht nun zwar auf dem sichern, ästhetischen Blicke, mit dem Heiberg seine Aufgabe jedesmal auffaßt, dem Geschmacke, mit dem er zu distinguieren weiß; aber unmöglich ist es doch nicht, dass in unserm Falle Heiberg indirekt Mozart auf sich einwirken ließ, so dass er nämlich einsah, wie Don Juan alsdann aufzufassen sei, wenn man nicht die Musik als den eigentlichen und einzigen Ausdruck für ihn gelten läßt, oder ihn unter ganz andre ästhetische Kategorien stellen will. Auch sein begabter Landsmann, J. C. Hauch (gest. 1872) hat einen Don Juan gedichtet, welcher in die Rubrik des Interessanten zu stellen sein dürfte. Wenn ich also jetzt dazu übergehe, die andersartigen Bearbeitungen unsres Stoffes zu besprechen, so bedarf es kaum der Erinnerung, dass es in gegenwärtiger kleiner Untersuchung nicht um ihrer selbst willen geschieht. Sondern nur zu dem Zwecke, vollständiger, als es im vorhergehenden möglich war, die Bedeutung der musikalischen Auffassung zu beleuchten.