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Sollen

Sollen. Es gibt ein bedingtes und unbedingtes (sittliches) Sollen. „Man soll dieses oder jenes tun und das andere lassen; dies ist die Formel, unter welcher eine jede Verbindlichkeit ausgesprochen wird. Nun drückt jedes Sollen eine Notwendigkeit der Handlung aus und ist einer zwiefachen Bedeutung fähig. Ich soll nämlich entweder etwas tun (als ein Mittel), wenn ich etwas anderes (als einen Zweck) will; oder ich soll unmittelbar etwas anderes (als einen Zweck) tun und wirklich machen. Das erstere könnte man die Notwendigkeit der Mittel (necessitatem problematicam), das zweite die Notwendigkeit der Zwecke (necessitatem legalem) nennen. Die erstere Art der Notwendigkeit zeigt gar keine Verbindlichkeit an, sondern nur die Vorschrift als die Auflösung in einem Problem, welche Mittel diejenigen sind, deren ich mich bedienen müsse, wie ich einen gewissen Zweck erreichen will“, Nat. Theol. 4. Btr. § 2 (V 1, 143 ff.).

In Ansehung der sittlichen Gesetze ist Erfahrung „die Mutter des Scheins“, und es ist „höchst verwerflich, die Gesetze über das, was ich tun soll, von demjenigen herzunehmen oder dadurch einschränken zu wollen, was getan wird“, KrV tr. Dial. 1. B. 1. Abs. (I 332 —Rc 400). Daß die Vernunft eine eigene Kausalität (s. d.) habe, ist aus den Imperativen (s. d.) klar, welche wir in allem Praktischen den ausübenden Kräften als Regeln aufgeben. „Das Sollen drückt eine Art von Notwendigkeit und Verknüpfung mit Gründen aus, die in der ganzen Natur sonst nicht vorkommt. Der Verstand kann von dieser nur erkennen, was da ist, oder gewesen ist, oder sein wird. Es ist unmöglich, daß etwas darin anderes sein soll, als es in allen diesen Zeit Verhältnissen in der Tat ist; ja das Sollen, wenn man bloß den Lauf der Natur vor Augen hat, hat ganz und gar keine Bedeutung. Wir können gar nicht fragen, was in der Natur geschehen soll.“ „Dieses Sollen nun drückt eine mögliche Handlung aus, davon der Grund nichts anderes als ein bloßer Begriff ist, dahingegen von einer bloßen Naturhandlung der Grund jederzeit eine Erscheinung sein muß.“ Die Naturbedingungen, welche eine gesollte Handlung möglich machen, betreffen nicht die Willensbestimmung selbst, nur die Wirkung derselben in der Erscheinung. Sinnliche Anreize können nicht das Sollen hervorbringen, sondern nur ein bedingtes Wollen, „dem dagegen das Sollen, das die Vernunft ausspricht, Maß und Ziel, ja Verbot und Ansehen entgegensetzt“. Die Vernunft gibt hier nicht dem empirisch gegebenen Grunde nach, sondern sie „macht sich mit völliger Spontaneität eine eigene Ordnung nach Ideen, in die sie die empirischen Bedingungen hineinpaßt und nach denen sie sogar Handlungen für notwendig erklärt, die doch nicht geschehen sind und vielleicht nicht geschehen werden“, ibid. tr. Dial. 2. B. 2. H. 9. Abs. Erläuterung der kosmologischen Idee... (I 479 f.—Rc 614 ff.).

„Alle Imperative werden durch ein Sollen ausgedrückt und zeigen dadurch das Verhältnis eines objektiven Gesetzes der Vernunft zu einem Willen an, der seiner subjektiven Beschaffenheit nach dadurch nicht notwendig bestimmt wird (eine Nötigung). Sie sagen, daß etwas zu tun oder zu unterlassen gut sein würde, allein sie sagen es einem Willen, der nicht immer darum etwas tut, weil ihm vorgestellt wird, daß es zu tun gut sei“, GMS 2. Abs. (III 34). Das Sollen ist „eigentlich ein Wollen, das unter der Bedingung für jedes vernünftige Wesen gilt, wenn die Vernunft bei ihm ohne Hindernisse praktisch wäre“, ibid. 3. Abs. Von d. Interesse, ... (III 77). Das „kategorische Sollen“ ist ein synthetischer Satz a priori. Das moralische Sollen ist des Menschen „eigenes notwendiges Wollen als Gliedes einer intelligiblen Welt und wird nur sofern von ihm als Sollen gedacht, als er sich zugleich wie ein Glied der Sinnenwelt betrachtet“, ibid. (III 83 f.). Es rührt nur von der „subjektiven Beschaffenheit unseres praktischen Vermögens“ her, „daß die moralischen Gesetze als Gebote (und die ihnen gemäßen Handlungen als Pflichten) vorgestellt werden müssen, und die Vernunft diese Notwendigkeit nicht durch ein Sein (Geschehen), sondern Sein-Sollen ausdrückt; welches nicht stattfinden würde, wenn die Vernunft ohne Sinnlichkeit ... ihrer Kausalität nach, mithin als Ursache in einer intelligibelen, mit dem moralischen Gesetze durchgängig übereinstimmenden Welt betrachtet würde, wo zwischen Sollen und Tun ... kein Unterschied sein würde“, KU § 76 Anmerk. (II 269).

„Die Moral ist schon an sich selbst eine Praxis in objektiver Bedeutung, als Inbegriff von unbedingt gebietenden Gesetzen, nach denen wir handeln sollen, und es ist offenbare Ungereimtheit, nachdem man diesem Pflichtbegriff seine Autorität zugestanden hat, noch sagen zu wollen, daß man es doch nicht könne. Denn alsdann fällt dieser Begriff von selbst weg (ultra posse nemo obligatur)“, Z. ew. Fried. Anh. I (VI 151); vgl. Können.

„Alles, was geschieht, d. i. was man genötigt ist, vor der Erfahrung als geschehen zu erkennen, hat einen Grund. Was man aber will, daß es geschehen soll, hat weiter keinen Grund. Denn ein jedes Objekt, welches durch die Willkür bestimmt wird, hat weiter keinen Grund, warum es so und nicht anders gedacht wird, als diese Willkür“, N 3984. Vgl. Pflicht, Imperativ, Können, Geschmacksurteil („ästhetisches Sollen“).