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Materie

Materie. Die Materie ist die Substanz (s. d.) im Raume, die beharrende Einheit, auf die das Denken den Inhalt der äußeren Wahrnehmung bezieht. Die Materie ist kein Ding an sich, sondern gehört zur Erscheinung desselben; materiell sind die Dinge nur in bezug auf mögliche äußere Erfahrung, als Gegenstände derselben. Für die Erfahrung aber ist die Materie ein notwendiger, allgemeingültiger Begriff, eine Bedingung äußerer Erfahrung, die ohne Voraussetzung eines beharrenden Trägers der veränderlichen Zustände der Dinge nicht möglich ist. Der Grundsatz, daß im Wechsel des Geschehens sich die Materie erhält, ist daher ein apriorisches Prinzip (das aber seine nähere Bestimmung — betreffs der besonderen Beschaffenheit dessen, was im Raum beharrt — an der Hand der Erfahrung erhält). Die Einheit der Erfahrung erfordert ein Einheitliches, Festes, Beharrliches (s. d.) als Grundlage der Veränderung. Die Materie ist physikalisch als den Raum durch abstoßende Kräfte (Repulsion) Erfüllendes zu denken, das in Konflikt steht mit einer ursprünglichen Anziehungskraft. Alle Stoffe sind Modifikationen des Äthers (s. d.).

Die „Grundmaterie“ (der „Urstoff“), „deren Eigenschaften und Kräfte allen Veränderungen zum Grunde liegen“, ist „eine unmittelbare Folge des göttlichen Daseins“. Aus ihr gehen in der Zeit unermeßliche Welten (s. d.) nach mechanischen Gesetzen hervor, Th. des Himmels 2. T. 7. H. (VII 119). Die Materie hat in ihrem einfachsten Zustande „eine Bestrebung, sich durch eine natürliche Entwicklung zu einer vollkommeneren Verfassung zu bilden“. Die Gattungen des „Grundstoffes“ sind „unendlich verschieden“. Die dichteren Partikeln, welche auch die größere Anziehungskraft haben, sammeln vermittelst der Anziehung rund um sich die weniger dichten, weniger schweren Teilchen, ibid. 1. H. (VII 60 ff.), Ursprünglich war die Materie in einer „allgemeinen Zerstreuung“, sie stellte ein „Chaos“ dar, ibid. Vorr. (VII 12 f.); vgl. Weltkörper. Zu den Grundsätzen der „Übereinstimmung“ mit dem freien und bequemen Gebrauch des Verstandes gehört der Satz, „daß von der Materie überhaupt nichts entstehe oder untergehe, und daß aller Wechsel in der Welt nur die Form betreffe“. „Dieses Postulat hat sich, da der gemeine Verstand es empfahl, durch alle Philosophenschulen verbreitet, nicht weil man es als durch Erfahrung ausgemacht oder durch Gründe a priori bewiesen erachtet hätte, sondern weil, wenn man die Materie selbst als vergänglich und vorübergehend zugibt, nichts Festes und Beharrliches mehr übrig bleibt, was zur Erklärung der Erscheinungen nach allgemeinen und immerwährenden Gesetzen und somit dem Gebrauch des Verstandes weiter dienen könnte“, Mund, sens. § 30 (V 2, 131 f.). Alle Materie „widersteht in dem Raume ihrer Gegenwart und heißt darum undurchdringlich. Daß dieses geschehe, lehrt die Erfahrung, und die Abstraktion von dieser Erfahrung bringt in uns auch den allgemeinen Begriff der Materie hervor. Dieser Widerstand aber, den etwas in dem Raume seiner Gegenwart leistet, ist auf solche Weise wohl erkannt, aber darum nicht begriffen... Denn nur durch die Erfahrung kann man inne werden, daß Dinge der Welt, welche wir materiell nennen, eine solche Kraft haben, niemals aber die Möglichkeit derselben begreifen“, Träume 1. T. 1. H. (V 2, 9).

Die Materie („Substanz, die im Raum erscheint“) ist ein „Inbegriff von lauter Relationen“. Wir kennen sie nur durch „Kräfte“, die im Raume wirksam sind (Anziehungs- und Abstoßungskraft oder Undurchdringlichkeit), KrV tr. Anal. Anh. Von d. Amphibolie (I 294—Rc 358 f.). Die Materie ist „substantia phaenomenon“. „Was ihr innerlich zukomme, suche ich in allen Teilen des Raumes, den sie einnimmt, und in allen Wirkungen, die sie ausübt, und die freilich nur immer Erscheinungen äußerer Sinne sein können.“ Das absolut „Innerliche“ der Materie ist „eine bloße Grille“, das Ding an sich aber, das der Materie zugrunde liegt, ist ein bloßes Etwas, von dem wir nichts begreifen können, ibid. Anmerk. z. Amphibolie (I 302 f.—Rc 368 f.); vgl. Inneres, Körper. Die Materie selbst besteht aus lauter Verhältnissen; aber es sind darunter „selbständige und beharrliche, dadurch uns ein bestimmter Gegenstand gegeben wird“, ibid. (I 308—Rc 374). Der Satz, „daß in allen Veränderungen der körperlichen Welt die Quantität der Materie unverändert bleibe“, ist ein „synthetisches Urteil a priori“. „Denn in dem Begriffe der Materie denke ich mir nicht die Beharrlichkeit, sondern bloß ihre Gegenwart im Raume durch die Erfüllung desselben. Also gehe ich wirklich über den Begriff von der Materie hinaus, um etwas a priori zu ihm hinzuzudenken, was ich in ihm nicht dachte“, KrV Einl. V (I 62—Rc 71 f.). Körper sind bloße Erscheinungen, nicht Dinge an sich. Als körperlich, materiell stellt sich das Ding an sich (bzw. das transzendentale Objekt) nur in der Affektion unserer äußeren Sinne, in den Vorstellungen dieser, dar. Das der Materie zugrunde liegende Etwas ist an sich nicht ausgedehnt usw., nur in „Beziehung auf äußere Sinne“ hat es solche Prädikate. Das „Intelligible“, welches der Materie zugrunde liegt, ist unerkennbar (vgl. Identitätstheorie). Die Materie ist (als solche) „nur eine Art Vorstellungen in uns“, KrV 1. A. 2. B. 1. H. 2. Paralogismus (I 736 ff.—Rc 436 ff.). Die Materie ist „eine bloße Form, oder eine gewisse Vorstellungsart eines unbekannten Gegenstandes, durch diejenige Anschauung, welche man den äußeren Sinn nennt“. „Es mag also wohl etwas außer uns sein, dem diese Erscheinung, welche wir Materie nennen, korrespondiert; aber in derselben Qualität als Erscheinung ist es nicht außer uns, sondern lediglich als ein Gedanke in uns, wiewohl dieser Gedanke durch genannten Sinn es als außer uns befindlich vorstellt. ..Materie bedeutet also nicht eine von dem Gegenstande des inneren Sinnes (Seele) so ganz unterschiedene und heterogene Art von Substanzen, sondern nur die Ungleichartigkeit der Erscheinungen von Gegenständen (die uns an sich selbst unbekannt sind), deren Vorstellungen wir äußere nennen, in Vergleichung mit denen, die wir zum inneren Sinne zählen...“ (vgl. Außer uns). Wenn ich das denkende Subjekt wegnehme, so muß die „ganze Körperwelt wegfallen“, die nur „Erscheinung in der Sinnlichkeit unseres Subjekts und eine Art Vorstellungen desselben“ ist, ibid. 1. H. Betrachtung über die Summe.. (I 753 ff.—Rc 471 ff.); vgl. Seele, Bewegung.

Die Metaphysik der Natur muß den Begriff der Materie a priori nach seinen wesentlichen Merkmalen bestimmen und ihn apriori zur Anwendung auf äußere Erfahrung tauglich machen (mittelst der Begriffe der Bewegung, Raumerfüllung, Trägheit usw.). Der Begriff der Materie muß hierbei durch alle vier Arten der Kategorien durchgeführt werden. „Die Grundbestimmung eines Etwas, das ein Gegenstand äußerer Sinne sein soll, mußte Bewegung sein; denn dadurch allein können diese Sinne affiziert werden. Auf diese führt auch der Verstand alle übrige Prädikate der Materie, die zu ihrer Natur gehören, zurück, und so ist die Naturwissenschaft durchgängig entweder reine oder angewandte Bewegungslehre“, Anfangsgr. d. Naturw. Vorr. (VII 196 ff.); vgl. Bewegungslehre. Phoronomisch ist die Materie „das Bewegliche im Raume“ (als ein Punkt im relativen oder absoluten Raume gedacht), ibid. 1. H. Erklär. 1 (VII 204 f.). Dynamisch ist die Materie „das Bewegliche sofern es einen Raum erfüllt“. „Einen Raum erfüllen, heißt allem Beweglichen widerstehen, das durch seine Bewegung in einen gewissen Raum einzudringen bestrebt ist. Ein Raum, der nicht erfüllt ist, ist ein leerer Raum“, ibid. 2. H. Erklär. 1 (VII 227). Die Raumerfüllung ist der „nach allen Seiten gerichtete Widerstand der Materie“, ibid. Anmerk. (VII 228). „Die Materie erfüllt einen Raum, nicht durch ihre bloße Existenz, sondern durch eine besondere bewegende Kraft“, ibid. Lehrs. 1 (VII 228 f.). „Die Materie erfüllt ihre Räume durch repulsive Kräfte aller ihrer Teile, d. i. durch eine ihr eigene Ausdehnungskraft, die einen bestimmten Grad hat, über den kleinere oder größere ins Unendliche können gedacht werden“, ibid. Lehrs. 2 (VII 231). „Die expansive Kraft einer Materie nennt man auch Elastizität. Da nun jene der Grund ist, worauf die Erfüllung des Raumes, als eine wesentliche Eigenschaft aller Materie, beruht, so muß diese Elastizität ursprünglich heißen; weil sie von keiner anderen Eigenschaft der Materie abgeleitet werden kann. Alle Materie ist demnach ursprünglich elastisch“, ibid. Zusatz 1 (VII 232). Diese „expansive Kraft“ macht den (dynamischen) Begriff der Materie aus, ibid. Lehrs. 3. Anmerk. (VII 234). „Eine Materie durchdringt in ihrer Bewegung eine andere, wenn sie durch Zusammendrückung den Raum ihrer Ausdehnung völlig aufhebt“, ibid. Erklär. 3 (VII 232). „Die Materie kann ins Unendliche zusammengedrückt, aber niemals von einer Materie, wie groß auch die drückende Kraft derselben sei, durchdrungen werden“, ibid. Lehrs. 3 (VII 233). Die Erfüllung des Raumes ist nur „relative Undurchdringlichkeit“, ibid. Erklär. 4 Anmerk. 1 (VII 235); die Materie ist durch ihre Ausdehnungskraft undurchdringlich, ibid. Lehrs. 4 Beweis (VII 236). „Materielle Substanz ist dasjenige im Raum, was für sich, d. i. abgesondert von allem anderen, was außer ihm im Raume existiert, beweglich ist“, Erklär. 5 (VII 235). Die Materie ist „ins Unendliche teilbar“, die Teile (s. d.) sind wieder Materie, ibid. Lehrs. 4 (VII 236). Die Grundkräfte, welche die Materie konstituieren, sind die Anziehungs- und Zurückstoßungskraft, ibid. Lehrs. 5 ff. (VII 243 ff.). Durch ihre repulsive Kraft allein würde die Materie „innerhalb keiner Grenzen der Ausdehnung gehalten sein, d. i. sich ins Unendliche zerstreuen“. Alle Räume würden dann leer, mithin eigentlich gar keine Materie da sein, ibid. Lehrs. 5 Beweis (VII 244). Ohne repulsive Kräfte würden die materiellen Teile einander sich so nähern, daß sie in einen mathematischen Punkt zusammenfließen; dann würde der Raum ebenfalls leer, ohne Materie sein, ibid. Lehrs. 6 (VII 246 f.). „Da alle gegebene Materie mit einem bestimmten Grade der repulsiven Kraft ihren Raum erfüllen muß, um ein bestimmtes materielles Ding auszumachen, so kann nur eine ursprüngliche Anziehung im Konflikt mit der ursprünglichen Zurückstoßung einen bestimmten Grad der Erfüllung des Raumes, mithin Materie möglich machen“, ibid. Lehrs. 8 Zusatz 2 (VII 256). Der „Grad der Erfüllung eines Raumes von bestimmtem Inhalt“ heißt „Dichtigkeit“. Eine „Materie zwischen bestimmten Grenzen“; die also eine Figur hat, ist ein „Körper“, ibid. 2. H. Allg. Anmerk. zur Dynamik (VII 267 f.). Die Elastizität der Materie ist „expansive“ oder (abgeleitete) „attraktive“ Elastizität, ibid. (VII 273). Die spezifischen Unterschiede der Dichte der Materie lassen sich, ohne Annahme leerer Räume, auf Grund des verschiedenen Grades der repulsiven Kräfte, durch welche die Materie den Raum erfüllt, denken (VII 279 f.). Mechanisch ist die Materie „das Bewegliche, sofern es, aIs ein solches, bewegende Kraft hat“. Alle mechanischen Gesetze setzen die dynamischen voraus, nur vermittelst ihrer Zurückstoßung und Anziehung kann die Materie bewegende Kraft haben, ibid. 3. H. Erklär. 1 u. Anmerk. (VII 282 f.). Die „Quantität der Materie“ ist „die Menge des Beweglichen in einem bestimmten Raum“. Sofern alle ihre Teile in ihrer Bewegung als zugleich wirkend betrachtet werden, heißt sie die „Masse“, und eine Masse von bestimmter Gestalt ist ein „Körper“, ibid. Erklär. (VII 283). Die Quantität der Materie kann nur durch die Quantität der Bewegung bei gegebener Geschwindigkeit geschätzt werden, ibid. Lehrs. 1 (VII 284 f.). — Das erste Gesetz der Mechanik ist: „Bei allen Veränderungen der körperlichen Natur bleibt die Quantität der Materie im Ganzen dieselbe unvermehrt und unvermindert“, ibid. Lehrs. 2 (VII 289). Vorausgesetzt ist hier aus der „allgemeinen Metaphysik“ der Satz, daß bei allen Veränderungen der Natur keine Substanz (s. d.) entsteht oder vergeht. „In jeder Materie ist das Bewegliche im Raume das letzte Subjekt aller der Materie inhärierenden Akzidenzen, und die Menge dieses Beweglichen außerhalb einander die Quantität der Substanz. Also ist die Größe der Materie, der Substanz nach, nichts anderes als die Menge der Substanzen, daraus sie besteht. Es kann also die Quantität der Materie nicht vermehrt oder vermindert werden als dadurch, daß neue Substanz derselben entsteht oder vergeht. Nun entsteht und vergeht bei allem Wechsel der Materie die Substanz niemals; also wird auch die Quantität der Materie dadurch weder vermehrt noch vermindert, sondern bleibt immer dieselbe, und zwar im Ganzen...“, ibid. Beweis (VII 289 f.). Phänomenologisch ist die Materie „das Bewegliche, sofern es, als ein solches, ein Gegenstand der Erfahrung sein kann“, ibid. 4. H. Erklär. (VII 305). Die Masse der Materie ist ein „verdichteter Äther“. Alle Materien bestehen aus Äther, N 44; vgl. Altpreuß. Mth. XIX 81 ff., 596 ff.; XX 99 ff., 344 ff., 416 ff.; 514 ff., XXI 81 ff.; Vorles. über Metaph., S. 60 f., 104 f. Vgl. Körper, Masse, Äther, Weltkörper.