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ix

„Als volle, wahre Herrin tritt Erhobnen Hauptes in mein Haus!“

Ganz niedergeschmettert, tödlich blamiert, in schmählicher Verwirrung stand ich vor ihr, und ich glaube, ich lächelte, während ich mich aus allen Kräften bemühte, die Schöße meines defekten wattierten Schlafrockes übereinanderzuschlagen, — also genau so, wie ich mir das unlängst in meiner Mutlosigkeit vorgestellt hatte. Apollon ging, nachdem er noch ein paar Minuten bei uns gestanden hatte, hinaus; aber es wurde mir dadurch nicht leichter ums Herz. Das Schlimmste war, daß auch sie auf einmal verlegen wurde, und zwar in einem Grade, wie ich es gar nicht erwartet hatte. Was sie verlegen machte, war selbstverständlich mein Anblick.

„Setz dich!“ sagte ich mechanisch und schob ihr einen Stuhl an den Tisch; ich selbst aber setzte mich auf das Sofa. Gehorsam setzte sie sich sogleich hin, sah mich mit großen Augen an und erwartete offenbar sogleich etwas von mir. Eben diese naive Erwartung war es, die mich wütend machte; aber ich beherrschte mich.

„Gerade unter diesen Umständen“, dachte ich, „müßte sie sich doch Mühe geben, nichts zu bemerken, als ob alles in Ordnung wäre; aber sie …“ Und ich hatte unklar das Gefühl, daß sie mir für all das werde schwer büßen müssen. „Du hast mich in einer sonderbaren Situation getroffen, Lisa“, begann ich stockend; ich wußte recht wohl, daß ich gerade so nicht hätte anfangen sollen.

„Nein, nein, denke nur nicht etwas Falsches!“ rief ich, da ich sah, daß sie auf einmal errötete; „ich schäme mich meiner Armut nicht … Im Gegenteil, ich bin stolz darauf. Ich bin arm, aber von edler Denkweise … Man kann arm sein und doch eine edle Denkweise haben“, murmelte ich. „Aber … möchtest du Tee?“

„Nein …“ fing sie an.

„Warte einen Augenblick!“

Ich sprang auf und lief zu Apollon. Ich mußte unbedingt von Lisa irgendwohin weglaufen.

„Apollon“, flüsterte ich in fieberhafter Hast und warf die sieben Rubel, die ich die ganze Zeit über in der geschlossenen Hand behalten hatte, vor ihm auf den Tisch; „da ist dein Lohn; siehst du, ich gebe ihn dir; aber zum Dank dafür mußt du mich retten: hole mir unverzüglich aus einem Restaurant Tee und zehn Zwiebacke. Wenn du nicht gehen willst, so machst du einen Menschen unglücklich! Du weißt nicht, was das für eine Frauensperson ist … Mehr sage ich nicht! Du denkst vielleicht irgend etwas … Aber du weißt nicht, was das für ein Wesen ist! …“

Apollon, der sich bereits wieder an seine Arbeit gemacht und die Brille aufgesetzt hatte, schielte zuerst, ohne die Nadel hinzulegen, schweigend nach dem Gelde hin; dann fuhr er, ohne mir irgendwelche Aufmerksamkeit zuzuwenden und ohne mir etwas zu antworten, fort, sich mit dem Faden zu beschäftigen, den er immer noch nicht eingefädelt hatte. Ich wartete ungefähr drei Minuten, indem ich, die Arme à la Napoléon über der Brust verschränkt, vor ihm stand. Meine Schläfen waren feucht von Schweiß; ich selbst war blaß, das fühlte ich. Aber Gott sei Dank, er empfand gewiß bei meinem Anblick Mitleid. Nachdem er mit seinem Faden zurechtgekommen war, stand er langsam von seinem Platze auf, schob langsam den Stuhl zurück, nahm langsam die Brille ab, zählte langsam das Geld durch und fragte mich endlich über die Schulter weg: „Soll ich eine ganze Portion Tee holen?“ und ging langsam hinaus. Während ich zu Lisa zurückging, kam mir unterwegs der Gedanke in den Sinn: „Soll ich nicht so, wie ich bin, im Schlafrock, davonlaufen, wohin es sich gerade trifft? Mag dann werden, was da will!“

Ich setzte mich wieder hin. Sie sah mich beunruhigt an. Einige Minuten lang schwiegen wir beide.

„Ich werde ihn töten!“ rief ich plötzlich und schlug mit der Faust so heftig auf den Tisch, daß die Tinte aus dem Tintenfasse herausspritzte.

„Ach, was haben Sie nur!“ rief sie erschrocken.

„Ich werde ihn töten, ich werde ihn töten!“ kreischte ich, auf den Tisch schlagend; ich war ganz rasend und begriff gleichzeitig durchaus, wie dumm es war, so zu rasen.

„Du weißt nicht, Lisa, was dieser Henkersknecht für mich zu bedeuten hat. Er ist mein Folterer … Er ist jetzt gegangen, um Zwieback zu holen; er …“

Und auf einmal brach ich in Tränen aus. Das war ein Anfall. Ich schämte mich furchtbar, während ich so schluchzte; aber ich konnte mich nicht mehr beherrschen.

Sie bekam einen großen Schreck.

„Was ist Ihnen? Was ist Ihnen nur?“ rief sie und bemühte sich um mich.

„Wasser, gib mir Wasser; dort ist welches!“ murmelte ich mit schwacher Stimme; ich war mir übrigens dabei im stillen bewußt, daß ich sehr wohl ohne Wasser zurechtkommen konnte und nicht mit so schwacher Stimme zu murmeln brauchte. Aber ich stellte mich, wie man das nennt, so an, um den Anstand zu wahren, wiewohl der Anfall selbst echt war.

Sie reichte mir Wasser und sah mich ganz verstört an. In diesem Augenblicke brachte Apollon den Tee. Es schien mir auf einmal, daß dieser gewöhnliche, prosaische Tee nach alledem, was geschehen war, etwas schrecklich Unanständiges und Elendes sei, und ich errötete. Lisa blickte den Henkersknecht Apollon ordentlich ängstlich an. Er ging hinaus, ohne uns anzusehen.

„Lisa, du verachtest mich wohl?“ fragte ich; ich hielt meinen Blick unverwandt auf sie gerichtet und zitterte vor Ungeduld zu erfahren, was sie dächte.

Sie war verlegen und wußte nicht, was sie antworten sollte. „Trink den Tee!“ sagte ich ärgerlich. Ich ärgerte mich über mich selbst; aber selbstverständlich mußte sie es entgelten. Ein furchtbarer Grimm gegen sie wallte plötzlich in meinem Herzen auf; ich glaube, ich hätte sie ohne weiteres töten können. Um mich an ihr zu rächen, nahm ich mir in Gedanken fest vor, die ganze Zeit über mit ihr kein Wort zu sprechen. „Sie ist an allem schuld“, dachte ich.

Unser Schweigen dauerte schon fünf Minuten. Der Tee stand auf dem Tische; aber wir langten ihm nicht zu: ich war so ergrimmt, daß ich absichtlich nicht anfangen wollte zu trinken, um ihr ihre Lage dadurch noch peinlicher zu machen; sie selbst konnte anständigerweise nicht wohl den Anfang machen. Mehrere Male blickte sie mich verwundert und traurig an. Ich schwieg hartnäckig. Der Hauptmärtyrer war allerdings ich selbst, weil ich mir der ganzen ekelhaften Gemeinheit meiner boshaften Dummheit vollkommen bewußt war und mich gleichzeitig schlechterdings nicht überwinden konnte.

„Ich will … von dort … ganz und gar weggehen“, begann sie, um das Schweigen irgendwie zu unterbrechen. Aber die Ärmste: gerade davon hätte sie in einem ohnehin schon so dummen Augenblicke zu einem ohnehin schon so dummen Menschen, wie ich, nicht anfangen dürfen zu reden. Das Herz tat mir sogar weh vor Mitleid mit ihrer Ungeschicklichkeit und unzeitigen Offenheit. Aber eine häßliche Regung erstickte in mir auf der Stelle das ganze Mitleid und reizte mich sogar noch mehr auf; mochte alles in der Welt zugrunde gehen! Es vergingen noch fünf Minuten.

„Habe ich Sie auch nicht gestört?“ begann sie schüchtern, kaum hörbar, und erhob sich vom Stuhle.

Aber sowie ich diese erste Äußerung beleidigter Würde wahrnahm, fing ich an zu zittern vor Bosheit und brach sofort los.

„Warum bist du zu mir gekommen? Das sage mir doch, bitte!“ fing ich, nur mühsam atmend, an. Ich hielt in meinen Worten nicht einmal die logische Ordnung inne; ich wollte alles mit einemmal aussprechen, in einem einzigen Ergusse; ich kümmerte mich nicht einmal darum, womit ich anfing.

„Warum bist du gekommen? Antworte! Antworte!“ schrie ich; ich wußte kaum von mir selbst. „Ich werde dir sagen, meine Beste, warum du gekommen bist. Du bist gekommen, weil ich damals mitleidige Worte zu dir gesagt habe. Na, und nun bist du in eine gerührte Stimmung hineingeraten und hast Lust bekommen, wieder mitleidige Worte zu hören. So wisse denn, wisse, daß ich mich damals über dich lustig gemacht habe. Und auch jetzt mache ich mich über dich lustig. Warum zitterst du? Ja, ich habe mich über dich lustig gemacht! Ich war vorher beleidigt worden, bei einem Diner, von eben jenen Herren, die damals vor mir zu euch kamen. Ich kam zu euch in der Absicht, einen von ihnen durchzuprügeln, den Offizier; aber das gelang mir nicht, da ich ihn nicht mehr antraf. Da mußte ich meinen Ingrimm über die erlittene Kränkung an irgend jemandem auslassen, jemandem meine Überlegenheit zu fühlen geben; du kamst mir in den Wurf, und da goß ich denn meine Bosheit über dich aus und machte mich über dich lustig. Man hatte mich gedemütigt; so wollte ich auch einen andern Menschen demütigen; man hatte mich unwürdig behandelt; so wollte auch ich meine Macht zeigen … So lag die Sache; du aber hast am Ende gedacht, ich wäre damals absichtlich hingekommen, um dich zu retten, ja? Hast du das gedacht? Hast du das gedacht?“

Ich wußte, daß sie vielleicht konfus werden und die Einzelheiten nicht verstehen werde; aber ich wußte auch, daß sie den Kern der Sache vorzüglich begreifen werde. Und so war es denn auch. Sie wurde blaß wie Leinwand, wollte etwas sagen, und ihre Lippen verzogen sich schmerzlich; aber wie wenn jemand sie mit einem Beile erschlagen hätte, sank sie auf den Stuhl nieder. Und in der folgenden Zeit, während ich sprach, hörte sie mir mit offenem Munde, mit weit geöffneten Augen und zitternd vor schrecklicher Angst zu. Der rohe Zynismus, der rohe Zynismus meiner Worte schlug sie zu Boden …

„Um dich zu retten!“ fuhr ich fort, sprang vom Stuhle auf und lief vor ihr im Zimmer hin und her; „wovon denn? Aber ich selbst bin ja vielleicht schlechter als du. Warum hast du mir denn damals, als ich dir so erbauliche Reden hielt, nicht die Frage ins Gesicht geschleudert: ‚Aber du selbst, warum bist du zu uns gekommen? Um uns Moral zu predigen?‘ Nach Macht, nach Macht verlangte mich damals; es verlangte mich danach, mein Spiel zu treiben, dich zum Weinen zu bringen, dich zu demütigen, hysterische Krämpfe bei dir hervorzurufen — das war es, wonach mich damals verlangte! Allerdings blieb ich damals selbst nicht fest, weil ich eben ein Waschlappen bin; ich bekam Angst und gab dir aus Dummheit, weiß der Teufel wozu, meine Adresse. Aber dann schimpfte ich dich, noch ehe ich nach Hause gekommen war, wegen dieser Adresse mit den häßlichsten Ausdrücken. Ich haßte dich bereits, weil ich dich damals belogen hatte. Denn ich kann nur mit Worten spielen und Hirngespinste bilden; aber weißt du wohl, was ich in Wirklichkeit möchte: daß ihr alle in die Erde versänket, das möchte ich! Ich will meine Ruhe haben. Wenn ich dadurch erreichen kann, daß man mich nicht in meiner Ruhe stört, so verkaufe ich die ganze Welt sofort für eine Kopeke. Soll die Welt untergehen, oder soll ich auf meinen Tee verzichten? Ich sage: die Welt möge untergehen, wenn ich nur immer meinen Tee trinken kann. Hast du das gewußt oder nicht? Na, aber ich weiß, daß ich ein schändlicher, gemeiner Mensch, ein Egoist, ein Faulpelz bin. Siehst du, ich habe diese drei Tage über vor Furcht gezittert, daß du kommen würdest. Und weißt du, was mich diese drei Tage über besonders beunruhigt hat? Das war der Umstand, daß ich mich dir damals als einen solchen Helden präsentiert hatte und du mich nun hier auf einmal in meinem zerrissenen Schlafrock als garstigen Bettler erblicken würdest. Ich habe vorhin zu dir gesagt, ich schämte mich meiner Armut nicht; so wisse denn, daß ich mich ihrer hoch schäme, mich ihrer über alles schäme, vor ihr einen größeren Abscheu habe als vor allem andern, einen größeren als vor dem Begehen eines Diebstahls; denn ich bin in meiner Eitelkeit so empfindlich, als ob man mir die Haut abgezogen hätte und mir schon die bloße Luft Schmerz verursachte. Hast du es denn wirklich auch jetzt noch nicht begriffen, daß ich es dir nie verzeihen werde, daß du mich in diesem Schlafrocke angetroffen hast, in dem Augenblicke, als ich wie ein ergrimmtes Hündchen auf Apollon losging? Der Erlöser, der ehemalige Held stürzt wie ein räudiger, zottiger kleiner Köter auf seinen Diener los, und der lacht ihn aus! Und die Tränen von vorhin, die ich wie ein beschämtes altes Weib vor dir nicht zurückhalten konnte, die werde ich dir niemals verzeihen! Und das, was ich dir jetzt bekenne, werde ich dir ebenfalls niemals verzeihen! Ja, du, du allein bist für das alles verantwortlich, weil du mir so in den Wurf gekommen bist, und weil ich ein gemeiner Mensch, weil ich der garstigste, lächerlichste, kleinlichste, dümmste aller Erdenwürmer bin, die ganz und gar nicht besser sind als ich, die aber, weiß der Teufel woher, niemals verlegen werden; ich aber werde mein ganzes Leben lang von jedem Lump Nasenstüber bekommen; das ist nun eben ein Charakterzug an mir! Und was geht es mich an, daß du davon nichts begreifst? Und was, ja was in aller Welt gehst du selbst mich an, und ob du dort zugrunde gehst oder nicht? Und begreifst du wohl, wie ich jetzt, nachdem ich mich so dir gegenüber ausgesprochen habe, dich dafür hassen werde, daß du hier gewesen bist und es angehört hast? Der Mensch spricht sich ja nur ein einziges Mal im Leben so aus, und auch das nur in einem Anfall von Hysterie! … Was willst du nun noch? Warum sitzt du nun noch nach alledem vor mir und peinigst mich und gehst nicht fort?“

Aber da begab sich auf einmal etwas Sonderbares.

Ich war dermaßen daran gewöhnt, mir alles auf Grund meines Bücherwissens in Gedanken zurechtzulegen und mir alles in der Welt so vorzustellen, wie ich selbst es mir schon vorher in meinen phantastischen Träumereien ausgedacht hatte, daß ich diesen sonderbaren Vorgang damals nicht einmal sofort begriff. Was sich aber begab, war dies: Lisa, die nun von mir beleidigte und gedemütigte Lisa, verstand alles weit besser, als ich angenommen hatte. Sie verstand von alledem namentlich das, was ein Weib immer vor allem versteht, wenn es wahrhaft liebt, nämlich daß ich selbst unglücklich war.

Das Gefühl der Angst und des Schmerzes über die erlittene Kränkung, das sich auf ihrem Gesichte ausgeprägt hatte, war zuerst von einem trauernden Erstaunen abgelöst worden. Als ich aber anfing, mich einen schändlichen, gemeinen Menschen zu nennen, und mir die Tränen zu fließen begannen (ich brachte diese ganze Tirade unter Tränen heraus), da verzerrte sich ihr ganzes Gesicht wie von einem Krampfe. Sie wollte aufstehen und mir Einhalt tun; als ich aber schloß, da kümmerte sie sich nicht um meine heftigen Fragen: ‚Warum bist du hier, warum gehst du nicht fort?‘, sondern beachtete nur das eine, daß es mir offenbar selbst eine große Pein war, das alles auszusprechen. Aber sie war so verschüchtert, die Ärmste; sie meinte, unendlich weit unter mir zu stehen; wie hätte sie böse werden, sich beleidigt fühlen können? Sie sprang auf einmal in einem unwiderstehlichen Impuls vom Stuhle auf; aber obwohl sie mit ihrem ganzen Wesen zu mir hinstrebte, war sie doch noch so zaghaft, daß sie nicht wagte, sich vom Platze zu rühren, und nur die Arme nach mir ausstreckte … Da drehte sich auch mir das Herz in der Brust herum. Dann stürzte sie plötzlich zu mir hin, umschlang meinen Hals mit ihren Armen und brach in Tränen aus. Ich konnte mich ebenfalls nicht beherrschen und schluchzte so, wie es noch nie bei mir vorgekommen war …

„Man läßt mich nicht … Ich kann nicht … ich kann kein guter Mensch sein!“ stieß ich mühsam hervor; dann ging ich zum Sofa, ließ mich mit dem Gesicht nach unten darauf niederfallen und schluchzte eine Viertelstunde lang in einem echten hysterischen Anfall. Sie warf sich zu mir hin, umarmte mich und verharrte wie erstarrt in dieser Haltung.

Aber die Sache war die, daß dieser Anfall doch einmal wieder aufhören mußte. Und siehe da (ich schreibe ja die ekelhafte Wahrheit nieder), während ich da so vornüber auf dem Sofa lag und das Gesicht fest auf mein schäbiges Lederkissen preßte, da begann ich allmählich, ganz von weitem, unwillkürlich, aber unwiderstehlich zu fühlen, daß es mir unbehaglich sein werde, den Kopf aufzuheben und Lisa gerade in die Augen zu sehen. Worüber schämte ich mich? Ich weiß es nicht; aber schämen tat ich mich. Es kam mir auch in meinen aufgeregten Kopf der Gedanke, daß sie jetzt die Heldin sei und ich ein genau ebenso erniedrigtes, niedergedrücktes Geschöpf, wie sie es mir gegenüber in jener Nacht, vor vier Tagen, gewesen war … Und alle diese Gedanken kamen mir noch zu der Zeit, wo ich mit dem Gesicht auf dem Sofa lag!

O Gott, ob ich sie damals wirklich beneidet habe?

Ich weiß es nicht; selbst heutigentages kann ich diese Frage nicht beantworten; damals aber war ich natürlich noch weniger imstande, es zu begreifen, als jetzt. Ohne jemand zu beherrschen und zu tyrannisieren kann ich eben nicht leben … Aber … aber mit Reflexionen läßt sich ja nichts erklären, und daher hat es auch keinen Zweck zu reflektieren. Ich überwand mich jedoch und hob den Kopf in die Höhe; ich mußte ihn ja doch einmal aufheben … Und da bin ich noch heutigentages davon überzeugt, daß gerade, weil ich mich schämte, sie anzusehen, in meinem Herzen damals plötzlich ein anderes Gefühl entbrannte und aufflammte: die Begierde, zu herrschen und zu besitzen. Meine Augen blitzten vor Leidenschaft, und ich drückte ihr kräftig die Hände. Wie haßte ich sie in diesem Augenblicke, und wie zog es mich gleichzeitig zu ihr hin! Das eine Gefühl überwältigte das andere. Das hatte beinahe mit Rache Ähnlichkeit! Auf ihrem Gesichte malte sich anfangs eine Art von verständnisloser Verwunderung, ja von Furcht, aber nur einen Augenblick lang. Voller Entzücken umarmte sie mich leidenschaftlich.