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K

[Traumstadt und Traumhaus, Zukunftsträume, anthropologischer Nihilismus, Jung]

»Mein guter Vater war in Paris gewesen.«

Karl Gutzkow: Briefe aus Paris Lpz 1842 I p 58

»Bibliothèque où les livres se sont fondus les uns dans les autres et où les titres se sont effacés.«

Docteur Pierre Mabille: Préface à l’Eloge des préjugés populaires (Minotaure II Hiver 1935 No 6 〈p 2〉)

»Le Panthéon élevant sa coupole sombre vers la sombre coupole du ciel.«

Ponson du Terrail: Les drames de Paris I, 9

Das Erwachen als ein stufenweiser Prozeß, der im Leben des Einzelnen wie der Generationen sich durchsetzt. Schlaf deren Primärstadium. Die Jugenderfahrung einer Generation hat viel gemein mit der Traumerfahrung. Ihre geschichtliche Gestalt ist Traumgestalt. Jede Epoche hat diese Träumen zugewandte Seite, die Kinderseite. Für das vorige Jahrhundert tritt sie in den Passagen sehr deutlich heraus. Während aber die Erziehung früherer Generationen in der Tradition, der religiösen Unterweisung ihnen diese Träume gedeutet hat, läuft heutige Erziehung einfach auf die Zerstreuung der Kinder hinaus. Proust konnte als ein beispielloses Phänomen nur in einer Generation auftreten, die alle leiblichnatürlichen Behelfe des Eingedenkens verloren hatte und, ärmer als frühere, sich selbst überlassen war, daher nur isoliert, verstreut und pathologisch der Kinderwelten habhaft werden konnte. Was hier im folgenden gegeben wird, ist ein Versuch zur Technik des Erwachens. Ein Versuch, der dialektischen, der kopernikanischen Wendung des Eingedenkens inne zu werden. [K 1, 1]

Die kopernikanische Wendung in der geschichtlichen Anschauung ist diese: man hielt für den fixen Punkt das »Gewesene« und sah die Gegenwart bemüht, an dieses Feste die Erkenntnis tastend heranzuführen. Nun soll sich dieses Verhältnis umkehren und das Gewesene zum dialektischen Umschlag, zum Einfall des erwachten Bewußtseins werden. Die Politik erhält den Primat über die Geschichte. Die Fakten werden etwas, was uns soeben erst zustieß, sie festzustellen ist die Sache der Erinnerung. Und in der Tat ist Erwachen der exemplarische Fall des Erin⁠〈n〉⁠erns: der Fall, in welchem es uns glückt, des Nächsten, Banalsten, Naheliegendsten uns zu erinnern. Was Proust mit dem experimentierenden Umstellen der Möbel im morgendlichen Halbschlummer meint, Bloch als das Dunkel des gelebten Augenblicks erkennt, ist nichts anderes als was hier in der Ebene des Geschichtlichen, und kollektiv, gesichert werden soll. Es gibt Noch-nicht-bewußtes-Wissen vom Gewesenen, dessen Förderung die Struktur des Erwachens hat. [K 1, 2]

Es gibt eine völlig einzigartige Erfahrung der Dialektik. Die zwingende, die drastische Erfahrung, die alles »allgemach« des Werdens widerlegt und alle scheinbare »Entwicklung« als eminent durchkomponierten dialektischen Umschlag erweist, ist das Erwachen aus dem Traume. Für den dialektischen Schematismus, der diesem Vorgang zu Grunde liegt, haben die Chinesen in ihrer Märchen- und Novellen-Literatur oft einen höchst prägnanten Ausdruck gefunden. Die neue dialektische Methode der Historik präsentiert sich als die Kunst, die Gegenwart als Wachwelt zu erfahren, auf die sich jener Traum, den wir Gewesenes nennen, in Wahrheit bezieht. Gewesenes in der Traumerinnerung durchzumachen! – Also: Erinnerung und Erwachen sind aufs engste verwandt. Erwachen ist nämlich die dialektische, kopernikanische Wendung des Eingedenkens. [K 1, 3]

Das XIX Jahrhundert ein Zeitraum (ein Zeit-traum), in dem das Individualbewußtsein sich reflektierend immer mehr erhält, wogegen das Kollektivbewußtsein in immer tieferem Schlafe versinkt. Wie nun der Schläfer aber – darin dem Irren gleich – durch seinen Leib die makrokosmische Reise antritt und die Geräusche und Gefühle des eignen Innern, die dem Gesunden, Wachen sich zur Brandung der Gesundheit zusammenfügen, Blutdruck, Bewegungen der Eingeweide, Herzschlag und Muskelempfinden in seinen unerhört geschärften innern Sinnen Wahn oder Traumbild, die sie übersetzen und erklären, zeugen, so geht es auch dem träumenden Kollektivum, das in Passagen in sein Inneres sich vertieft. Ihm müssen wir darin nachgehen, um das XIX Jahrhundert in Mode und Reklame, Bauten und Politik als die Folge seiner Traumgesichte zu deuten. [K 1, 4]

Es ist eine der stillschweigenden Voraussetzungen der Psychoanalyse, daß der konträre Gegensatz von Schlaf und Wachen für die empirische Bewußtseinsform des Menschen keine Geltung hat, vielmehr einer unendlichen Varietät konkreter Bewußtseinszustände weicht, die durch alle denkbaren Gradstufen des Erwachtseins aller möglichen Zentren bedingt sind. Der Zustand des von Schlaf und Wachen vielfach gemusterten, gewürfelten Bewußtseins ist nur vom Individuum auf das Kollektiv zu übertragen. Ihm ist natürlich sehr vieles innerlich, was dem Individuum äußerlich ist, Architekturen, Moden, ja selbst das Wetter sind im Innern des Kollektivums was Organempfindungen, Gefühl der Krankheit oder der Gesundheit im Innern des Individuums sind. Und sie sind, solange sie in der unbewußten, ungeformten Traumgestalt verharren genau so gut Naturvorgänge, wie der Verdauungsprozeß, die Atmung etc. Sie stehen im Kreislauf des ewig Selbigen, bis das Kollektivum sich ihrer in der Politik bemächtigt und Geschichte aus ihnen wird. [K 1, 5]

»Qui habitera la maison paternelle? Qui priera dans l’église où il a été baptisé? Qui connaîtra encore la chambre où il entendit un premier cri, où il reçut un dernier soupir? Qui pourra poser son front sur l’appui d’une fenêtre où jeune il aura fait ces rêves éveillés qui sont la grâce de l’aurore dans le joug long et sombre de la vie? O racines de joie arrachées de l’âme humaine!« Louis Veuillot: Les odeurs de Paris Paris 1914 p 11 [K 1 a, 1]

Die Tatsache, daß wir in dieser Zeit Kinder gewesen sind, gehört mit in ihr objektives Bild hinein. Sie mußte so sein, um diese Generation aus sich zu entlassen. Das heißt: im Traumzusammenhange suchen wir ein teleologisches Moment. Dieses Moment ist das Warten. Der Traum wartet heimlich auf das Erwachen, der Schlafende übergibt sich dem Tod nur auf Widerruf, wartet auf die Sekunde, in der er mit List sich seinen Fängen entwindet. So auch das träumende Kollektiv, dem seine Kinder der glückliche Anlaß zum eignen Erwachen werden. ◼ Methode ◼ [K 1 a, 2]

Aufgabe der Kindheit: die neue Welt in den Symbolraum einzubringen. Das Kind kann ja, was der Erwachsene durchaus nicht vermag, das Neue wiedererkennen. Uns haben, weil wir sie in der Kindheit vorfanden, die Lokomotiven schon Symbolcharakter. Unsern Kindern aber die Automobile, denen wir selber nur die neue, elegante, moderne, kesse Seite abgewinnen. Es gibt keine seichtere, hilflosere Antithese als die reaktionäre Denker wie Klages zwischen dem Symbolraum der Natur und der Technik sich aufzustellen bemühen. Jeder wahrhaft neuen Naturgestalt – und im Grunde ist auch die Technik eine solche, entsprechen neue »Bilder«. Jede Kindheit entdeckt diese neuen Bilder um sie dem Bilderschatz der Menschheit einzuverleiben. ◼ Methode ◼ [K 1 a, 3]

Sehr merkwürdig ist, daß die Konstruktionen, in denen der Fachmann die Vorläufer der heutigen Art zu bauen erkennt, auf den wachen aber architektonisch nicht geschulten Sinn garnicht als Vorläufer sondern besonders altmodisch und verträumt wirken. (Alte Bahnhofshallen, Gasanstalten, Brücken.) [K 1 a, 4]

»Das 19. Jahrhundert: Merkwürdige Durchdringung von individualistischen und kollektivistischen Tendenzen. Wie kaum eine Zeit zuvor beklebt es alle Handlungen »individualistisch (Ich, Nation, Kunst), unterirdisch aber, in verpönten alltäglichen Gebieten, muß es, wie im Taumel, die Elemente für eine kollektive Gestaltung schaffen … Mit diesem Rohstoff müssen wir uns abgeben: Mit grauen Bauten, Markthallen, Warenhäusern, Ausstellungen.« Sigfried Giedion: Bauen in Frankreich Leipzig Berlin p 15 [K 1 a, 5]

Nicht nur, daß die Erscheinungsformen des Traumkollektivs vom 19ten Jahrhundert nicht fortgedacht werden können, nicht nur, daß sie es in viel entschiedenerer Weise als jedes vergangene kennzeichnen – sie sind auch, recht gedeutet, von höchster praktischer Wichtigkeit, lassen uns das Meer erkennen, das wir befahren und das Ufer, von dem wir abstoßen. Die »Kritik« des 19ten Jahrhunderts also, um es mit einem Wort zu sagen, hat hier einzusetzen. Nicht die an seinem Mechanismus und Maschinismus sondern an seinem narkotischen Historismus, seiner Maskensucht, in der doch ein Signal von wahrer historischer Existenz steckt, das die Surrealisten als die ersten aufgefangen haben. Dieses Signal zu dechiffrieren, damit hat der vorliegende Versuch es zu tun. Und die revolutionäre, materialistische Basis des Surrealismus ist eine genügende Bürgschaft dafür, daß in dem Signal der wahren historischen Existenz, von dem hier die Rede ist, das 19te Jahrhundert seine ökonomische Basis zum höchsten Ausdruck gelangen läßt. [K 1 a, 6]

Versuch, von Giedions These aus weiterzukommen. Er sagt: »Die Konstruktion hat im 19ten Jahrhundert die Rolle des Unterbewußtseins.« Setzt man nicht besser ein: die Rolle des körperlichen Vorgangs, um den sich dann die »künstlerischen« Architekturen wie Träume um das Gerüst des physiologischen Vorgangs legen? [K 1 a, 7]

Der Kapitalismus war eine Naturerscheinung, mit der ein neuer Traumschlaf über Europa kam und in ihm eine Reaktivierung der mythischen Kräfte. [K 1 a, 8]

Die ersten Weckreize vertiefen den Schlaf. [K 1 a, 9]

»Seltsam übrigens, daß, wenn wir diese ganze geistige Bewegung überblicken, nur der einzige Scribe sich naher und eingehend mit der Gegenwart beschäftigt. Alle machen sich mehr mit der Vergangenheit zu schaffen, als mit den Mächten und Interessen, welche ihre eigene Zeit in Bewegung setzen … Die Vergangenheit war es auch, die Geschichte der Philosophie, aus der sich die eklektische Lehre ihre Kräfte holte, die Geschichte der Literatur endlich, deren Schätze die Kritik in Villemain aufdeckte, ohne sich auf das eigene literarische Leben des Zeitalters tiefer einzulassen.« Julius Meyer: Geschichte der modernen französischen Malerei Leipzig 1867 p 415/16 [K 2, 1]

Was das Kind (und in der schwachen Erinnerung der Mann) in den alten Kleidfalten findet, in die es, wenn es am Rockschoß der Mutter sich festhielt, sich drängte – das müssen diese Seiten enthalten. ◼ Mode ◼ [K 2, 2]

Man sagt, daß die dialektische Methode darum geht, der jeweiligen konkret-geschichtlichen Situation ihres Gegenstandes gerecht zu werden. Aber das genügt nicht. Denn ebensosehr geht es ihr darum, der konkret-geschichtlichen Situation des Interesses für ihren Gegenstand gerecht zu werden. Und diese letztere Situation liegt immer darin beschlossen, daß es selber sich präformiert in jenem Gegenstande, vor allem aber, daß es jenen Gegenstand in sich selber konkretisiert, aus seinem Sein von damals in die höhere Konkretion des Jetztseins (Wachseins!) aufgerückt fühlt. Wieso dies Jetztsein (das nichts weniger als das Jetztsein der »Jetztzeit« – sondern ein stoßweises, intermittierendes – ist) an sich schon eine höhere Konkrektion bedeutet – diese Frage kann die dialektische Methode freilich nicht innerhalb der Ideologie des Fortschritts sondern nur in einer, an allen Teilen diese überwindenden Geschichtsanschauung erfassen. In ihr wäre von der zunehmenden Verdichtung (Integration) der Wirklichkeit zu sprechen, in der alles Vergangene (zu seiner Zeit) einen höheren Aktualitätsgrad als im Augenblick seines Existierens erhalten kann. Wie es als höhere Aktualität sich ausprägt, das schafft das Bild als das und in dem es verstanden wird. Und diese dialektische Durchdringung und Vergegenwärtigung vergangner Zusammenhänge ist die Probe auf die Wahrheit des gegenwärtigen Handelns. Das heißt: sie bringt den Sprengstoff, der im Gewesnen liegt (und dessen eigentliche Figur die Mode ist) zur Entzündung. So an das Gewesene herangehen, das heißt nicht wie bisher es auf historische sondern auf politische Art, in politischen Kategorien behandeln. ◼ Mode ◼ [K 2, 3]

Das kommende Erwachen steht wie das Holzpferd der Griechen im Troja des Traumes. [K 2, 4]

Zur Lehre vom ideologischen Überbau. Zunächst scheint es als habe Marx hier nur ein Kausalverhältnis zwischen Überbau und Unterbau feststellen wollen. Aber bereits die Bemerkung, daß die Ideologien des Überbaus die Verhältnisse falsch und verzerrt abspiegeln, geht darüber hinaus. Die Frage ist nämlich: wenn der Unterbau gewissermaßen im Denk- und Erfahrungsmaterial den Überbau bestimmt, diese Bestimmung aber nicht die des einfachen Abspiegelns ist, wie ist sie dann – ganz abgesehen von der Frage ihrer Entstehungsursache – zu charakterisieren? Als deren Ausdruck. Der Überbau ist der Ausdruck des Unterbaus. Die ökonomischen Bedingungen, unter denen die Gesellschaft existiert, kommen im Überbau zum Ausdruck; genau wie beim Schläfer ein übervoller Magen im Trauminhalt, obwohl er ihn kausal »bedingen« mag, nicht seine Abspiegelung sondern seinen Ausdruck findet. Das Kollektiv drückt zunächst seine Lebensbedingungen aus. Sie finden im Traum ihren Ausdruck und im Erwachen ihre Deutung. [K 2, 5]

Der Jugendstil – ein erster Versuch, mit der Freiluft sich auseinanderzusetzen. Er findet einen charakteristischen Niederschlag z. B. in den Zeichnungen des »Simplizissimus«, die deutlich zeigen, wie man, um Luft zu bekommen, satirisch werden mußte. Auf andere Weise konnte sich der Jugendstil in der künstlichen Helle und Isolierung entfalten, in welcher die Reklame ihre Gegenstände darstellt. Diese Geburt des plein airs aus dem Geiste des Interieurs ist der sinnliche Ausdruck für die geschichtsphilosophische Situation des Jugendstils: er ist das Träumen, man sei erwacht. ◼ Reklame ◼ [K 2, 6]

Wie die Technik immer wieder die Natur von einer neuen Seite zeigt, so variiert sie auch, indem sie an den Menschen herantritt, immer von neuem seine ursprünglichsten Affekte, Ängste und Sehnsuchtsbilder. Ich will in dieser Arbeit der Urgeschichte ein Stück des neunzehnten Jahrhunderts erobern. Uns wird das urgeschichtlich lockende und drohende Antlitz in den Anfängen der Technik, im Wohnstil des XIX. Jahrhunderts deutlich; in dem, was uns zeitlich näher liegt, hat es für uns sich noch nicht enthüllt. Es ist aber auch in der Technik, ihrer Naturursache halber, intensiver da als in andern Bezirken. Daher wirken alte Photographien gespenstisch: nicht alte Graphik. [K 2 a, 1]

Zu Wiertz’s Gemälde »Pensées et visions d’une tête coupée« und seiner Erklärung. Das erste, was einem an dieser magnetopathischen Experience auffällt, ist die großartige Volte, die das Bewußtsein im Tode schlägt. »Chose singulière! la tête est ici, sous l’échafaud, et elle croit se trouver encore au-dessus, faisant partie du corps et attendant toujours le coup qui doit la séparer du tronc.« A. J. Wiertz: Œuvres littéraires Paris 1870 p 492 Es ist bei Wiertz die gleiche Inspiration, die Bierce die großartige Erzählung vom Rebell, welcher erhängt wird, eingegeben hat. Dieser Rebell erlebt im Augenblicke seines Todes die Flucht, die ihn von seinen Henkern befreit. [K 2 a, 2]

Jede Strömung der Mode oder der Weltanschauung hat ihr Gefälle vom Vergessenen her. Es ist so stark, daß gewöhnlich nur der Verband sich ihm überlassen kann, der einzelne – der Vorläufer – droht unter ihrer Gewalt zusammenzubrechen, wie es Proust geschehen ist. Mit ander⁠〈n〉 Worten: was Proust am Phänomen des Eingedenkens als Individuum erlebte, das haben wir – wenn man so will als Strafe für die Trägheit, die uns hinderte, es auf uns zu nehmen – zu »Strömung«, »Mode«, »Richtung« (aufs neunzehnte Jahrhundert) zu erfahren. [K 2 a, 3]

Mode wie Architektur stehen im Dunkel des gelebten Augenblicks, zählen zum Traumbewußtsein des Kollektivs. Es erwacht – z. B. in der Reklame. [K 2 a, 4]

»Sehr interessant …, wie die Fascisierung der Wissenschaft gerade jene Elemente Freuds ändern mußte, die noch der aufgeklärten, materialistischen Periode des Bürgertums entstammen … Bei Jung … ist das Unbewußte … nicht mehr individuell, also kein erworbener Zustand im einzelnen … Menschen, sondern ein Schatz der rezent werdenden Urmenschheit; es ist ebenso nicht Verdrängung, sondern gelungene Rückkehr.« Ernst Bloch: Erbschaft dieser Zeit Zürich 1935 p 254 [K 2 a, 5]

Historischer Index der Kindheit nach Marx. In seiner Ableitung des normativen Charakters der griechischen Kunst (als der der Kindheit des Menschengeschlechts entsprungnen) sagt Marx: »Chaque époque ne voit-elle pas revivre, dans la nature de l’enfant, son propre caractère sous sa forme vraie et naturelle?« cit bei Max Raphael: Proudhon Marx Picasso Paris 〈1933〉 p 175 [K 2 a, 6]

Mehr als hundert Jahre bevor sie manifest wurde bekundet sich die ungeheure Intensivierung des Lebenstempos im Tempo der Produktion. Und zwar in Gestalt der Maschine. »Die Anzahl von Arbeitsinstrumenten, womit er« (sc. der Mensch) »gleichzeitig wirken kann, ist durch die Anzahl seiner natürlichen Produktionsinstrumente, seiner eignen körperlichen Organe, beschränkt … Die Jenny spinnt dagegen von vorn herein mit 12-18 Spindeln, der Strumpfwirkerstuhl strickt mit viel 1000 Nadeln auf einmal u. s. w. Die Anzahl der Werkzeuge, womit dieselbe Werkzeugmaschine gleichzeitig spielt, ist von vorn herein emancipirt von der organischen Schranke, wodurch das Handwerkszeug eines Arbeiters beengt wird.« Karl Marx: Das Kapital I Hamburg 1922 p 337 Das Tempo der Maschinenarbeit hat Veränderungen im ökonomischen Tempo zur Folge. »En ce pays le point essentiel est de faire une grosse fortune dans le plus bref délai possible. Autrefois celle d’une maison de commerce commencée par le grand’père était à peine achevée par le petit-fils. Les choses ne vont plus de la sorte; on veut jouir sans attendre, sans patienter.« Louis Rainier Lanfranchi: Voyage à Paris ou esquisses des hommes et des choses dans cette capitale Paris 1830 p 110 [K 3, 1]

Auch die Simultaneität, diese Grundlage des neuen Lebensstiles, kommt aus der maschinellen Produktion: »Jede Theilmaschine liefert der zunächst folgenden ihr Rohmaterial, und da sie alle gleichzeitig wirken, befindet sich das Produkt eben so fortwährend auf den verschiednen Stufen seines Bildungsprocesses, wie im Uebergang aus einer Produktionsphase in die andre … Die kombinirte Arbeitsmaschine, jetzt ein gegliedertes System von verschiedenartigen einzelnen Arbeitsmaschinen und von Gruppen derselben, ist um so vollkommner, je kontinuirlicher ihr Gesammtprocess, d. h. mit je weniger Unterbrechung das Rohmaterial von seiner ersten Phase zu seiner letzten übergeht, je mehr also statt der Menschenhand der Mechanismus selbst es von einer Produktionsphase in die andre fordert. Wenn in der Manufaktur die Isolirung der Sonderprocesse ein durch die Theilung der Arbeit selbst gegebnes Princip ist, so herrscht dagegen in der entwickelten Fabrik die Kontinuität der Sonderprocesse.« Karl Marx: Das Kapital Hamburg 1922 I p 344 [K 3, 2]

Der Film: Auswicklung 〈Auswirkung?〉 aller Anschauungsformen, Tempi und Rhythmen, die in den heutigen Maschinen präformiert liegen, dergestalt daß alle Probleme der heutigen Kunst ihre endgültige Formulierung nur im Zusammenhange des Films finden. ◼ Vorläufer ◼ [K 3, 3]

Ein kleines Stück materialistischer Analyse, wertvoller als das meiste, was auf diesem Gebiet existiert: »Nous les aimons ces lourds matériaux que la phrase de Flaubert soulève et laisse retomber avec le bruit intermittent d’un excavateur. Car si, comme on l’a écrit, la lampe nocturne de Flaubert faisait aux mariniers l’effet d’un phare, on peut dire aussi que les phrases lancées par son ›gueuloir‹ avaient le rythme régulier de ces machines qui servent à faire les déblais. Heureux ceux qui sentent ce rythme obsesseur.« Marcel Proust: Chroniques Paris 〈1927〉 p 204 (A propos du »style« de Flaubert) [K 3, 4]

In seinem Kapitel über den Fetischcharakter der Ware hat Marx gezeigt, wie zweideutig die ökonomische Welt des Kapitalismus aussieht – eine Zweideutigkeit, die durch die Intensivierung der Kapitalwirtschaft sehr gesteigert wird – sehr deutlich z. B. an den Maschinen sichtbar, die die Ausbeutung verschärfen statt das menschliche Los zu erleichtern. Hängt nicht hiermit überhaupt die Doppelrandigkeit der Erscheinungen zusammen, mit der wir es im 19ten Jahrhundert zu tun haben? Eine Bedeutung des Rauschs für die Wahrnehmung, der Fiktion für das Denken wie sie vor dem unbekannt waren? »Eins ist in der allgemeinen Umwälzung mituntergegangen, für die Kunst ein großer Verlust: die naive und daher charaktervolle Einstimmung des Lebens und der Erscheinung« heißt es bezeichnenderweise in Julius Meyers: Geschichte der modernen französischen Malerei seit 1789 Lpz 1867 p 31 [K 3, 5]

Zur politischen Bedeutung des Films. Nie wäre der Sozialismus in die Welt getreten, hätte man die Arbeiterschaft nur einfach für eine bessere Ordnung der Dinge begeistern wollen. Daß es Marx verstand, sie für eine zu interessieren, in der sie es besser hätten und ihnen die als die gerechte zeigte machte die Gewalt und die Autorität der Bewegung aus. Mit der Kunst steht es aber genau so. Zu keinem, wenn auch noch so utopischen Zeitpunkte, wird man die Massen für eine höhere Kunst sondern immer nur für eine gewinnen, die ihnen näher ist. Und die Schwierigkeit, die besteht gerade darin, die so zu gestalten, daß man mit dem besten Gewissen behaupten könne, die sei eine höhere. Dies wird nun für fast nichts von dem gelingen, was die Avantgarde des Bürgertums propagiert. Hier besteht ganz zu recht, was Berl behauptet: »La confusion du mot révolution qui, pour un léniniste, signifie la conquête du pouvoir par le prolétariat et qui signifie, par ailleurs, le bouleversement des valeurs spirituelles admises, les surréalistes la soulignent assez par leur désir de montrer Picasso comme un révolutionnaire … Picasso les déçoit … un peintre n’est pas plus révolutionnaire pour avoir ›révolutionné‹ la peinture, qu’un couturier comme Poiret pour avoir ›révolutionné‹ la mode ou qu’un médecin pour avoir ›révolutionné‹ la médecine.« Emmanuel Berl: Premier pamphlet (Europe No 75 1929 p 401) Die Masse verlangt durchaus vom Kunstwerk (das für sie in der Abflucht der Gebrauchsgegenstände liegt) etwas Wärmendes. Hier ist das nächstzuentzündende Feuer der Haß. Seine Hitze aber beißt oder sengt und gibt nicht den »Komfort des Herzens«, der die Kunst zum Gebrauche qualifiziert. Der Kitsch dagegen ist garnichts weiter als Kunst mit hundertprozentigem, absolutem und momentanem Gebrauchscharakter. So stehen aber damit Kitsch und Kunst gerade in den konsekrierten Formen des Ausdrucks einander unvereinbar gegenüber. Für werdende, lebendige Formen dagegen gilt, daß 〈sie〉 in sich etwas erwärmendes, brauchbares, schließlich beglückendes haben, daß sie dialektisch den »Kitsch« in sich aufnehmen, sich selbst damit der Masse nahe bringen und ihn dennoch überwinden können. Dieser Aufgabe ist heute vielleicht allein der Film gewachsen, jedenfalls steht sie ihm am nächsten. Und wer das erkannt hat, wird dazu neigen, den Hochmut des abstrakten Films – so wichtig seine Versuche sein mögen – zu beschränken. Er wird eine Schonzeit, einen Naturschutz für denjenigen Kitsch erbitten, dessen providentieller Ort der Film ist. Der allein kann die Stoffe zur Explosion bringen, die das 19te Jahrhundert in dieser seltsamen, früher vielleicht unbekannten Materie gespeichert hat, die der Kitsch ist. Ähnlich aber wie für die politische Struktur des Films kann die Abstraktion auch für die andern modernsten Ausdrucksmittel (Beleuchtung, Bauweise etc) gefährlich werden. [K 3 a, 1]

Man kann das Formproblem der neuen Kunst geradezu formulieren: Wann und wie werden die Formenwelten, die in der Mechanik, im Film, im Maschinenbau, in der neuen Physik etc. ohne unser Zutun heraufgekommen sind und uns überwältigt haben, das was an ihnen Natur ist, uns deutlich machen? Wann wird der Zustand der Gesellschaft erreicht sein, in dem diese Formen oder die aus ihnen entstandenen sich als Naturformen uns erschließen? Freilich: im dialektischen Wesen der Technik beleuchtet das nur ein Moment. (Welches: ist schwer zu sagen: Antithesis, wenn nicht die Synthesis.) Jedenfalls lebt in ihr auch das andere: die der Natur fremden Zwecke auch mit naturfremden, naturfeindlichen, von der Natur sich emanzipierenden und sie bezwingenden Mittel⁠〈n〉 zu erwirken. [K 3 a, 2]

Über Grandville⁠〈:〉 »Il vivait une vie imaginaire sans limites dans un domaine prodigieux de poésie primaire, entre l’inhabile vision de la rue et les connaissances d’une vie secrète de cartomancienne ou d’astrologue sincèrement tourmentés par la faune la flore et l’humanité des songes … Grandville fut peut-être le premier de tous les dessinateurs à donner à la vie larvaire des songes une forme plastique raisonnable. Mais sous cette apparence pondérée apparaît le flebile nescio quid qui déconcerte et provoque une inquiétude, parfois assez gênante.« Mac-Orlan: Grandville le précurseur (Arts et métiers graphiques 44 15 Dezember 1934 p 20/21) Der Aufsatz präsentiert 〈Grandville〉 als Vorläufer des Surrealismus und zumal des surrealistischen Films (Méliès, Walt Disney) [K 4, 1]

Konfrontation des inconscient viscéral und des inconscient de l’oubli, das erste vorwiegend individual, das zweite vorwiegend kollektiv. »L’autre part de l’inconscient est faite de la masse des choses apprises au courant des âges ou au courant de la vie, qui furent conscientes et qui par diffusion sont entrées dans l’oubli … Vaste fond sous-marin où toutes les cultures, toutes les études, toutes les démarches des esprits et des volontés, toutes les révoltes sociales, toutes les luttes entreprises se trouvent réunies dans une vase informe … Les éléments passionnels des individus se sont retirés, éteints. Ne subsistent que les données tirées du monde extérieur plus ou moins transformées et digérées. C’est de monde extérieur qu’est fait cet inconscient … Né de la vie sociale, cet humus appartient aux sociétés. L’espèce et l’individu comptent peu, les races et le temps en sont seuls repères. Cet énorme travail confectionné dans l’ombre reparaît dans les rêves, les pensées, les décisions, surtout au moment des périodes importantes et des bouleversements sociaux, il est le grand fonds commun, réserve des peuples et des individus. La révolution, la guerre, comme la fièvre le mettent mieux en mouvement … La psychologie individuelle étant dépassée, faisons appel à une sorte d’histoire naturelle des rythmes volcaniques et des cours d’eau souterrains. Rien à la surface du globe qui n’ait été souterrain (eau, terre, feu). Rien dans l’intelligence qui n’ait eu à faire digestion et circuit dans les profondeurs.« Docteur Pierre Mabille: Préface à l’éloge des préjugés populaires (Minotaure (II) 6 Hiver 1935 p 2) [K 4, 2]

»Das Jüngstvergangene stellt allemal sich dar als sei es durch Katastrophen vernichtet worden.« Wiesengrund, brieflich 〈5.6.1935〉 [K 4, 3]

A propos der Jugenderinnerungen von Henry Bordeaux: »Pour tout dire, le dix-neuvième siècle s’écoulait sans paraître du tout annoncer le vingtième.« André Thérive: Les livres (Le Temps 27 juin 1935) [K 4, 4]

»La braise flambe en tes prunelles
Et tu reluis comme un miroir.
As-tu des pieds, as-tu des ailes,
Ma locomotive au flanc noir?
Voyer ondoyer sa crinière,
Entendez son hennissement,
Son galop est un roulement
D’artillerie et de tonnerre.«

Refrain:

»Donne l’avoine à ton cheval!
Sellé, bridé, siffle! et qu’on marche!
Au galop, sur le pont, sous l’arche,
Tranche montagne, plaine et val:
Aucun cheval n’est ton rival.«

Pierre Dupont: Le chauffeur de locomotive Paris (passage du Caire) [K 4 a, 1]

»Vom Thurme Notre Dame herab übersah ich gestern die ungeheuere Stadt; wer hat das erste Haus gebaut, wann wird das letzte Zusammenstürzen und der Boden von Paris aussehen wie der von Theben und Babylon?« Friedrich von Raumer: Briefe aus Paris und Frankreich im Jahre 1830 Lpz 1831 II p 127 [K 4 a, 2]

Zusätze D’Eichthals zu Duveyriers Plan der ville nouvelle. Sie beziehen sich auf den Tempel. Wichtig, daß Duveyrier selbst sagt: »Mon temple est une femme!« Dagegen d’Eichthal: »Je crois qu’il y aura dans le temple, le palais de l’homme et le palais de la femme; l’homme ira passer la nuit chez la femme et la femme viendra travailler pendant le jour chez l’homme. Entre les deux palais, il y aura le temple proprement dit, le lieu de communion de l’homme et de la femme avec toutes les femmes et avec tous les hommes; et là le couple ne se reposera ni ne travaillera seul … Le temple doit représenter un androgyne, un homme et une femme … La même division devra se reproduire pour la ville, pour le royaume, pour la terre tout entière: il y aura l’hémisphère de l’homme et celui de la femme«. Henry-René d’Allemagne: Les Saint-Simoniens 1827-1837 Paris 1930 p 310 [K 4 a, 3]

Le Paris des Saint-Simoniens. Aus dem Entwurf, der von Charles Duveyrier an L’Advocat gesandt wurde, um ins Livre des Cent-et-un aufgenommen zu werden (was wohl nicht geschehen ist): »Nous avons voulu donner la forme humaine à la première ville sous l’inspiration de notre foi.« »Le Dieu bon a dit par la bouche de l’homme qu’il envoie … Paris! c’est sur les bords de ton fleuve et dans ton enceinte que j’imprimerai le cachet de mes nouvelles largesses … Tes rois et tes peuples ont marché avec la lenteur des siècles et ils se sont arrêtés en une place magnifique. C’est là que reposera la tête de ma ville … Les palais de tes rois seront son front … Je conserverai sa barbe de hauts marronniers … Du sommet de cette tête, je balaîrai le vieux temple chrétien … et sur cette place nette je donnerai une chevelure d’arbres … Au dessus de la poitrine de ma ville, au foyer sympathique d’où divergent et où convergent toutes les passions, là où les douleurs et les joies vibrent, je bâtirai mon temple … plexus solaire du colosse … Les buttes du Roule et de Chaillot seront ses flancs; j’y placerai la banque et l’université, les halles et les imprimeries … J’étendrai le bras gauche du colosse sur la rive de la Seine; il sera … à l’opposé … de Passy. Le corps des ingénieurs … en composeront la partie supérieure qui s’étendra vers Vaugirard et je formerai l’avant-bras de la réunion de toutes les écoles spéciales des sciences physiques … Dans l’intervalle … je grouperai tous les lycées que ma ville pressera sur sa mamelle gauche où gît l’Université … J’étendrai le bras droit du colosse en signe de force jusqu’à la gare de Saint-Ouen … Je remplirai ce bras des ateliers de menue industrie, des passages, des galeries, bes bazars … Je formerai la cuisse et la jambe droite de tous les établissements de grosse fabrique. Le pied droit posera à Neuilly. La cuisse gauche offrira aux étrangers de longues files d’hôtels. La jambe gauche portera jusqu’au bois de Boulogne … Ma ville est dans l’attitude d’un homme prêt à marcher; ses pieds sont d’airain, ils s’appuient sur une double route de pierre et de fer. Ici se fabriquent … les chariots de roulage et les appareils de communication; ici les chars luttent de vitesse … Entre les genoux est un manège en ellipse, entre les jambes, un immense hippodrome«. Henry-René d’Allemagne: Les Saint-Simoniens 1827-1837 Paris 1930 p 309/10 Die Idee dieses Entwurfs geht auf Enfantin zurück, der sich anhand anatomischer Tafeln auf die Planung der Zukunftsstadt vorbereitete. [K 5]

»Mais non, l’Orient vous appelle
Allez féconder ses déserts,
Faites géantes dans les airs
Les tours de la ville nouvelle«

F Maynard: L’avenir est beau (Foi nouvelle Chants et chansons de Barrault, Vinçard … 1831 à 1834 Paris 1 janvier 1835 1er Cahier p 81) Zum Wüstenmotiv ist Rouget de Lisle »Chant des Industriels« und »Le Désert« von Félicien David zu vergleichen. [K 5 a, 1]

Paris im Jahre 2855: »La ville a trente lieues de tour; Versailles et Fontainebleau, quartiers égarés entre tant d’autres, projettent sur des arrondissements moins pacifiques les rafraîchissantes senteurs de leurs arbres vingt fois séculaires. Sèvres, devenu le marché permanent des Chinois, nos nationaux depuis la guerre de 2850, étale, … ses pagodès aux clochettes retentissantes, au milieu desquelles existe encore la manufacture d’autrefois reconstruite en porcelaine à la reine.« Arsène Houssaye: Le Paris futur (Paris et les Parisiens au XIXe siècle Paris 1856, p 459) [K 5 a, 2]

Chateaubriand über den Obelisk de la Concorde: »L’heure viendra que l’obélisque du désert retrouvera, sur la place des Meurtres, le silence et la solitude de Louqsor.« cit Louis Bertrand: Discours sur Chateaubriand Le Temps 18 septembre 1935 [K 5 a, 3]

Saint-Simon machte den Vorschlag, »einen Berg in der Schweiz zur Bildsäule Napoleons umzuformen, die in der einen Hand eine bewohnte Stadt, in der andern einen See tragen sollte.« Graf Gustav von Schlabrendorf in Paris über Ereignisse und Personen seiner Zeit [in Carl Gustav Jochmann: Reliquien Aus seinen nachgelassenen Papieren Gesammelt von Fleinrich Zschokke Erster Band Hechingen 1836 p 146][K 5 a, 4]

Das nächtliche Paris in »L’homme qui rit«: »Le petit errant subissait la passion indéfinissable de la ville endormie. Ces silences de fourmillières paralysées dégagent du vertige. Toutes ces léthargies mêlent leurs cauchemars, ces sommeils sont une foule.« (cit R Caillois: Paris, mythe moderne N⁠〈ouvelle〉 R⁠〈evue〉 F⁠〈rançaise〉 XXV, 284 1 mai 1937 p 691) [K 5 a, 5]

»Weil das kollektive Unbewußte ein … in der Hirn- und Sympathicus-Struktur sich ausdrückender Niederschlag des Weltgeschehens ist, so bedeutet es … eine Art von zeitlosem, gewissermaßen ewigem Weltbild, das unserem momentanen Bewußtseinsweltbild gegenübergestellt ist.« C G Jung: Seelenprobleme der Gegenwart Zürich Leipzig u Stuttgart 1932 p 326 (Analytische Psychologie und Weltanschauung) [K 6, 1]

Jung nennt das Bewußtsein – gelegentlich! – »unsere prometheische Errungenschaft«. C G Jung: Seelenprobleme der Gegenwart Zürich Lpz u Stuttgart 1932 p 249 (Die Lebenswende) Und in anderm Zusammenhang: »Es ist die prometheische Sünde, unhistorisch zu sein. Der Moderne ist in diesem Sinne sündhaft. Höhere Bewußtheit ist daher Schuld.« lc p 404 (Das Seelenproblem des modernen Menschen) [K 6, 2]

»Es kann wohl kein Zweifel darüber walten, daß seit … dem denkwürdigen Zeitalter der französischen Revolution das Seelische … mit … steigender Anziehungskraft in den Vordergrund des allgemeinen Bewußtseins rückte. Jene symbolische Geste der Inthronisation der Déesse Raison in Notre Dame scheint für die abendländische Welt etwas Ähnliches bedeutet zu haben wie das Niederhauen der Wotanseichen durch die christlichen Missionäre, denn damals wie jetzt traf kein rächender Blitz die Frevler.« C G Jung: Seelenprobleme der Gegenwart Zürich Lpz u Stuttgart 1932 p 419 (Das Seelenproblem des modernen Menschen) Die »Rache« für diese beiden historischen Grenzsetzungen scheint heute gleichzeitig fällig zu werden! Der Nationalsozialismus macht die eine zu seiner Sache, Jung die andere. [K 6, 3]

Solange es noch einen Bettler gibt, solange gibt es noch Mythos. [K 6, 4]

»D’ailleurs un perfectionnement ingénieux s’était introduit dans la fabrication des squares. L’administration les achetait tout faits, sur commande. Les arbres en carton peint, les fleurs en taffetas, jouaient largement leur rôle dans ces oasis, où l’on poussait la précaution jusqu’à cacher dans les feuilles des oiseaux artificiels qui chantaient tout le jour. Ainsi l’on avait conservé ce qu’il y a d’agréable dans la nature, en évitant ce qu’elle a de malpropre et d’irrégulier.« Victor Fournel: Paris nouveau et Paris futur Paris 1868 p 252 (Paris futur) [K 6, 5]

»Les travaux de M. Haussmann ont donné l’essor, au moins dans l’origine, à une foule de plans bizarres ou grandioses … C’est par exemple M. Hérard, architecte, qui publie en 1855 un projet de passerelles à construire au point de rencontre des boulevards Saint-Denis et de Sébastopol: ces passerelles, à galeries, figurent un carré continu, dont chaque côté est déterminé par l’angle que forment en se croisant les deux boulevards. C’est M. J. Brame, qui expose en 1856, dans une série de lithographies, son plan de chemins de fer dans les villes, et particulièrement dans Paris, avec un système de voûtes supportant les rails, de voies de côté pour les piétons et de ponts volants pour mettre ces voies latérales en communication … A peu près vers la même date encore, un avocat demande, par une Lettre au ministre du Commerce, l’établissement d’une série de tentes dans toute la longueur des rues, afin de préserver le piéton … de prendre une voiture ou un parapluie. Un peu plus tard, un architecte … propose de reconstruire la Cité tout entière en style gothique, pour la mettre en harmonie avec Notre-Dame.« Victor Fournel: Paris nouveau et Paris futur Paris 1868 p 384-86 [K 6 a, 1]

Aus Fournels Kapitel »Paris futur«: »Il y avait … des cafés de première, de deuxième et de troisième classe … et pour chaque catégorie était réglé avec prévoyance le nombre des salles, des tables, des billards, des glaces, des ornements et des dorures … Il y avait les rues de maître et les rues de service, comme il y a les escaliers de maître et les escaliers de service dans les maisons bien organisées … Sur le fronton de la caserne, un bas-relief … représentait dans une gloire l’Ordre Public, en costume de fantassin de la ligne, avec une auréole au front, terrassant l’Hydre aux cent têtes de la Décentralisation … Cinquante sentinelles, postées aux cinquante guichets de la caserne, vis-à-vis des cinquante boulevards, pouvaient, avec une lunette d’approche, apercevoir, à quinze ou vingt kilomètres de là, les cinquante sentinelles des cinquante barrières … Montmartre était coiffé d’un dôme, orné d’un immense cadran électrique qui se voyait de deux lieues, s’entendait de quatre et servait de régulateur à toutes les horloges de la ville. On avait enfin atteint le grand but poursuivi depuis si longtemps: celui de faire de Paris un objet de luxe et de curiosité plutôt que d’usage, une ville d’exposition, placée sous verre, … objet d’admiration et d’envie pour les étrangers, impossible à ses habitants.« V Fournel lc p 235-237, 240/241 [K 6 a, 2]

Kritik von Ch Duveyriers saintsimonistischer Stadt durch Fournel: »Il faut renoncer à poursuivre l’exposé de cette métaphore hardie, que M. Duveyrier continue … avec un flegme de plus en plus stupéfiant, sans même s’apercevoir que son ingénieuse distribution ramènerait Paris, à force de progrès, jusqu’à cette époque du moyen-âge où chaque industrie, chaque branche de commerce était parquée dans le même quartier.« Victor Fournel: Paris nouveau et Paris futur Paris 1868 p 374/75 (Les précurseurs de M. Haussmann) [K 7, 1]

»Nous allons parler d’un monument que nous avons particulièrement à cœur, et qui nous semble de première nécessité avec un ciel comme le nôtre … un Jardin d’hiver! … Presqu’au centre de la ville, un vaste, très-vaste emplacement capable de recevoir, comme le Colysée à Rome, une grande partie de la population, serait entouré d’un immense berceau lumineux, à peu près comme le Palais de cristal de Londres, comme nos halles aujourd’hui: des colonnes de fonte, à peine quelques pierres pour asseoir les fondations … Ah! mon jardin d’hiver, quel parti je voudrais tirer de toi pour mes Novutopiens; tandis qu’à Paris, la grande ville, ils ont bâti un gros, lourd et laid monument en pierres dont on ne sait que faire, et où cette année les tableaux de nos artistes, à contre-jour ici, cuisaient un peu plus loin à un soleil ardent.« F A Couturier de Vienne: Paris moderne Plan d’une ville modèle que l’auteur a appellée Novutopie Paris 1860 p 263-65 [K 7, 2]

Zum Traumhaus: »Dans tous les pays méridionaux, où la conception populaire de la rue veut que les extérieurs des maisons paraissent plus ›habités‹ que leurs intérieurs, cette exposition de la vie privée des habitants confère à leurs demeures une valeur de lieu secret qui aiguise la curiosité des étrangers. L’impression est la même dans les foires: tout y est si abondamment exposé à la rue que ce qui n’y est pas prend la force d’un mystère.« Adrien Dupassage: Peintures foraines (Arts et métiers graphiques 1939) [K 7, 3]

Könnte man nicht die soziale Differenzierung in der Architektur (vgl Fournels Beschreibung der Cafés K 6 a, 2 oder Vorder- und Hinteraufgang) mit der in der Mode vergleichen? [K 7 a, 1]

Zum anthropologischen Nihilismus vgl N 8 a, 1: Céline, Benn [K 7 a, 2]

»Le quinzième siècle … est une époque où les cadavres, les crânes, et les squelettes, étaient outrageusement populaires. En peinture, en sculpture, en littérature et en représentations, dramatiques, la Danse Macabre était partout. Pour l’artiste du quinzième siècle, l’attrait de la mort, bien traité, était une clé aussi sûre pour atteindre la popularité, que l’est à notre époque un bon ›sex-appeal‹.« Aldous Huxley: Croisière d’hiver (Voyage) en Amérique centrale Paris 〈1935〉 p 58 [K 7 a, 3]

Über das Körperinnere. »Das Motiv und seine Ausarbeitung geht schon auf Johannes Chrysostomus’ Über die Frauen und die Schönheit (Opera ed. B. de Montfaucon, Paris 1735, t. XII, p. 523) zurück.« »Die Schönheit des Körpers besteht allein in der Haut. Denn wenn die Menschen sahen, was unter der Haut ist, so, wie man sagt, daß der Luchs in Böotien das Inwendige sehen könne, würden sie sich vor dem Anblick der Frauen ekeln. Jene Anmut besteht aus Schleim und Blut, aus Feuchtigkeit und Galle. Wenn jemand bedenkt, was in den Naslöchern und was in der Kehle und was im Bauch alles verborgen ist, dann wird er stets Unrat finden. Und wenn wir selbst nicht mit den Fingerspitzen Schleim oder Dreck anrühren können, wie können wir dann wünschen, den Dreckbeutel selbst zu umarmen?« 〈(〉⁠Odo von Cluny: Collationum lib III Migne tome 133 p 556) cit J Huizinga: Herbst des Mittelalters München 1928 p 197 [K 7 a, 4]

Zur psychoanalytischen Theorie der Erinnerung: »Die späteren Forschungen Freuds machten es ersichtlich, daß diese Auffassung« [sc die von der Verdrängung] »erweitert werden mußte … Der Verdrängungsmechanismus … ist, … ein Spezialfall des … bedeutungsvolleren Vorganges, der eintritt, wenn unser Ich bestimmte Anforderungen an den seelischen Apparat nicht adäquat bewältigen kann. Der allgemeinere Abwehrvorgang hebt die starken Eindrücke nicht auf; er deponiert sie nur … Es wird der Deutlichkeit zugute kommen, wenn wir den Gegensatz zwischen Gedächtnis und Erinnerung absichtlich grob formulieren: die Funktion des Gedächtnisses« [sc der Autor identifiziert die Sphäre »des ›Vergessens‹« und »des unbewußten Gedächtnisses« p 130] »ist der Schutz der Eindrücke; die Erinnerung zielt auf ihre Zersetzung. Das Gedächtnis ist im Wesentlichen konservativ, die Erinnerung ist destruktiv.« Theodor Reik: Der überraschte Psychologe Leiden 1935 p 130-132 [K 8, 1]

»Wir erleben z. B. den Tod eines nahen Angehörigen … und meinen, den Schmerz in allen Tiefen zu verspüren … Aber der Schmerz wird seine Tiefen erst enthüllen, nachdem wir ihn längst verwunden glaubten.« Der »vergessene« Schmerz setzt sich fest und greift um sich; vgl den Tod der Großmutter bei Proust. »Erleben heißt einen Eindruck psychisch bewältigen, der so stark war, daß er von uns nicht sogleich erfaßt werden konnte.« Diese Definition des Erlebens im Sinn von Freud ist ein ganz anderes als die im Sinne haben, die davon sprechen, daß ihnen etwas ein »Erlebnis« gewesen ist. Theodor Reik: Der überraschte Psychologe Leiden 1935 p 131 [K 8, 2]

Das im Unbewußten Deponierte als Inhalt des Gedächtnisses. Proust spricht vom »sommeil fort vivant et créateur de l’inconscient … où achèvent de se graver les choses qui nous effleurèrent seulement, où les mains endormies se saisissent de la clef qui ouvre, vainement cherchée jusque-là.« Marcel Proust: La Prisonnière Paris 1923 II p 189 [K 8, 3]

Die klassische Stelle über die mémoire involontaire bei Proust – Vorspiel zu dem Moment, in dem das Werk, das die madeleine am Verfasser tut, geschildert wird: »C’est ainsi que, pendant longtemps, quand, réveillé la nuit, je me ressouvenais de Combray, je n’en revis jamais que cette sorte de pan lumineux … A vrai dire, j’aurais pu répondre à qui m’eût interrogé que Combray comprenait encore autre chose … Mais comme ce que je m’en serais rappelé m’eût été fourni seulement par la mémoire volontaire, la mémoire de l’intelligence, et comme les renseignements qu’elle donne sur le passé ne conservent rien de lui, je n’aurais jamais eu envie de songer à ce reste de Combray … Il en est ainsi de notre passé. C’est peine perdue que nous cherchions à l’évoquer, tous les efforts de notre intelligence sont inutiles. Il est caché hors de son domaine et de sa portée, en quelque objet matériel …, que nous ne soupçonnons pas. Cet objet, il dépend du hasard que nous le rencontrions avant de mourir, ou que nous ne le rencontrions pas.« Marcel Proust: Du côté de chez Swann I p 67-69 [K 8 a, 1]

Die klassische Stelle über das Erwachen des Nachts im dunklen Zimmer und die Orientierung darin. »Quand je me réveillais ainsi, mon esprit s’agitant pour chercher, sans y réussir, à savoir où j’étais, tout tournait autour de moi dans l’obscurité, les choses, les pays, les années. Mon corps, trop engourdi pour remuer, cherchait, d’après la forme de sa fatigue, à repérer la position de ses membres pour en induire la direction du mur, la place des meubles, pour reconstruire et pour nommer la demeure où il se trouvait. Sa mémoire, la mémoire de ses côtes, de ses genoux, de ses épaules, lui présentait successivement plusieurs des chambres où il avait dormi, tandis qu’autour de lui les murs invisibles, changeant de place selon la forme de la pièce imaginée, tourbillonnaient dans les ténèbres. Et avant même que ma pensée … eût identifié le logis …, lui, – mon corps, – se rappelait pour chacun le genre du lit, la place des portes, la prise de jour des fenêtres, l’existence d’un couloir, avec la pensée que j’avais en m’y endormant et que je retrouvais au réveil.« Marcel Proust: Du côté de chez Swann I p 15 [K 8 a, 2]

Proust über Nächte tiefen Schlafs nach großer Ermüdung: »Elles nous font retrouver là où nos muscles plongent et tordent leurs ramifications et aspirent la vie nouvelle, le jardin où nous avons été enfant. Il n’y a pas besoin de voyager pour le revoir, il faut descendre pour le retrouver. Ce qui a couvert la terre, n’est plus sur elle, mais dessous, l’excursion ne suffit pas pour visiter la ville morte, les fouilles sont nécessaires.« Die Worte gehen gegen die Weisung, Statten aufzusuchen, an denen man Kind war. Sie behalten aber ihre⁠〈n〉 Sinn auch als Wendung gegen die mémoire volontaire. Marcel Proust: Le côté de Guermantes I Paris 1920 p 82 [K 9, 1]

Rattachement de l’œuvre proustienne à l’œuvre de Baudelaire: »Un des chefs-d’œuvre de la littérature française, Sylvie, de Gérard de Nerval, a tout comme le livre des Mémoires d’Outre-Tombe, … une sensation du même genre que le goût de la madeleine … Chez Baudelaire enfin, ces réminiscences plus nombreuses encore, sont évidemment moins fortuites et par conséquent à mon avis décisives. C’est le poète lui-même qui, avec plus de choix et de paresse recherche volontairement, dans l’odeur d’une femme par exemple, de sa chevelure et de son sein, les analogies inspiratrices qui lui évoqueront ›l’azur du ciel immense et rond‹ et ›un port rempli de flammes et de mâts‹. J’allais chercher à me rappeler les pièces de Baudelaire à la base desquelles se trouve ainsi une sensation transposée, pour achever de me replacer dans une filiation aussi noble, et me donner par là l’assurance que l’œuvre que je n’aurais plus aucune hésitation à entreprendre méritait l’effort que j’allais lui consacrer, quand étant arrivé au bas de l’escalier …, je me trouvai … au milieu d’une fête.« Marcel Proust: Le temps retrouvé Paris II 〈1927〉 p 82/83 [K 9, 2]

»L’homme n’est l’homme qu’à sa surface. Lève la peau, dissèque: ici commencent les machines. Puis, tu te perds dans une substance inexplicable, étrangère à tout ce que tu sais et qui est pourtant l’essentielle.« Paul Valéry: Cahier B 1910 〈Paris〉 1930 p 39/40 [K 9, 3]

Traumstadt Napoleons I: »Napoleon, der zunächst den Triumphbogen hatte irgendwo in die Stadt stellen wollen, wie den ersten enttäuschenden auf die Place du Caroussel, hatte sich von Fontaine den Gedanken suggerieren lassen, dort im Westen, wo ein großes Gelände zur Verfügung stand, ein kaiserliches Paris zu bauen, das das königliche, Versailles eingeschlossen, übertrumpfte. Es sollte zwischen der Höhe der Avenue des Champs Elysées und der Seine … auf dem Plateau, an dessen Ende heute der Trocadero steht, sich erheben mit ›Palästen für zwölf Könige und ihr Gefolge‹ … ›nicht nur die schönste Stadt, die es gibt, sondern die schönste Stadt, die es geben kann‹. Der Triumphbogen war als das erste Bauwerk dieser Stadt gedacht.« Fritz Stahl: Paris Berlin 〈1929〉 p 27/28 [K 9 a, 1]