Vortrag (Redende Kunst)

Vortrag. (Redende Künste) Ist der Ausdruck der Rede durch Stimm und Gebärde oder das Vernehmliche der Rede, das nicht in dem Sinn der Worte, sondern in dem Ton, in den Gebärden und in dem Gesichte des Redners liegt. Dieses ist die Erklärung, die Cicero von dem Wort Actio gibt1. Jedermann weiß aus der täglichen Erfahrung, dass dieselben Gedanken, derselbe Sinn der Worte durch die Verschiedenheit des Vortrages, ganz verschiedenen Eindruck machen: dass folglich der Vortrag ein wichtiger Teil der Beredsamkeit sei. Es verdient aber hier besonders angemerkt zu werden, dass die zwei größten Redner des Altertums, Demosthenes und Cicero, ihn für den allerwichtigsten gehalten. »Der Vortrag, sagt Cicero, ist das, was in der Rede die größte Kraft hat. Ohne ihn kann der größte Redner nichts ausrichten; aber ein mittelmäßiger, der ihn in seiner Gewalt hat, kann dadurch öfters die größten übertreffen. Man sagt, dass Demosthenes als er gefragt wurde, was das Wichtigste in der Kunst zu reden sei, dem Vortrag die erste und auch die zweite und dritte Stelle eingeräumt habe.«2

 Darum verdient die Betrachtung des guten Vortrages in der Theorie der redenden Künste, eine besonders genaue Ausführung. Aber die Sache ist fast unüberwindlichen Schwierigkeiten unterworfen. Man müsste beinahe die ganze Theorie der Musik und der Pantomime deutlich vor Augen haben, um alles, was zum Vortrag der Rede gehört, anzeigen und bestimmen zu können. Man müsste zeigen können, wie eine Folge von Tönen, auch ohne den Sinn der Worte, das Gehör angenehm zu unterhalten und das Herz kräftig zu rühren vermögend sei; und wie es zugehe, dass ein Mensch, ohne zu sprechen, durch Stellung, Gebärde und Mine, verständlich und herzrührend sprechen könne. Dass beides täglich geschehe, wissen wir aus der Erfahrung; aber deutlich zu zeigen, wie es geschehe und jede Kraft, die in dem Hörbaren der Rede und in dem Sichtbaren des Redners liegt, genau zu bestimmen und psychologisch zu erklären, wäre ein Unternehmen, dem zur Zeit kein Philosoph gewachsen ist. Denn wenn er auch alles, was er durch den Vortrag fühlt, genau unterscheiden und den Grund jeder besonderen Wirkung einsehen könnte; so fehlten ihm die Worte, das, was er erkannt und fühlt, auszudrücken. Wer wird z.B. um von hunderten nur einen besonderen Fall anzuführen, mit Worten beschreiben können, in welchem Tone man das Wort Gott aussprechen müsse, wenn es ein Ausrufungswort, des Schreckens oder der anbetenden Bewunderung oder der geduldigen Unterwerfung, sein und die Kraft haben soll, eine dieser Empfindungen fühlen zu lassen?

Wenn also der Vortrag der wichtigste Punkt in der Beredsamkeit ist, so ist er gewiss auch der schwerste in der Theorie der Kunst abgehandelt zu werden.

 Es scheint, dass die Griechen eine besondere Kunst daraus gemacht haben, die Werke der Dichter ( vielleicht auch der Redner) geschickt vorzutragen; so wie man gegenwärtig in der Musik Künstler hat, die selbst keine Tonstücke setzen, sondern bloß fremde Werke vortragen. Dieser Kunst gedenken einige Alten unter dem Namen Rhapsodia; und wie gegenwärtig die Instrumentisten sich in Gesellschaften hören lassen, so ließen sich in Athen die Rhapsodisten hören. Es gab solche, die sich bloß auf den Vortrag eines einzigen Dichters einschränkten; weil sie glaubten, dass die Kunst zu schwer sei als dass ein Mensch sie in allen ihren Zweigen besitzen könnte. Ich besinne mich in einem der Werke des Aristoteles gelesen zu haben, dass ein Rhapsodist besonderes über den Vortrag der Werke von kläglichem Inhalt, geschrieben habe. Plato hält dafür, dass der Einfluss des Himmels oder die Begeisterung dem Rhapsodisten eben so nötig sei als dem Dichter3, und es lässt sich aus einer Stelle des Euripides schließen, dass zu seiner Zeit die Kunst des Vortrages zu einem hohen Grad der Vollkommenheit gestiegen sei: wenigstens vermute ich, dass folgende Worte, die der Dichter der Hekuba in den Mund legt, die Schilderung irgend eines Rhapsodisten derselben Zeit sein sollten: »o! dass ich durch die Kunst des Dädalus oder den Beistand irgend einer Gottheit den Ton der Stimme in den Armen und Händen oder in den Haaren und in den Füßen hätte«4!

 Wir können hier nicht viel mehr tun, als dass wir einen Entwurf machen, nach welchem die wichtige Lehre vom Vortrage, abzuhandeln wäre.

 Zum Vortrag gehören zwei sehr verschiedene Dinge, das Hörbare der Rede und das Sichtbare an dem Redenden. Jenes wird allgemein unter dem Namen der Decklamation, dieses unter dem Wort Action begriffen.

 Die vollkommene Decklamation muss drei Haupteigenschaften haben: Deutlichkeit, Wohlklang und einen dem Inhalt gemäßen Ausdruck. Wir haben über jede dieser Eigenschaften verschiedenes anzumerken:

 1. Die Deutlichkeit des Vortrages erfordert erstlich eine helle und volltönende Stimme, die zwar größtenteils von dem Bau der Werkzeuge der Sprache abhängt, aber durch fleißige Übung zu größerer Vollkommenheit kann gebracht werden. Zweitens eine gute Aussprach der Buchstaben, Silben und Wörter, die durch fleißiges Üben ebenfalls zu erhalten ist. Wir empfehlen denen, die sich in diesen beiden Stücken üben wollen, das, was Plutarchus in dem Leben des Demosthenes von den Übungen dieses großen Redners, seine Stimm und Aussprache zu verbessern, anführt, mit Überlegung nachzulesen. Den Lehrern und Vorstehern der Schule aber, ist die tägliche Übung der Jugend, zur Verstärkung der Stimme und zur deutlichen Aussprach auf das nachdrücklichste zu empfehlen.

  Drittens wird zur Deutlichkeit des Vortrages erfordert, dass die Worte eines Satzes und die einzeln Redesätze einer Periode in einem unzertrennlichen Zusammenhang vorgetragen werden, so dass der, der auch den Sinn der Worte nicht verstande, die Einteilung der Rede in kleinere Glieder und größere Perioden vernehmen könnte. Dieses hängt von dem Gang oder der Bewegung der Rede, von der genauen Beobachtung der oratorischen Akzente, der größeren und kleineren Ruhepunkte und der Clauseln oder verschiedenen Kadenzen ab. Nur die Worte fallen als ein unzertrennlicher Redesatz ins Gehör, die in einer genau zusammenhängenden und nirgend unterbrochenen Bewegung als Glieder einer Kette in einander geflochten sind, so dass das Gehör bei jedem Worte noch etwas folgendes erwartet, bis endlich ein Ton vorkommt, der es etwas beruhiget und ihm einige Verweilung verstattet. Ohne große Weitläufigkeit und eine völlige Entwicklung der mechanischen Beschaffenheit des Gesangs, ist es nicht möglich diesen Punkt des deutlichen Vortrages gehörig zu erläutern. Wer aber aus der Musik weiß, wie es zugeht, dass auch Unerfahrne fühlen, welche Töne zusammen einen Takt und welche Takte ein rhythmisches Glied ausmachen; der wird auch begreifen, wie mehrere Wörter bloß durch den Ton, ohne Rücksicht auf die Bedeutung als ein Satz der Rede ins Gehör fallen. Man muss wissen die Töne so zusammen zu hängen, dass man bei keinem stille stehen kann, sondern etwas notwendig folgendes dabei empfindet, bis man auf eine gewisse Stelle gekommen, die einen größeren oder kleineren Ruhepunkt verstattet. Da dieses in dem Gesang weit deutlicher zu bemerken ist, als in der Rede, so könnte der Tonsetzer diesen Punkt des deutlichen Vortrages den Redner am besten erklären. Deswegen setzten auch die Griechen mit Recht die Musik unter die Wissenschaften, darin der künftige Redner wohl sollte geübet werden5. Wer das, was wir über den Takt und Rhythmus gesagt haben, wohl überlegt, wird einsehen, worauf es in Ansehung dieses Punkts ankomme.

 Endlich gehört auch ein richtiges Maß des Geschwinden und Langsamen zur Deutlichkeit des Vortrages. Zu schnelles Reden macht einzelne Silben und Wörter undeutlich, zu langsames aber, macht die Einteilung in Worte und Sätze unvernehmlich. Wer uns die Silben langsam einzeln vorzählt, sagt uns keine Worte, sondern bloß Silben, so wie der, der buchstabiret; und die so langsame Aufzählung einzelner Worte, macht keine Redesätze, sondern bloß unzusammenhängende Worte.

Von den Akzenten und der Bewegung hängt eigentlich das Rhythmische der Rede ab. In den Tonstücken lässt sich die Deutlichkeit oder Faßlichkeit des Rhythmischen am leichtesten bemerken. Also könnte niemand besser und gründlicher über diesen Punkt des Vortrages schreiben als ein Tonsetzer. Ich halte dafür, dass es wohl möglich wäre durch die Art der Notirung, die wir zur Bezeichnung des Rhythmus gebraucht haben6, die Decklamation jeder Periode, wie die größte Deutlichkeit des Vortrages es erfordert, anzudeuten; und es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Alten sich bisweilen einer solchen Notirung bedient haben. Etwas von dieser Bezeichnung ist durch den Gebrauch der kleineren und größeren Unterscheidungszeichen der Ruhepunkte bereits eingeführt; aber die Zeichen, deren wir uns bedienen, reichen bei weitem nicht hin, die Mannigfaltigkeit der Ruhepunkte bestimmt auszudrücken.

 Wenn wir dieser Punkte bloß Erwähnung tun, ohne sie weiter auszuführen, so geschiehet es deswegen; weil es schon nützlich ist, dem Redner die verschiedenen Dinge, denen er zum Vortrag nachzudenken hat, anzuzeigen, da denn sein eigenes Nachdenken ihm das Nähere an die Hand geben wird. Ohne unendliche Weitläufigkeit wär es nicht möglich die Sachen auszuführen. Wir müssen hier mit Quintilian sagen: Hæc quam brevissime potui, non ut omnia dicerem sectatus, quod infinitum erat; sed ut maxime necessaria.

 Die Deutlichkeit des Vortrages überhebt den Zuhörer alles Bestrebens die Rede richtig zu vernehmen und verstattet ihm die Muße, die volle Kraft derselben desto stärker zu empfinden und insofern ist die Deutlichkeit eine ästhetische Eigenschaft der Rede.

 2. Die zweite Haupteigenschaft der Decklamation ist der Wohlklang. Dieser hängt nun erstlich wieder von dem Klang der Stimm überhaupt ab. Ein Mensch hat vor dem anderen einen angenehmen Ton der Stimme; worin er bestehe, lässt sich leichte fühlen, aber unmöglich beschreiben. Also haben wir über diesen Punkt nichts anderes anzumerken als dass wir dem künftigen Redner empfehlen, sich die äußerste Mühe zu geben, die Fehler seiner Stimme zu verbessern oder ihm raten, wenn er es durch keine Bemühung dazu bringen kann, seine Stimm angenehm zu machen, nie öffentlich aufzutreten. Denn wenn er auch die vortrefflichsten Sachen sagte, so würde eine unangenehme Stimme jedermannn abschrecken ihn zu hören. Wir müssen den Sangmeistern überlassen, die Mittel anzuzeigen, wodurch die Stimm Annehmlichkeit bekommt.

  Aber der Wohlklang hängt nicht bloß von der Annehmlichkeit der Stimm ab, auch die Aussprach muss angenehm sein. Hierzu wird erfordert, dass die Mitlauter oder die so genannten stummen Buchstaben leicht und flüchtig, die Selbstlauter aber hell und nachdrücklich, doch ohne Schleppen und ohne Verdrähen ausgesprochen werden. Die Rede wird ungemein rauh und hart, wenn man sich auf den stummen Buchstaben verweilt und ihnen zu viel Deutlichkeit gibt. Wer die Wörter: Grundsatz; Nehmen u. dgl. ausspricht, als ob sie wie Gr - r - un - n - dßatss; N - n - ehm - men - n , geschrieben wären, wird mit der schönsten Stimme sehr unangenehm sprechen. Auch ist das Schleppen oder zu lange Ziehen der wohlklingensten Selbstlauter, um so viel mehr der weniger wohlklingenden, zu vermeiden. Man hört bisweilen die Wörter: Und, Grund u. dgl. so aussprechen, dass das U darin lang und geschleppt wird, wie in dem Worte Huhn. Auch das Verdrähen der Vocalen als ob sie Doppellaute vorstellten, ist einer der größten Fehler, gegen den Wohlklang der Aussprach. Man hört bisweilen Hand aussprechen als ob es wie Ha - and geschrieben wäre.

  Ferner gehört zur guten Aussprach ein angemessener Grad der Flüchtigkeit oder Schnelligkeit und einige Mannigfaltigkeit der Akzente, wodurch die zu einem Worte gehörigen Silben ihren Zusammenhang bekommen, dass sie als ein Wort und nicht als einzelne Silben vernommen werden. Alle Annehmlichkeit der Rede fällt weg, wenn die Silben und Worte gleichtönend oder monotonisch sind und wenn nicht eine gefällige Abwechslung des Hohen und Tiefen, des Nachdrücklichen und Leichten, des Langen und Kurzen in der Folge der Silben und der Worte beobachtet wird. Aber diese Abwechslung muss flüchtig und leicht bewerkstelliget werden. Der schönste Vers verliert, durch langsames Scandiren, alles Angenehme des Klanges.

 Eben dieses ist auch von den einzelnen Redesätzen, woraus die Perioden bestehen, zu merken. Dass einige Sätze leichter und schneller, andere etwas schwerer und langsamer, einige mit steigender, andere mit fallender Stimm, einige mit kaum merklichen, andere mit mehr fühlbaren Clauseln oder Abfällen ausgesprochen werden, gibt der Rede eine Art von Melodie, wodurch sie sehr angenehm werden kann. Bei der Unmöglichkeit alles, was hierzu erfordert wird, durch deutliche Beispiele zu zeigen, können wir nichts weiter tun als dem künftigen Redner eine tägliche Übung der wohlklingenden Decklamation zu empfehlen. Er nehme zu solchen Übungen einige von guten Rednern geschriebene wohlklingende Perioden vor sich, versuche jede davon auf mehr als einerlei Art herzusagen, und bemerke bei jeder Veränderung die Verschiedenheit der Wirkung auf dem Wohlklang. Noch besser wäre es, wenn er diese verschiedentlich abgeänderte Decklamation einer Periode durch andere vornehmen ließe und durch aufmerksames Anhören den Grad des Wohlklanges bei jeder Wiederholung zu empfinden suchte.

 3. Die dritte Eigenschaft der vollkommenen Decklamation ist der gute Ausdruck oder die Übereinstimmung des Klanges der Rede mit ihrem Inhalt. Die Musik beweiset dass jede Leidenschaft und jede besondere sowohl ruhige als unruhige Lage des Gemütes durch Ton und Bewegung könne geschildert werden, und man hört auch täglich, dass in dem Ton der gemeinen Rede in gar viel Fällen mehr Kraft liegt als in dem Sinn der Worte. Man stelle sich vor, dass folgende Worte in dem wahren Ton der tiefsten Wehmut ausgesprochen werden:

      –– Wehe! Wehe! Nicht Ketten, Bande nicht, ich sehe Gespizte Keile!

So wird man begreifen, dass der, der den Sinn der Worte nicht verstünde, dennoch durch den bloßen Schall weit schmerzhafter würde gerührt werden als der, der ohne Ton den Sinn der Worte vernähme. Die Worte Wehe! Wehe! bedeuten nichts als dass sie uns schlechtweg anzeigen, der Mensch, der sie spricht, leide; aber der Ton macht, dass wir fein Leiden wirklich empfinden.

Der Redner also, der den Vortrag völlig in seiner Gewalt hat, kann uns durch Ton und Bewegung der Stimme in jede Gemütsfassung setzen; er kann uns ruhig und gelassen, zum Nachdenken aufmerksam, munter und fröhlich, zärtlich, traurig, unruhig, verzagt, herzhaft oder ängstlich machen. Stimmt also diese in Ton und Bewegung liegende Kraft mit dem Sinn der Worte genau überein, so bekommt die Rede selbst eine unwiderstehliche Kraft. In der Beredsamkeit ist also nichts wichtiger als die Kunst, die Kraft der Rede durch den Vortrag zu unterstützen. Dieser besondere Teil der Decklamation kann aber so wenig als die anderen durch Worte gelehrt werden. Alles was man hierbei tun kann und was in der Tat von großem Nutzen ist, besteht darin, dass der Redner auf das besondere, was zu diesem Ausdruck gehört, aufmerksam gemacht werde.

  Zuerst kommt also der Ton der Stimme selbst in Betrachtung. Ein einzelner unartikulierter Laut kann fröhlich oder traurig, heftig oder sanft und gelassen klingen. Er bekommt seine ästhetische Kraft teils von dem Grad der Stärke, von der Langsamkeit und Schnelligkeit, von dem Nachdruck oder der Flüchtigkeit, womit er ausgesprochen wird, teils von dem Ziehen oder Stoßen oder Anschwellen oder anderen Arten seiner Erzeugung; teils von dem Ort, wo er gebildet wird oder wo er zu entstehen scheint, da er bald tief aus der Brust, bald aus der Kehle zu kommen, bald nur in dem Munde oder gar nur auf den Lippen selbst gebildet zu sein scheint. Es ist völlig unmöglich alle Verschiedenheiten, die der Ton einer einzigen Silbe annehmen kann und jeden Ausdruck, den diese Verschiedenheiten ihm geben, zu beschreiben. Dieses kann nur empfunden werden. Aber es ist für den Redner wichtig, dass er sich im genauen Beobachten und Empfinden dieser Verschiedenheiten fleißig übe. Die vorher angeführten Worte des Klagens können so ausgesprochen werden, dass sie bloß zärtliche und gleichsam schmachtende Traurigkeit ausdrücken. Dies würde geschehen, wenn man die Worte: Wehe! Wehe ! aus der Kehle sanft und gelassen, langsam und mit einer allmählichen Wendung oder Inflexion des Tones auf der ersten Silbe jedes Wortes ausspräche. Tiefere Wehmut würden sie ausdrücken, wenn der Ton auf der ersten Silbe tief aus der Brust, mit einem dumpfigen Ton, allmählich etwas verstärkt und sich in der zweiten Silbe verlierend, ausgesprochen würde. Schreckhaft würden sie klingen, wenn sie mit lautem, offenen Schreien, einem hellen Ton, schnell hinter einander als wenn man um Hilfe rufte, vorgebracht würden. Es ist aber unendlich viel leichter mit der Stimme solche Veränderungen des Vortrages vorzunehmen und ihre verschiedene Wirkung zu beobachten, als sie zu beschreiben. Also müssen wir uns begnügen, nur dieses einzige Beispiel angezeigt zu haben; dass übrige muss dem eigenen Fleiß des angehenden Redners überlassen werden. Weil es hier bloß auf Erfahrung ankommt, so muss er sich angelegen sein lassen, jede Gelegenheit, wo er Menschen die in Leidenschaft gesetzt sind, sprechen hört, sich zu Nuze zu machen, um seine Beobachtungen zu vermehren. Dadurch wird er fühlen lernen, wodurch ein Ton fröhlich, zärtlich, schmeichelnd, kriechend, demütig oder traurig, kläglich, scheltend, zornig, streng, wodurch er flüchtig, gleichgültig, ernsthaft, feierlich wird. Denn es ist außer Zweifel, dass bloß der Ton der Rede alle diese Eigenschaften annehmen könne.

 Nach dem Ton, seiner Bildung und Stimmung, kommt die Bewegung der Stimme zum Ausdruck in Betrachtung. Die Tonsetzer unterscheiden nicht nur die verschiedenen Grade des geschwinden und langsamen in der Bewegung, durch ihre Kunstwörter Allegro, Andante, Largo u. d. gl. sondern auch noch den besonderen leidenschaftlichen Charakter, den sie durch die Worte Vivace, Moderato, Grave, Gratioso, con Tenerezza und dergleichen Ausdrücken. Die Tanzmelodien beweisen, dass die Bewegung allein ungemein viel zum Ausdruck der besonderen Arten der Empfindung beitrage. Da sie allgemein ohne Worte nur durch Instrumente vorgetragen werden, so müssten die Tonsetzer notwendig alle mögliche Veränderungen des Ausdrucks, der aus der Art der Bewegung entsteht, in ihrer Gewalt haben, da Redner und Dichter sich zum Teil auch auf den Sinn der Worte verlassen können. Deswegen kann der Redner nur in der Schule der Musik alles lernen, was er über die Bewegung der Stimme zu beobachten hat. So kläglich die vorher angeführte Stelle aus der bekannten Ramlerischen Kantate dem Sinne nach ist, wird sie jeder Tonsetzer in einer solchen Bewegung und Taktart setzen können, die des kläglichen Sinnes ungeachtet, Gleichgültigkeit oder gar Leichtsinn ausdrückt.

 Es ist um so viel wichtiger die wahre Bewegung für jeden Ausdruck zu treffen; da sie die leidenschaftliche Bildung der einzelnen Töne, wovon vorher gesprochen worden, entweder erleichtert, auch wohl an die Hand gibt oder gar unmöglich macht. Denn wo irgend eine Silbe nach Art der Bewegung auf eine schlechte Taktzeit fällt, so ist es nicht möglich ihr einen leidenschaftlichen Nachdruck zu geben, weil die Bewegung ein leichtes Anschlagen derselben erfordert. Dem Redner ist also zur kräftigen Decklamation eine genaue Kenntnis von den Eigenschaften und Wirkungen des Rhythmus unumgänglich notwendig. Er muss für jede Periode der Rede, nach dem in dem Sinne liegenden Ausdruck, den schicklichsten Rhythmus zu wählen wissen, sonst ist es nicht möglich, dass er überall die wahre Decklamation treffe. Da die Theorie des Rhythmus selbst noch so wenig bearbeitet ist, so kann man auch dem Redner keine bestimmte Regeln über die besonderen Fälle der Decklamation geben. Wer indessen zu wissen verlangt, was etwa hierüber von den besten Lehrern der Redner gesagt worden, den verweisen wir auf das dritte Kapitel des XI Buchs der Institution des Quintilians.

 Jede Leidenschaft und überhaupt jede besondere Gemütslage hat nicht nur ihre eigene Art, sondern in dieser Art auch ihren Grad der Wirksamkeit und beides kann durch rhythmische Bewegung ausgedrückt oder geschildert werden. Das ruhige, gelassene, sanfte, zärtliche, das lebhafte, heftige, stürmische und mehr dergleichen Eigenschaften, unserer inneren Wirksamkeit, können durch rhythmische Bewegung fühlbar gemacht werden; dieses ist durch der Musik völlig außer Zweifel gesetzt. Also muss der Redner, so genau als ihm möglich ist, diese Übereinstimmung zwischen der rhythmischen Bewegung der Töne und den Gemütsbewegungen, sorgfältig bemerken. Dieses ist der Weg, auf dem er zum wahren Ausdruck der Decklamation kommen kann. Denn kommt es in jedem besonderen Fall noch darauf an, dass er sich befleiße, die wahre Gemütslage, in welcher jede Periode der Rede muss vorgetragen werden, genau zu treffen und dass er Empfindsamkeit genug habe, sich in dieselbe zu setzen. Hat er diesen Punkt gewonnen, so wird er auch Ton und Bewegung treffen; die Kunst aber oder die genauere Kenntnis der Beschaffenheit der rhythmischen Charaktere, wird das, was die Empfindung ihm bereits an die Hand gegeben hat, noch vollkommener machen. So viel sei von dem ersten Punkt des Vortrages; der Declamation gesagt.

 Soll der Vortrag ganz vollkommen sein, so muss auch das Sichtbare an dem Redner mit dem, was man von ihm hört übereinstimmen. Es ist unnötig hier zu wiederholen, was schon an so mancher Stelle dieses Werks angemerkt worden, dass Stellung, Gebärden und Gesichtszüge, bald jede Empfindung der Seele verraten oder vielmehr mit solcher Kraft ausdrücken, dass empfindsame Menschen, durch das bloße Anschauen dieselben Empfindungen fühlen, die sie an anderen sehen.7 Wie dieses Sichtbare bei jeder verschiedenen Gemütslage beschaffen sei, kann Niemand beschreiben, auch kann das Wenigste, was das Auge dabei entdeckt, nur genannt werden. Man kann also dem Redner nichts sagen, als: er solle sich die verschiedenen Kräfte der Stellungen, Gebärden und der veränderten Gesichtszüge bekannt machen; sich fleißig üben, sie mit Leichtigkeit nachzuahmen und denn, wo er zu reden hat, sie am rechten Orte anbringen. Aber Stellung, Gebärden und Mine können sehr verständlich und nachdrücklich und dessen ungeachtet schlecht und dem Redner unanständig sein. Sie müssen nicht bloß wahr oder natürlich, sondern auch so, wie es einem wolerzogenen, gesetzten und wohl gesitteten Menschen anständig ist, das ist, von Anstand und Geschmack begleitet sein. Denn die natürlichen Äußerungen der Empfindungen, durch das Sichtbare des Körpers, sind zwar bei allen Menschen verständlich; aber bei vielen haben sie etwas ungesittetes, übertriebenes oder grobes oder gar zu rohes, das Menschen von feinern Geschmack anstößig ist. Überhaupt ist eine gewisse Mäßigung der Leidenschaften, und ein gewisser Anstand in allen Bewegungen der Gliedmaßen und veränderten Gesichtszügen, Menschen von ausgebildetem Geist und Herzen, eigen. Die Freude wirkt bei kleinem, kindischen Gemütern ein Hüpfen, Springen und Gebärden, das gesetztern Menschen lächerlich ist. So kann jeder andere sichtbare Ausdruck der Empfindung zwar verständlich, aber auf mancherlei Weise dem guten Geschmack und feinern Sitten anstößig sein. Wollte man dem Redner alles sagen, was hierüber zu sagen ist, so müsste man sich in umständliche Ausführung dessen, was Lebensart, Sitten, Nachdenken, Kenntnis und angebaute Vernunft in den Bewegungen und Gebärden der Menschen ändern, einlassen.

 Überhaupt aber merke man sich, dass bei gesitteten Menschen, alle Gebärden, Bewegungen und Minen, weit gemäßigter und weniger auffallend sind als bei rohen und ungesitteten. Diese haben weniger Nachdenken und bilden sich ein, dass andere, so wie sie selbst den Sinn ihrer Reden nicht genugsam fassen, wenn sie nicht alles durch sichtbare Zeichen unterstützen. Daher reden sie mit Händen und Füßen selbst da, wo sie nicht im Affekt sind, sondern bloß unterrichten wollen. Dies ist eigentlich das, was man Gestikuliren nennt und ist der unangenehmste Fehler der Action. Man muss dem Zuhörer zutrauen, dass er den Sinn der Worte, ohne andere Bezeichnung verstehe. Nur da, wo das Herz empfindet, wirkt der innere Sinn auch auf die äußern Gliedmaßen, deren Bewegung die Stärke der Empfindung anzeigt. Da ist also Action notwendig; doch nur so weit als sie auch einem gesetzten Manne von der Empfindung gleichsam abgezwungen wird. Verschiedene noch hierher gehörige Anmerkungen sind bereits in anderen Artikeln angeführt worden.8

 

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1 Facit (actio) dilucidam orationem et illustrem et probabilem et suavem, non ver bis; sed varietate vocum, motu corporis, vultu. Cic. in Topic.

2 Actio in dicendo una dominatur. Sine hac summus orator esse in numero nullo potest: mediocris hac instructus, summos sæpe superare. Huic primas dedisse Demosthenes dicitur, cum rogaretur, quid in dicendo esset primum; huic secundas, huic tertias.

3 Im Gespr. Jon.

4 Eurip. Hecub. vs. 836-38.

5 Man sehe, was Quintilian im 10 Kap. des I B seiner Institutione oratoria davon schreibt.

6 S. Rhythmus S. 983 .

7 Man muss hier das vor Augen haben, was in den Artikeln Stellung, Gebärden, Schönheit, hierüber gesagt worden

8 S. Ausdruck in der Schauspielkunst. S. 107 . Gebärden, Anstand, Stellung.

 


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