Verwandschaft der Töne

Verwandschaft der Töne. (Musik) In dieser Benennung wird das Wort Ton, für Tonleiter gesetzt; denn wenn man sagt, ein Ton stehe mit einem anderen in Verwandschaft, so meinet man; die Tonleiter des einen Tones als Tonika betrachtet, habe Übereinkunft mit der Tonleiter des anderen. Also besteht die Verwandschaft der Töne darin, dass die Tonleiter einer Tonika, mit der Tonleiter einer anderen nahe übereinstimme. Diese Verwandschaft oder Übereinstimmung aber wird in einer doppelten Absicht betrachtet, in Rücksicht auf die Ausweichungen oder auf die Versetzungen.

 In Absicht auf die Ausweichungen besteht die Verwandschaft der Töne darin, dass der Ton in den man ausweicht, das Gefühl des vorhergehenden nicht plötzlich auslösche; hingegen sind zwei Töne in Absicht auf die Versetzung1 verwandt, wenn die verschiedenen Intervalle der Tonika in beiden nicht sehr unterschieden sind. In einem, nach der gleichschwebenden Temperatur gestimmten Klavier sind gar alle Töne in Absicht auf die Versetzungen gleich verwandt und völlig einerlei; denn jede Tonika hat genau dieselben Intervalle, wie die andre:2 aber auch auf einem solchen Instrument sind nicht alle Töne in Absicht auf die Ausweichungen gleich verwandt.

Wenn von der Verwandschaft der Töne gesprochen wird, so versteht man allgemein die Verwandschaft, die in Absicht auf die Modulation betrachtet wird. Von dieser ist hier allein die Rede, da von der anderen in dem Artikel Versetzung gesprochen worden.

 In etwas längern Tonstücken, wo zwar dieselbe Hauptempfindung durchaus herrscht, aber doch in ihrer Stimmung oder ihrem Ton verschieden oder ofte gleichsam anders schattiert wird, kann der Gesang nicht in einem Tone bleiben, sondern wird durch Ausweichungen in verschiedene andere Töne herübergeleitet. Dieses kann nun so geschehen, dass allemal der nächste Ton, in den man ausweicht, in seinem Charakter mehr oder weniger Übereinkunft, das ist, mehr oder weniger Verwandschaft mit dem vorhergehenden hat. Wann jetzt die Empfindung durch merkliche Schattierung sich von der vorhergehenden unterscheiden soll, so muss man in einen etwas entfernten, das ist, wenig verwandten Ton ausweichen; soll aber die Schattierung weniger merklich oder abstechend sein, so weichet man in einen näher verwandten Ton aus. Also muss man bei der Modulation die Verwandschaft der Töne notwendig vor Augen haben. Deswegen muss man auch die Grade dieser Verwandschaft bestimmen können.

Also entsteht hier die Frage, woraus diese Verwandschaft zu erkennen sei.

Weil in jedem Ton die drei wesentlichen Saiten, Tonika, Dominante und Mediante, am öftersten gehört werden, folglich das Gehör gleichsam stimmen; so sind überhaupt die Töne verwandt, deren wesentliche Saiten in beider Töne Tonleiter vorkommen; wo aber eine oder mehrere der wesentlichen Saiten des einen Tones, der Tonleiter des anderen fremd sind, folglich ihr Gefühl auslöschen oder verdunkeln, da ist keine Verwandschaft. So sind dem Ton C dur, die Töne G dur, A mol, E mol, F dur und D mol verwandt. Denn keiner dieser Töne hat eine wesentliche Saite, die nicht in der Tonleiter des Tones C dur enthalten wäre. Hingegen sind demselben Tone C dur, die Töne G mol, A dur u.s.w. gar nicht verwandt, weil die Terzen dieser Töne nicht in der Tonleiter des C dur liegen, folglich, da sie oft vorkommen, das Gefühl dieser Tonleiter gleich auslöschen.

 Die Grade der Verwandschaft zu schätzen, muss man außer den Tonleitern der beiden Töne auch auf die sehen, die ihren Dominanten zugehören; weil man gar oft in einem Ton den Akkord seiner Dominante hören lässt. Daraus wird man z.B. sehen, dass G dur dem C dur näher als E mol, verwandt ist, weil auch die Dominante von G dur, in ihrer Tonleiter dem C dur näher kommt als die Tonleiter der Dominante von E dur.

Wir haben an einem anderen Orte3 einen Kanon oder ein Formular gegeben, woraus man leicht für jeden Ton die Grade der Verwandschaft mit anderen erkennen kann.

  Verschiedene Harmoniker haben gezeigt, wie man aus jedem Ton durch alle 24 Töne hindurch in einer Folge so modulieren könne, dass immer der folgende mit dem vorhergehenden, in naher Verwandschaft stehe, zuletzt aber die Modulation auf den ersten Hauptton wieder zurück komme. Dieses wird der harmonische Zirkel genannt.4

 

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1 S. Versetzung. (Transposition.)

2 S. Temperatur.

3 Art. Ausweichung S. 120 .

4 Man sehe Heinichens Anweisung zum Generalbasse.

 


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