Verzierungen (Schöne Künste)

Verzierungen. (Schöne Künste) Sind einzelne kleine Teile, die nicht zur wesentlichen Beschaffenheit eines Werks der Kunst gehören, sondern bloß zur Vermehrung der Annehmlichkeit ihm beigefügt und gleichsam angehängt sind. In der Baukunst sind die Statuen, Vasen, Laub- und anderes Schnitzwerk, womit wesentliche Teile des Gebäudes geschmückt werden, Verzierungen. In der Beredsamkeit und Dichtkunst werden alle Nebenbegriffe, eingeschaltete Gedanken, Episoden die dem Wesentlichen mehr Annehmlichkeit geben; in der Musik die verschiedenen Manieren und Veränderungen,1 die bloß eine mehrere Annehmlichkeit zur Absicht haben, zu den Verzierungen gerechnet. Sie können überall, wo sie angebracht sind, weggenommen werden, ohne das Werk mangelhaft zu machen oder seine Art zu verändern.

 Die Verzierungen haben ihren Ursprung in dem allen Menschen angeborenen Geschmack für das Schöne. Es ist kaum ein Volk auf der Erde so roh, dass es für Verzierungen ganz unempfindlich wäre. Der noch halbwilde Mensch findet Geschmack an Geschmeide, womit er seine halb oder ganz nakende Glieder verziert und der in der höchsten Einfalt der Natur lebende Hirt zieret seinen Stab oder seinen Becher mit Schnitzwerk. Dieser Geschmack zeigt, dass in der menschlichen Natur etwas höheres und edleres sei als in der thierischen, die keine Empfindungen kennt als die aus körperlichen Bedürfnissen entstehen.

Völlige Unempfindlichkeit für alle Verzierung würde thierische Rohigkeit verraten; auf der anderen Seite hingegen, zeigt ein unmäßiger Geschmack an Verzierungen etwas kleines und kindisches. Wie die Vernunft bei kleinen Geistern in Spizfindigkeit ausartet, so artet der Geschmack am Schönen bei kindischen Gemütern in Ziererei aus.

 So gewiss es ist, dass ein mäßiger und von gesundem Geschmack begleiteter Gebrauch der Verzierungen, den Werken der schönen Künste Annehmlichkeit und Reizung gibt; so gewiss ist es auch auf der anderen Seite, dass überhäufte und ohne Geschmack angebrachte Verzierungen dass beste Werk verächtlich machen. Wenig und mit gutem Geschmack gewählter Schmuck, kann auch der schönsten Person noch Annehmlichkeit beilegen; aber wo alles von Geschmeid und Schmuck strozt, da wird die natürliche Schönheit verdunkelt.

 Ein vortreflicher Kunstrichter scheint die Verzierungen in den Werken der Beredsamkeit für Dinge zu halten, die man mehr dem gemeinen Liebhaber als dem Kenner zu gefallen, anbringt2. Wahre Kenner sehen überall auf das Wesentliche der Dinge und finden das größte Wohlgefallen an Vollkommenheit; wer aber nicht Gefühl genug hat durch die wesentliche Vollkommenheit der Dinge gerührt zu werden, ergötzt sich an angehängten Zierraten. So viel scheint gewiss zu sein, dass die größten Künstler in jeder Art auch die größte Sparsamkeit in Verzierungen zeigen. An den griechischen Gebäuden, die aus der guten Zeit der Kunst übrig geblieben sind, findet man nur wenig Verzierungen; äußerst verschwendet sind sie aber an den so genannten gothischen Gebäuden der mittlern Zeiten, die man durch Schönheit und Pracht unterscheiden wollte.

 Es ist kaum ein Teil der Kunst der mehr Geschmack und Beurteilung erfordert als dieser. Der Künstler tut wohl, der es sich zur Maxime macht, in Ansehung der Verzierungen lieber zu wenig als zu viel zu tun, da der gänzliche Mangel der Verzierungen kein Werk mangelhaft macht, die Überhäufung derselben aber, es gewiss verstellt.

 Es gibt Werke der Kunst, die kaum irgend eine Art der Verzierung zulassen. Wo starke oder tiefe Rührung des Herzens gesucht wird, folglich in pathetischen und zärtlichen Gegenständen, scheinen sie gar nicht statt zu haben. Man kann überhaupt dieses zur Grundregel der Verzierungen setzen, dass ein Werk um so viel weniger Zierrat verträgt, je mehr wesentliche ästhetische Kraft es besitzt. Man findet in den Philippischen Reden des Demosthenes und in den Catilinarischen und Philippischen des Cicero nichts von Schmuck, den der römische Redner sonst, wo er weniger ernsthaft war, vielleicht nur zu viel liebte. In bloß unterhaltenden Werken und überall, wo der Inhalt oder die Materie an sich weniger wichtig, weniger ernsthaft ist, können die Verzierungen zu Vermehrung der Annehmlichkeit viel beitragen.

 Der Künstler, dem es ein wahrer Ernst ist zu unterrichten oder zu rühren, denkt nicht an Verzierungen, die dazu nichts beitragen können; aber der, der belustigen will, muss, wenn sein Stoff dazu nicht hinreichend ist, seine Zuflucht zu Verzierungen nehmen. Die griechischen Fabeln, die dem Äsopus zugeschrieben werden und die lateinischen des Phädrus, sind fast durchaus ohne alle Verzierung; weil es den Verfassern im Ernst um Unterricht zu tun war: hingegen sieht man aus den häufigen Verzierungen in den Fabeln des La Fontaine, dass er mehr gesucht hat zu belustigen als zu unterrichten.

 Der Künstler hat aber nicht bloß zu beurteilen, wo sich Verzierungen schicken, sondern auch wie sie beschaffen sein sollen. Quintilian hat in wenig Worten gesagt, was sich hierüber sagen lässt. Ornatus virilis, fortis, sanctus sit: nec effeminatam levitatem, nec fuco eminentem colorem amet; sanguine et viribus niteat. Die Verzierungen sollen männlich, kräftig und keusch sein; sie sollen nicht weibischen Leichtsinn verraten, auch nicht bloßen Schimmer geben, sondern wahre ästhetische Kraft und Bedeutung haben.

 Die meisten in der reinen griechischen Baukunst gebräuchlichen Verzierungen, können als Beispiele zur Erläuterung dieser Foderungen angeführt werden. Man begreift beinahe bei allen, wie sie entstanden oder warum sie da sind, wie wir größtenteils in den Artikeln darüber angemerkt haben:3 und meist überall dienen sie das Ansehen der Festigkeit zu vermehren. Also sind sie nicht leichtsinniger Weise oder aus bloßem Eigensinn angebracht; fast überall sind sie einfach und von faßlicher Form, also nicht ausschweifend oder üppig; haben eine Bedeutung, in dem sie entweder zum Tragen oder Unterstützen dienen, wie die Kragsteine oder zum festern Verbinden, wie die Schlusssteine und die durchlaufenden Bänder und Gesimse oder sonst schickliche Nebenbegriffe erwecken, wie die Trophäen, Festonen und dergleichen. Nirgend sind sie bloßer Schimmer, der ohne bestimmten Zweck, bloß das Auge an sich lockt: nirgend verbergen sie die natürliche Form und einfache Gestalt der wesentlichen Teile, an denen sie angebracht sind.

 Hingegen sieht man in den späteren Gebäuden der Alten, die unter den Nachfolgern der ersten Kaiser aufgeführt worden, Verzierungen, die nichts von den erfoderlichen guten Eigenschaften an sich haben. Teile die stark und fest sein sollen, bekommen durch ausgeschnitztes Laubwerk das Ausehen als ob sie schwach und zerbrechlich wären. Man sieht Laubund Schnitzwerk, dessen Grund man nicht einsehen kann; ausgehauene Bilder an Schlusssteinen, die ein bloßes Ohngefähr oder eine völlig ausschweifende, abenteuerliche Phantasie dahin setzen konnte. Was seiner Natur nach gradeoder glatt sein sollte, ist zur vermeinten Zierde zerbrochen und verkröpft oder durch Schnitzarbeit kraus gemacht.

 Man kann kaum sorgfältig genug sein zu verhüten, dass die Verzierungen nicht am unrechten Ort angebracht, nicht zu überhäuft seien, nicht gegen die Art und gegen den Charakter des Werks oder der Teile, denen sie zur Zierde dienen sollen, streiten. Was nicht einen wesentlichen Teil hebt oder unterstützt oder angenehmer macht, was bloß angehängt ist, scheint verwerflich.

  Aber es wäre vergeblich eine Materie, wobei es mehr auf gründlichen und feinen Geschmack als auf entwickeltes Denken ankommt, umständlicher zu behandeln.

 


 © textlog.de 2004 • 19.03.2024 07:20:44 •
Seite zuletzt aktualisiert: 23.10.2004 
bibliothek
text
  Home  Impressum  Copyright  A  B  C  D  E  F  G  H  I  J  K  L  M  N  O  P  Q  R  S  T  U  V  W  Z