Versetzungen

Versetzungen. (Redende Künste) Es gibt auch in ausgebildeten Sprachen, die schon festgesetzte Regeln der Wortfügung haben, allemal noch viel Redesätze, wo die Ordnung der Wörter ohne Veränderung des Sinnes, verändert werden kann. Haller sagt von der Jugend:

Die sanfte Glut der Wollust wärmt ihr die Adern auf Ihrer Lüste Lauf hemmt kein Einfall der Vernunft. oder so:

Ihr wärmt die sanfte Glut der Wollust die Adern auf Den Lauf ihrer Lüste hemmt kein Einfall der

         Vernunft.

Veränderung der Ordnung der Worte, werden Versetzungen genannt. Es gibt aber Versetzungen, die den Sinn ändern. Wenn der erste der angeführten Verse so versetzt würde:

Wärmt der Wollust sanfte Glut ihr die Adern auf so würd es dem Satz seine absolut bejahende Bedeutung benehmen und ihn zu einer Frag oder zu einem bedingten Satze, Wenn ihr die Wollust etc. machen. Andere Versetzungen aber ändern den Sinn nicht, sie geben ihm nur eine verschiedene Wendung. Derselbe Gedanken bekommt in dieser Stellung

Der Wollust sanfte Glut wärmt ihr die Adern auf eine andere Wendung als in dieser:

 Die Adern wärmt ihr die sanfte Glut der Wollust auf.

Nach der ersten Wortfügung ist die Wollust, der Hauptbegriff, auf den es hier ankommt; und der Sinn ist so gewendet, dass man zuerst die Ursache, denn ihre Stärke und zuletzt ihre Wirkung sich vorstellen muss. Nach der anderen wird die Wirkung als die Hauptsache zuerst vorgestellt, danach ihre Ursache angezeigt.

 Dergleichen Versetzungen haben aber nur statt, insofern sie den grammatischen Regeln der Wortfügung nicht entgegen sind; denn wenn sie dieses wären, so würden sie anstößig sein. Man kann, ohne barbarisch zu reden, anstatt: Gestern ist er bei mir gewesen, nicht sagen: bei mir gestern ist er gewesen, wohl aber, er ist gestern bei mir gewesen.

 Ungrammatische Versetzungen sind überall zu vermeiden; weil sie in jeder Rede dem Ohr anstößig werden. Aus den Versetzungen aber, die ohne Verwirrung des Sinnes und ohne Beleidigung des Gehörs können vorgenommen werden, ziehen die redenden Künste so große und so mannigfaltige Vorteile, dass eine Sprache zur Beredsamkeit und Dichtkunst um so viel tauglicher ist, je mannigfaltigere Versetzungen sie zulässt.

 Es gibt Versetzungen die bloß den Wohlklang befördern, einen Satz leicht und wolfließend, und eine ganze Periode wohlklingend machen.

 Auch wird oft ein Redesatz bloß durch Versetzung zum Vers, ohne sonst irgend einen anderen Ton oder eine andere Wendung anzunehmen. Es ist dem Sinne nach vollkommen gleichgültig zu sagen: Jeder bringt den Mutterwitz auf die Welt; der Schulwitz wird nur durch Bücher gegeben oder: Den Mutterwitz bringt jeder auf die Welt, Der Schulwitz wird durch Bücher nur gegeben. Andremale dienen sie zum Nachdruck und zur Lebhaftigkeit der Rede:

 Was wahre Tugend ist, wird nie der Pöbel kennen.

ist weit lebhafter als dieses: Der Pöbel wird nie kennen, was wahre Tugend ist.

  Bisweilen geben sie der Rede den feurigen oder feierlichen poetischen Ton, der uns mit großem Nachdruck rührt. Hagedorn sagt im Ton der edelsten Begeisterung:

Verlohren ist der Tag und schändlich sind die

Stunden Die, wenn wir fähig sind, Bedrängten beizustehn, Beim Anblick ihres Harms uns unempfindlich sehn.

Ein großer Teil der Kraft würde diesem Satz entgehen, wenn man mit denselben Worte sagte: Der Tag ist verloren und die Stunden sind schändlich, die uns, wenn wir fähig sind u. s. w.

  Blos in den Versetzungen liegt so mannigfaltige und so wichtige ästhetische Kraft, dass es der Mühe wert wäre, die Beispiele davon zu sammeln. Denn anders ist es nicht wohl möglich, weder die verschiedenen Arten derselben anzuzeigen, noch ihre Wirkungen zu erkennen.

  Wir würden diese Sammlung etwa nach dieser Einteilung ordnen. 1. Versetzungen, deren Wirkung sich bloß auf Wohlklang erstreckt. 2. Die zur Deutlichkeit des Sinnes oder zur Kürze dienen. 3. Die dem Ton der Rede einen gewissen Charakter geben. 4. Die den Nachdruck verstärken und das Leidenschaftliche der Red fühlbarer machen.

 Es ist offenbar, dass für redende Künste die Sprach, die die meisten Vorzüge hat, zu allen Arten der Versetzungen die biegsamste ist. Wenn unsere Sprache der Griechischen und Lateinischen hierin nicht gleich kommt, so steht sie doch nicht leichte einer der jetzigen europäischen Sprachen nach. Aber diese Materie ist an sich so schwer, so weitläufig und für unsere Sprache besonders so wenig bearbeitet, dass ich mir nicht getraue ihre Behandlung hier vorzunehmen.

 


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