Vierstimmig

Vierstimmig. (Musik) Der Satz, der aus vier verschiedenen Stimmen besteht. Weil der vollständige konsonierende Dreiklang, außer dem Grundtone noch drei andere Töne in sich begreift1, so gründet sich die Kunst des vierstimmigen Satzes insofern er von anderen Arten des Satzes verschieden ist, darauf, dass durchaus die volle Harmonie genommen und die verschiedenen Töne derselben so in die vier Stimmen verteilt werden, dass jede einen reinen und fließenden Gesang habe.

 Doch geht es nicht allemal an, die Töne der vier Stimmen aus der vollständigen Harmonie zu nehmen; man muss bald wegen der Auflösung der Dissonanzen, bald des leichtern und schönen Gesangs halber, bisweilen ein Intervall daraus weglassen und dafür ein anderes verdoppeln. Selbst bei dem Septimenakkord, der einen Ton mehr hat als der Dreiklang, ist es bisweilen notwendig, dass die Quinte weggelassen und dagegen die Oktave des Basses verdoppelt werde.

 Wo bei dem vierstimmigen Satze Verdoppelungen notwendig werden, muss man sich nach den Regeln richten, die im vorhergehenden Artikel hierüber gegeben worden.2

 Übrigens ist anzumerken, dass zur Fertigkeit der Kunst des reinen Satzes, überhaupt eine fleißige Übung in vierstimmigen Sachen, das notwendigste sei. Wer in dem vierstimmigen Satz so geübet ist, dass er alle Stimmen nicht nur rein, sondern zugleich leicht und singbar zu machen weiß, hat die meisten Schwierigkeiten der Setzkunst überstiegen.

 Die wahre Vollkommenheit eines vier und mehrstimmigen Tonstücks besteht darin, dass wirklich jede Stimme einen schon an sich wohlklingenden, leichten und von den anderen wirklich verschiedenen Gesang enthalte. Denn wo eine Stimme mehr die Art einer bloßen Ripienstimme hat oder öfters mit einer anderen im Unisonus oder in der Oktave fortgeht, da wird der Gesang mehr drei als vierstimmig. Diese Vollkommenheit trifft man in den Werken der Neueren weit seltener an als bei den ältern Tonsetzern, die strenger auf den guten Gesang jeder der vier Stimmen hielten als man gegenwärtig zu tun pflegt. Die besten Muster, die man den angehenden Tonsetzer empfehlen kann, sind unstreitig die Kirchenlieder des unnachahmlichen J. S. Bachs.

 

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1 S. Dreiklang.

2 S. auch Verwechslung S. 1234 .

 


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