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Poesie ist Wortkunst

Es ist unmöglich, den Begriffsinhalt der Worte auf die. Dauer festzuhalten; darum ist Welterkenntnis durch Sprache unmöglich. Es ist möglich, den Stimmungsgehalt der Worte festzuhalten; darum ist eine Kunst durch Sprache möglich, eine Wortkunst, die Poesie.

Die deutsche Bezeichnung "Dichtkunst" ist unsäglich geschmacklos. Man hört förmlich, wie man sie und jedes ändert Handwerk erlernen könne. Man hört Gottsched aus dem Worte heraus. "Dichter" hat diesen Klang nicht für uns, weil wir etymologisch nicht mehr fühlen, daß es (wohl gewiß) aus dictare entstanden ist; weil wir ohne besondere Studien nicht wissen, daß es bis ins 17. Jahrhundert allgemein "Verfasser" bedeutete (Briefdichter). Die Empfindung für "die innere Sprachform" wechselt so leicht, daß Adelung erzählen konnte, "Dichter" sei für das verächtlich gewordene "Poet" aufgekommen. Poet hieß "Macher"; wurde im Altfranzösischen mit fatiste übersetzt, wie die provençalischen Poeten sich felibres (qui fait des libres) nennen. Fatiste, faitiste, factiste ist vielleicht volksetymologisch an faitise (Eleganz) angelehnt; aber es kommt offenbar direkt von faire, wie poiêtês von poiêin. Einmal nennt eine Frau ihren ungenügenden Mann einen lache factiste. "Poesie" besagte also zwar einmal handwerksmäßiges Machen, aber die Bedeutung ist vergessen, und so mag das Fremdwort gelten.

Poesie gehört zu den gesteigerten Sinnenreizen, die durch Worte, also indirekt, erregt werden. Noch kürzer könnte man sagen: Poesie sei Genuß durch Worte. Die Poesie des Dichters selbst kann ohne Worte bestehen, ein Genuß durch eine Phantasie, ein lasterhafter Genuß. Will er seinen Phantasiegenuß anderen mitteilen, um für den Lohn Hunger, Liebe oder Eitelkeit zu befriedigen, so bleibt ihm nur das Wort, wie dem Musiker Ton, dem Maler Farbe. Poesie ist Sinnenreiz durch Worte.