Zum Hauptinhalt springen

Geistreich

Der geistreiche Mensch kann zufällig auch klug oder stark oder gut sein, oder das und jenes zugleich. Und er kann dadurch ein bedeutender Mensch werden. Geistreich allein jedoch kann jeder Narr sein. Ja, zur Zeit, da es Narren von Beruf gab, waren "Narr" und "geistreich" synonym. Die Narren bei Shakespeare sind so unerträglich geistreich, daß Vischer (Ästhetik I, 430) den Rettungsversuch gemacht hat, diese Unerträglichkeit (die doch zu ihrer Zeit belustigte) zu einer Philosophie umzudeuten. "Sie wollen durch beständiges Mißverstehen, Verdrehen beschwerlich sein, damit jeder Begegnende zu erfahren bekomme, daß er auf die hausbackene geläufige Ordnung der Begriffe sich nicht zu viel einbilden dürfe, auf die Weisheit und Ernsthaftigkeit des methodischen Denkens und Verfahrens." Geistreich ist, wer reich an bereiten Begriffen ist, an bereiten Worten. Geistreich ist wortreich. Nur daß der träge Kopf, wenn er wortreich ist, synonyme Sätze häuft, der lebhafte, wortreiche Kopf aber zwischen heterogenen Begriffen umherspringt. Ist der geistreiche Mann geradezu dumm, so spricht er witzig. Wippchen ist witzig. Sein Witz heißt verächtlich Wortwitz, nur daß der witzige Dummkopf zunächst auf den Klang der Worte hört und sie nach dem Klange spielend verbindet. Der Geistreiche aber verbindet sie nach dem Gesetz der Tautologie und freut sich nebenbei an dem Spiel des Gleichklangs. Ist der geistreiche Mensch wenig gegenständlich, so hängt er seine Antithesen und Assonanzen um eine alte Fabel herum und wird dann vielleicht ein Dichter, wie Schiller einer war. Ist er ein abgründiger Pedant, so hängt er sie um einen alten Lehrsatz und heißt ein systematischer Philosoph, wie Hegel einer war.

Ein gutes Beispiel für den Reiz und für die Gefährlichkeit des Witzes gibt die Anwendung des Wortes oder des Zeichens Null in der Mathematik. Man kann z. B. eine gerade Linie mit wissenschaftlichem Witz eine Ellipse nennen. Je kleiner man die kleinere Achse annimmt, desto flacher wird ihre Gestalt; setzt man die kleine Achse = 0, so wird allerdings eine Gerade daraus. Das macht dem Schüler vielen Spaß und gibt Anlaß zu hübschen Spielereien.

Jedesmal aber, wenn die Null in eine Formel eingeführt wird, wird der Schüler nur dadurch witzig, daß er den Wert des Zeichens vergißt und die Null ebenso behandelt wie die Zeichen A, B und C. Selbst, wenn er nur + 0 und - 0 miteinander verwechselt, d. h. die Entstehung des Zeichens vergißt, kommt er zu sinnlosen Ergebnissen, wie in dem bekannten Beweise, daß 4 = 5 sei.

Und so macht es der Witz überhaupt, nicht nur der grobe Wortwitz. Er kümmert sich nicht um den ehrlichen Wert seiner Worte, er kennt nicht oder vergißt die Geschichte der Worte und treibt mit ihnen ein Spiel, das leicht den gefährlichen Reiz der Falschmünzerei erhält. Auch der berühmte klassische Witz: "Als Pythagoras seinen bekannten Lehrsatz entdeckt hatte, brachte er den Göttern eine Hekatombe dar. Seitdem zittern die Ochsen, so oft eine neue Wahrheit an das Licht kommt" — er geht auf den Namen Börnes, ist aber von Kästner — ist nur ein feiner Wortwitz; in Börnes Redaktion nur für den verständlich, der weiß, daß Rind oder Ochse, bei uns symbolisch für dumme Menschen, in der Etymologie von Hekatombe (bus) steckt.

* * *