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Maeterlinck

Diese Untersuchung wäre auf der Stelle beendet und entschieden, wenn wir uns der theoretischen Führung von Maurice Maeterlinck anvertrauen wollten.

Das heilige Schweigen ist sonst auch bei anderen Völkern im Sprichwort und in den Versen einsamer Dichter gefeiert worden. In Deutschland haben einst die Mystiker, dann später die Romantiker (Novalis) die heimliche Stimme des Schweigens verstehen gelehrt. Der ehrliche Justinus Kerner, Romantiker und Mystiker zugleich, hat das Gefühl in recht hübsche Verse gebracht.

"Poesie ist tiefes Schmerzen
Und es kommt das echte Lied
Einzig aus dem Menschenherzen
Das ein tiefes Leid durchglüht.

Doch die höchsten Poesien
Schweigen wie der tiefste Schmerz;
Nur wie Geisterschatten ziehen
Stumm sie durchs gebrochne Herz" ...

Leidenschaftlicher ist H. v. Kleist, auf manchem Gebiet ein wilder Gegner des Rationalismus. Er schreibt in verzweifelter Journalistenzeit (IV, 148): "Wenn ich beim Dichten in meinen Busen fassen, meinen Gedanken ergreifen und mit Händen, ohne weitere Zutat, in den Deinigen legen könnte, — so wäre, die Wahrheit zu gestehen, die ganze innere Forderung meiner Seele erfüllt." (Da tönt doch tiefere Sehnsucht, als aus Schillers Sprache der Seele.) Seit einiger Zeit haben auch die Franzosen, die berühmtesten Causeurs oder Schwätzer der Erde, die Heiligkeit des Schweigens empfinden gelernt, wie es scheint, unter dem Einfluß englischer und skandinavischer Schriftsteller, denen sie nach der großen Niederlage eine gute Wirkung auf den Charakter und auf die Vermehrung der Nation zutrauten. Bei einem feinfühligen Vollblutfranzosen wie Maupassant ist eine solche Andacht zum Schweigen nur vorübergehende Stimmung. Bei Maeterlinck wird diese Andacht zu einer Religion, und weil er ein Dichter ist und dennoch das Schweigen höher stellt als die Worte, so entsteht die eigentümliche Poesie, die bald rührend, bald komisch ist wie das schlafende Schweigen oder wie das unfertige Lallen eines Kindes.

Maeterlincks Poesie ist für mich ein Symptom dafür, daß die Überzeugung von der Wertlosigkeit der Sprache in der Luft liegt, wie man sagt, daß auch ganz unphilosophische Köpfe unabhängig voneinander zu ahnen anfangen, wie die Menschen mit all ihrem ungeheuren Wortschatz einander nicht mehr sagen können, als auch ein Blick, ein Seufzer oder eine Geste aussprechen könnte. Das Seltsame und in der Tat Komische dabei ist nur, daß die Poesie Wortkunst und nichts als Wortkunst ist und nun dennoch auf die geläufige Sprache erwachsener Menschen verzichten will. Bei einem Poeten wie Maeterlinck ist diese verstummende Poesie immerhin beachtenswert; er empfindet eben mehr, als seine Sprache auszudrücken gestattet. Bei seinen armen Nachahmern, welche ein Gefühl über die Sprache hinaus nur heucheln, wird dieses kindische Lallen zu einer lächerlichen Verirrung der Mode.