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Goethe

Für die Lehre, daß die Sprache ein untaugliches Werkzeug der Erkenntnis sei, jedoch ein gutes, ja das allerbeste Werkzeug der Kunst, trotzdem oder weil nicht einmal die Worte der Poesie sichere Anschauung zu geben vermöchten, — für diese Lehre liefern die unvergleichlichen Dichtungen Goethes die besten Belege. Aber das Sprachgenie Goethes sah, über seine poetische Lebensarbeit hinaus, mit erstaunlicher Schärfe auch die theoretischen Mängel der Sprache, und so darf ich ihn an dieser Stelle als Zeugen für meine Sprachkritik aufrufen. Alles Wertvolle findet sich schon bei ihm, wenn ihn auch seine glückliche Natur daran hinderte, das Unsagbare sagen zu wollen.

Goethe wußte es gar nicht, wie sehr er das Wort verachtete und wie sehr seine Wortverachtung, die Genialität einer intuitiven Sprachkritik, sein Leben und sein Denken beeinflußte. Die Stellen, in denen er das Wort verspottete, sind sehr zahlreich; manche sind sprichwörtlich geworden, wie die Verse über die Theologie in der Schülerszene:

"Denn eben wo Begriffe fehlen,
Da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein.
Mit Worten läßt sich trefflich streiten,
Mit Worten ein System bereiten,
An Worte läßt sich trefflich glauben,
Von einem Wort läßt sich kein Jota rauben."

Der Autoritätswert gerade dieser berühmten Worte ist für mich freilich gering, weil es sich nur um die Theologie handelt, und weil Goethe da auf die Bemerkung des Schülers: "Doch ein Begriff muß bei dem Worte sein" eben nur das Wort verhöhnt, den Begriff aber unangetastet läßt. Es stehen also diese Verse dem Standpunkte der Sprachkritik noch ganz fern.

Wie ein leiser Nachklang der nominalistischen Anschauung, daß Begriffe oder Worte nur flatus vocis seien, klingt es dagegen, wenn Egmont seine große Unterredung mit Alba durch den Satz abschließt: "Umsonst hab' ich so viel gesprochen; die Luft hab' ich erschüttert, weiter nichts gewonnen." Und wieder wie ein Nachhall dieser Sätze ist es, wenn Egmonts Klärchen schon in der nächsten Szene ihre eigene Agitationsrede also unterbricht: "Und so wechseln wir Worte, sind müßig, verraten ihn!" Beidemal steht da im Geiste Goethes dem Worte die Tat gegenüber, und wir werden daran erinnert, wie Faust den ersten Satz des Johannes-Evangeliums zu übersetzen versucht, zuerst ganz mechanisch "Im Anfang war das Wort" niederschreibt und nach verschiedenen Versuchen, die wahre Bedeutung des griechischen logos zu treffen, endlich die kühne Übersetzung wählt: "Im Anfang war die Tat". Auffallenderweise sind Wort und Tat in der Dichtung selbst gesperrt gedruckt.Wie tief diese Anerkennung der Tat und Verachtung des Worts im Wesen Goethes begründet war, das gäbe den Stoff zu einer besonderen Schrift über Goethe. Ich möchte hier nur auf zwei Punkte hinweisen und müßte ich dabei, weil sie noch nicht genug bemerkt worden sind, etwas Goethe-Philologie treiben.Zunächst das berühmte kleine Gedicht aus den venezianischen Epigrammen:

"Vieles hab' ich versucht, gezeichnet, in Kupfer gestochen,
Öl gemalt, in Ton hab' ich auch manches gedruckt,
Unbeständig jedoch, und nichts gelernt noch geleistet;
Nur ein einzig' Talent bracht' ich der Meisterschaft nah:
Deutsch zu schreiben. Und so Verderb' ich unglücklicher Dichter
In dem schlechtesten Stoff leider nun Leben und Kunst."

Das Epigramm hat den Auslegern viel Kopfschmerzen gemacht. Durften unsere Germanisten den großen Goethe sagen lassen, daß er die deutsche Sprache für den schlechtesten Stoff halte? Wenn man nun behauptete, der schlechteste Stoff sei nicht die deutsche Sprache, sondern der frivole Gegenstand der meisten dieser Epigramme, das Spiel der Liebe, so hatte man die Schwierigkeit umgangen, hatte Goethe sich selbst ein bißchen bemoralisieren lassen. Und doch klagt Goethe nachher im 77. Epigramme ausdrücklich:

"Einen Dichter zu bilden, die Absicht war' ihm (meinem Schicksale) gelungen,
Hätte die Sprache sich nicht unüberwindlich gezeigt."

Nein, Goethe meinte schon die Sprache und hatte, er, der Meister aller Meister, insbesondere auch etwas gegen die Bildsamkeit der deutschen Sprache einzuwenden. Schrieb er doch diese Epigramme nicht gar zu viele Jahre später, als Lessing verzweifelt daran dachte, seinen Laokoon französisch zu schreiben.

Als harte Kritik der deutschen Sprache wurden die Worte auch von den Zeitgenossen aufgefaßt. Klopstock läßt in einem geharnischten Epigramme die deutsche Sprache sagen: "Goethe, du dauerst dich, daß du mich schreibest. Wenn du mich kenntest, wäre dies dir nicht Gram: Goethe, du dauerst mich auch." Einige andere Verse Klopstocks würden uns aber einen Fingerzeig geben, wenn es noch nötig wäre. In seiner Ode "Die Sprache" äußert sich die ganze konventionelle Überschätzung der Sprache. "Des Gedankens Zwilling, das Wort, scheint Hall nur, der in der Luft hinfließt." Doch der Hall sei lebendig. Begeistert apostrophiert Klopstock die Sprache:

"Es erreicht die Farbe dich nicht, des Marmors
Feilbare Last, Göttin Sprache, dich nicht!
Nur Weniges bilden sie uns:
Und es zeigt sich uns auf einmal.
Dem Erfinder, welcher durch dich des Hörers
Seele bewegt, tat die Schöpfung sich auf?"

Diesem Überschwang gegenüber fühlte Goethe die Grenzen der Sprache; und weil er sie nur fühlte, weil ihn die Zeitströmung und eigener Dilettantismus Malerei und Bildhauerei allzu hoch stellen ließ als Schöpferinnen von Kunstwerken, welche wirklich sind, darum wohl sah er in der Sprache überhaupt, nicht in der deutschen Sprache, den schlechtesten Stoff, einen schlechteren Stoff als Farbe und Ton und Marmor.