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Not

Nur im Deutschen haben wir aus dem gleichen Stamme zwei verschiedene Worte, Not und Notwendigkeit, für die Begriffe Mangel und Zwang; französisch nécessité und englisch necessity kann beides bedeuten. Das Wort notwendig findet sich bei Luther noch nicht. Notwendigkeit im philosophischen Sinne wird erst im 18. Jahrhundert üblich; anstatt Notwendigkeit im Sinne des Erforderlichen sagte man früher Notdurft, anstatt notwendig im Sinne von zwingend sagte man früher nötig. Auch für die philosophische Wortgeschichte ist es nicht uninteressant, daß in Redensarten wie eines ist Not ursprünglich eines ein Genetiv war, später selbst vom Sprachgefühl eines Goethe für einen Nominativ genommen wurde, so daß not adjektivischen Charakter erhielt und die Redensart sich in der Form festsetzte: es ist not.

Wir werden (Vgl. Art. Notwendigkeit) sogleich erfahren, daß der negative Begriff Notwendigkeit die unzerreißbare Kette des Kausalgeschehens ausdrückte. Was muß, geschieht. Dem gegenüber haben die Menschen sich immer von einem unvorstellbaren Gesetzgeber abhängig gefühlt und diese Abhängigkeit in einem Sollbegriffe verdichtet: was soll, das muß geschehen. In den Gebieten der Ästhetik und der Moral will der Sollbegriff herrschen.

Gegen den Sollbegriff in der Kunst hat seit jeher praktisch jeder freie Künstler, hat seit einigen Jahrzehnten theoretisch auch die Kunstschreiberei rebelliert. In Stoff und Form der künstlerischen Darstellung wird mehr und mehr begriffen, daß die wahre Freiheit in der Anerkenntnis der Tatsache besteht: der Künstler darf schaffen, was er schaffen muß; er soll nur schaffen, was er schaffen muß. Die Not, im Sinne des Mangels am Notdürftigen, zwingt freilich oft zu dem, was künstlerisch nicht notwendig wäre. Aber diese Not ist auch, wie in der Kulturgeschichte, die Antreiberin zu jedem Fortschritt gewesen.

In der Moral, für den gewissenlos handelnden Menschen, will man den Sollbegriff nicht preisgeben, den Stützer von Thron und Altar. Nur gerade auf demjenigen Gebiete des Handelns, das täglich einer begrifflichen Kritik unterworfen wird, auf dem Gebiete des Rechts, hat man die Härte des Sollbegriffs, des unmenschlich kategorischen Imperativs, altjüngferlich genug gemildert durch die Begriffe des Notrechts, des Notfalls, der Notwehr. Die Menschen sind so frei, von dem Notrechte einen viel ausgiebigeren Gebrauch zu machen, als die Juristen gestatten.