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Idealismus

I.

In dieser Form ist es ein verhältnismäßig junges Wort; aber es war von Anfang an verworren, und selten verstehen zwei Menschen, die es gebrauchen, unter Idealismus dasselbe. So bunt wie der Begriff Idee schillert, so auch die Ableitung Idealismus. Man schlage ein besseres französisches Wörterbuch auf und man wird sehen, was alles im Laufe von 2000 Jahren aus den alten platonischen Ideen geworden ist. Die französische idée muß man je nach Umständen übersetzen mit Begriff, Vorstellung, Bild, oder mit Gedanke, Einfall, oder mit Meinung, Plan, oder gar mit Entwurf, Skizze. Wenn wir eine fremde Sprache lesen und gewissenhaft genug sind, so unterlassen wir es nicht, in solcher Weise zu fragen, welcher der uns gewohnten Begriffe sich wohl mit dem ausländischen Worte decken möge. In deutschen Schriftstellern der letzten hundert Jahre finden wir das deutsche Wort Idee nacheinander und durcheinander in allen seinen französischen Bedeutungen und dazu noch in einigen anderen. Selbst die Bedeutung ein Tröpfchen, eine Spur, ein Wenig, haben wir zuletzt aus dem Französischen entlehnt; es ist ein langer und interessanter Weg von den platonischen Ideen zu der Antwort: »Eine Idee!« auf die Frage: »Soll ich Ihnen Kognak in Ihren Kaffee gießen?« und doch ist es ganz falsch, zwischen Begriff und Wort deshalb unterscheiden zu wollen, weil dasselbe Wort so vielerlei bedeuten kann; mit dem Worte ist auch der Begriff gleichgeblieben, nur daß je nach den Umständen unsere Aufmerksamkeit sich auf dieses oder jenes seiner Merkmale gerichtet hat. Die platonischen Ideen sind die unsichtbaren Mütter der wirklichen Dinge; halten wir die Unsichtbarkeit im Auge, so wird die platonische Idee zum Bilde für eine kleine Menge Kognak, für so viel, daß es kaum zu sehen ist. Freilich werden solche Begriffe oder Worte durch den langen Gebrauch unbrauchbar für Erkenntniszwecke, so wie abgegriffene Scheidemünzen unbrauchbar werden für den Verkehr; das aber wissen wir längst.

Idealismus wird also ungefähr diejenige Weltanschauung bedeuten, die auf Ideen beruht. Bei der Vieldeutigkeit des Wortes Idee werden wir von vornherein vermuten, daß auch die idealistische Weltanschauung vieldeutig sein müsse. Am beliebtesten war das Wort vor bald hundert Jahren, als der Rhetoriker Fichte die Erbschaft Kants anzutreten schien und der Rhetoriker Schiller begann, der populärste Dichter Deutschlands zu sein. Damals atmeten die Männer und Jungfrauen tiefer und blickten stolzer aus ihren Augen, wenn sie sich Idealisten nannten. Dieser Idealismus vermischte schon ganz unzusammengehörige Dinge miteinander. Dieser Idealismus glaubte Metaphysik zu lehren, daß nämlich der Geist, die Idee gegenüber der körperlichen Welt das Höhere sei, das Frühere; und bis in die Hegelei hinein hat sich diese Bedeutung des Idealismus einseitig fortentwickelt. Derselbe Idealismus wiederholte aber auch – ohne den tiefgehenden Gegensatz zu fühlen – die erkenntnistheoretische Lehre der Engländer und Kants, daß nämlich unser Wissen von der Wirklichkeit nur auf unseren Ideen (in diesem Sinne: Vorstellungen) beruhe und daß wir von den wirklichen Dingen nichts weiter wissen, also überhaupt gar keine Metaphysik besitzen. In diesen beiden Bedeutungen war der Idealismus freilich selbst für Schiller nur eine Sonntagsandacht und schwebte dem Publikum Schillers nur schattenhaft als eine neue Religion vor. Niemand ahnte, daß eine Welt die metaphysischen Ideen (die Mütter) und die erkenntnistheoretischen Ideen voneinander trennte; daß da der alte Streit zwischen Realismus (Wortrealismus) und Nominalismus zu erneuern gewesen wäre. Eigentlich war der Begriff Idealismus mehr so etwas, was man den Menschen in ihr Gewissen hineinschob, eine unklare Moralfrage, eine Charakterfrage. Idealistisch war ein Held der Geschichte oder der Bühne, wenn er mit der tatsächlichen Welt, mit den wirklichen Menschen recht unzufrieden war, wenn er die Menschen anders haben wollte als sie waren. Dieser Idealismus verrät seine Abstammung von moralischen Begriffen sofort dadurch, daß er die Menschen zwingen möchte, etwas zu sollen. Die Lieblingsgestalten Schillerschen Idealismus passen nicht in diese Welt, sie gehen zugrunde, und das ist das Los des Schönen auf der Erde. Max und Thekla. Erst in unseren Tagen hat die Dichtung versucht, diese »idealen Forderungen« mit Bewußtsein abzustreifen. Und um die Sprachkonfusion voll zu machen, ist der moralische Idealismus Schillers zugleich schon ein künstlerisches Glaubensbekenntnis, wobei sich dieser Idealismus, der gemeinsam für die kalten Formen antiker Plastik und für die kalte Tugend antiker Republiken schwärmt, wieder einen politischen Idealismus zurechtmacht, der seinerseits im Blutvergießen der französischen Revolution kaum wiederzuerkennen ist. Man bemerkt also, daß das Wort Idealismus schon in der Schillerzeit durcheinander an Begriffe erinnerte, die der Metaphysik, der Psychologie, der Ethik, der Ästhetik und der Politik angehören. Nun ist es für uns gar nicht fraglich, daß die Vorstellungskreise dieser Disziplinen begrifflich gar nichts miteinander zu tun haben. Man darf nicht etwa glauben, daß das Wort Idealismus damals einen höheren Sinn gehabt habe, der alle diese Wissenschaften überragte. Man muß den Mut haben, zuzugestehen, daß Schiller selbst nicht wußte, woran er deutlich dachte, wenn er sich und seine Leser für den Idealismus begeisterte. Wenn Goethe demgegenüber von einem Realismus sprach, der ihm angeboren sei, so wollte er eben nur in seiner Weise feststellen, daß er den Mode-Idealismus nicht anerkannte, daß er ihn negierte; anders als durch diese Negation hätte er seinen Realismus wieder kaum definieren können.

Ich habe nichts dagegen, daß man diesen Schillerschen Idealismus, der mit all seiner Verwirrung bis auf uns gekommen ist, eine Weltanschauung nennt. Wir wissen ja, wie wenig eine Weltanschauung ist. Eine Stimmung, eine Neigung, bestimmte Gruppen unseres Sprachschatzes vor den anderen im Gedächtnis zu haben, sie sich schneller einfallen zu lassen. Aber diese schöne Weltanschauung bekam noch zu Schillers Lebzeiten einen unheilbaren Knax weg. Schon trat Napoleon auf, in künstlerischer und politischer Beziehung ganz und gar der stärkste Vertreter der französischen Revolution und darum als Nachahmer und Bewunderer der Antike (er ließ sich römisch malen und bewunderte die Hofdichter Ludwigs XIV.) eigentlich ein Idealist reinsten Wassers in Politik und Ästhetik. Er kam nach Deutschland, ließ sich klug über alles belehren, er fand ein gebildetes Deutschland, das sich stolz ein Volk von Idealisten nannte, und gebrauchte das verächtliche Wort Ideologen. Ideologe ist begrifflich mit Idealist identisch. Es ist einer von den Zufällen der Sprachgeschichte, daß das verächtliche Wort Napoleons nicht geradezu Idealist geheißen hat. Der gute französische Ausdruck lautet: idéologiste. Und nun ist es nicht zu leugnen, daß die Bezeichnung Idealist heutzutage, in Bismarcks Deutschland, etwas von der verächtlichen Nebenbedeutung in sich faßt. Wenn wir von einem Menschen sagen, er sei ein Idealist, so meinen wir genau wie die Zeitgenossen Schillers, er passe nicht in diese Welt; was aber bei Schiller das höchste Lob war, ist zum spöttischen Tadel geworden. Natürlich, denn die jenseitige Welt – die des Glaubens sowohl wie die der Phantasie – ist aus unserer Weltanschauung ausgeschieden, und ein Mensch, der in diese Welt nicht paßt, ist überhaupt ein unbrauchbarer, ein dummer Mensch. Genau so ist häufig die Bezeichnung ein guter Mensch eine verächtliche Bezeichnung, in welcher vielleicht bereits der Begriff gut sich anschickt, seine Bedeutung zu ändern. Vielleicht wird gut nach einigen hundert Jahren soviel wie dumm heißen, wie die alte Bezeichnung für recht, gerade (ahd. sleht) uns heute so viel wie böse bedeutet. Und man glaube nicht, daß die Geringschätzung des Idealismus im praktischen, moralischen Sinne unabhängig sei von der philosophischen Bedeutung des Worts, von Psychologie und Metaphysik. Genau so wie Politiker und andere Geschäftsleute heute über den praktischen Idealismus lächeln, so lächeln Professoren und Studenten über den theoretischen Idealismus, über die idealistischen Systeme von Fichte und Hegel.

Blicken wir in diese unheilbare Verwirrung des Sprachgebrauchs hinein, so werden wir natürlich geneigt sein, still zu lächeln, so oft wir das schöne Wort Idealismus hören oder lesen. Ich habe schon öfter darauf hingewiesen, daß der Realismus der mittelalterlichen Scholastiker so ziemlich mit unserm modernen metaphysischen Idealismus zusammenfällt. Was kann die Sprache noch tolleres leisten, als daß sie dasselbe Wesen zuerst Realismus nennt und dann Idealismus. Fair is foul, and foul is fair, wie Macbeths Hexen singen. Der mittelalterliche Realismus ist der Glaube an die Wirklichkeit der platonischen Ideen; er glaubt, daß der Begriff Tier eine Realität bedeute, an welcher das einzelne lebendige Tier Anteil habe. Etwas anderes steckt auch nicht hinter unserm modernen Idealismus. Er ist der Glaube an die Priorität, an die wirkliche Herrschaft der Ideen. In der Metaphysik ist er der Glaube, daß die Idee oder der Geist die Welt hervorgebracht habe; in der Ethik ist er der Glaube, daß die Idee oder das Gesetz etwas außerhalb und über dem Menschen sei. In der Politik ist der Idealismus der Glaube, daß die Idee oder das Recht etwas außerhalb und über den menschlichen Gesellschaften sei; in der Ästhetik ist er der Glaube, daß die Idee oder die Form das Höhere sei, dem sich die Wirklichkeit zu beugen habe.

Ich habe bei diesem Überblick die Psychologie fortgelassen; mit guter Absicht. Denn in der Psychologie beißt sich die Schlange in den Schwanz, und der alte Gegensatz zwischen Nominalismus und Realismus, der in unserer Sprache zum Gegensatz von Realismus und Idealismus geworden ist, hätte auf der Stelle verschwinden müssen, wenn – ja wenn Kant mit seiner Erkenntnislehre Ernst gemacht hätte, wenn er nicht immer wieder scheu nach Metaphysik und Ethik hinübergeschielt hätte. Es war nämlich trotz alledem im Laufe des Mittelalters die platonische Idee so auf den Hund gekommen, daß sie (ich erinnere wieder an das französische idée, lateinisch idea) kaum mehr etwas anderes bedeutete als unsere Begriffszeichen für Vorstellungen oder unsere Vorstellungen selbst. So lange man nun an eine Wirklichkeitswelt (neben unseren Vorstellungen von ihr) glaubte, so lange schien der Gegensatz zwischen den Dingen und unseren Vorstellungen von ihnen, zwischen dem Realen und dem Idealen, einen leidlichen Sinn zu haben. Nun aber wurde durch die Engländer und durch Kant das Ding-an-sich aus unserem Denken hinausgeworfen, die Wirklichkeitswelt wurde erkannt als unsere Vorstellung, als unsere bloße und unüberschreitbare Vorstellung. So war – da Idee auch nichts weiter bedeutete als unsere Vorstellung – Wirklichkeit und Idee zusammengefallen und man hätte die beiden Begriffe Realismus und Idealismus standesgemäß begraben und die Kritik der reinen Vernunft in einem steinernen Symbol auf den Hügel legen müssen. Man hat es nicht getan und beide Begriffe treiben sich unbestattet als Gespenster weiter in unserem Sprachschatz umher.

II.

Vom sprachkritischen Standpunkte aus wird es richtig sein, noch mit einem Worte auf die ästhetische Bedeutung von Idealismus und Realismus zurückzukommen; denn in diesen Vorstellungskreis gehört auch die Poesie, die Kunst durch Sprache; während wir eben die Forderung gestellt haben, die Begriffe Idealismus und idealistisch aus der Sprache hinauszuwerfen, haben wir nun plötzlich den Gegensatz von realistischer und idealistischer Sprache wieder vor uns. Man kann wohl sagen, daß der Idealismus in der Poesie diejenige Geistesrichtung bedeute, die an solche unbestattete Gespenster glaubt und sie darum für ihre Gestalten wie für ihre Sprache verwendet. Und weil es von der Gesamtentwicklung des Menschengeistes abhängt, welche Worte noch für lebendig und welche für tot gelten, darum sind auch in der Poesie Idealismus und Realismus relative Begriffe. Bei Dante sind Himmel und Hölle noch reale Begriffe, bei Klopstock und im zweiten Teil des Faust sind sie ideal. Bei Homeros – um noch deutlicher zu sein – sind selbst die Schatten der Unterwelt real und können darum mit realistischer Sprache dargestellt werden; bei Klopstock ist der Messias selber nicht mehr so recht real und darum zerfließt seine Darstellung in gespensterhaft idealistischen Worten. Sobald aber die Relativität dieser Begriffe halbwegs zum Bewußtsein kommt, sucht die Sprache sich ihrer wenigstens auf diesem Gebiete zu entledigen. Vor 60 Jahren noch stellte sich der dichterische Realismus, als er die wirklichen Menschen bei ihrer wirklichen Arbeit aufzusuchen versprach, ganz zuversichtlich dem Idealismus gegenüber, der die Menschen am liebsten in Engel und Teufel eingeteilt hätte. Als aber in Malerei und Poesie die wirkliche Arbeit wirklicher Menschen immer schärfer beobachtet worden war, als – wieder von der Politik her – die grausame Not der ärmsten Menschen, die man besonders die Arbeiter nennt, unvermeidlich vor den Augen stand, da genügte plötzlich der bescheidene Realismus der 50er Jahre nicht mehr und man begann dieselbe Darstellung wirklicher Arbeit mit einem neuen Worte Naturalismus zu nennen. Das Wort war nicht ganz neu; vor 200 Jahren hatte es in der Metaphysik oder Theologie diejenige Anschauung bezeichnet, welche Gott und Natur einander gleichstellte und dabei selbst das Wort Gott zu vermeiden anfing. Unsere Pfaffen gebrauchen das Wort Naturalismus immer noch in dem alten Sinne und freuen sich, wenn sie den Naturalisten der Poesie diesen alten Naturalismus oder Atheismus nachweisen können. Wieder gerät die Sprache in Verwirrung. Es kann kein Zweifel für uns sein, daß ein moderner Dichter oder Maler das Arbeiterelend idealistisch darstellen könnte und eben so das Leben des Heilands naturalistisch, wie das ja auch sohon geschehen ist.

Es bleibt mir noch übrig, wenigstens kurz (eine Sammlung aller Tatsachen der Wortgeschichte würde ein stattliches Buch füllen) auf den Weg hinzuweisen, den die Idee von Platon aus nehmen mußte, um zum praktischen Idealismus mit seinem Sollbegriff zu führen. Die Lateiner hatten das griechische Wort einfach herübergenommen; idea war ihnen ganz platonisch ein Urbild, ein Schöpfungsgedanke, nach welchem sich das Individuum richtet, ein exemplar, im lateinischen Sinne, ein ausgewähltes Beispiel oder Muster, also in populärer Vorstellung doch sohon etwas Vollkommenes, Fehlerfreies, nach dessen Bilde sich das einzelne Exemplar (in unserem Sinne) richtete. Das Adjektiv idealis kommt bei guten römischen Schriftstellern nicht vor. Erst die Scholastiker bilden dieses Wort und meinen: »was sich auf die ideae, die Urbilder bezieht«. Sobald aber das Wort idea anfängt, von der erwachenden Psychologie auf die Vorstellungen oder Gedanken des Menschen angewandt zu werden, erhält das Adjektiv idealis eine Beziehung auf das menschliche Vorstellen. Und dieser Sprung in der Wortgeschichte scheint zuerst von Occam gewagt worden zu sein, ganz konsequent, denn der große Begründer des Nominalismus verlegte ja Platons Ideen in die allgemeinen Begriffe oder Worte der menschlichen Sprache. Aus dieser Weltanschauung, die also in einem Gegensatze stand zum Platonismus, entwickelte sich der metaphysische oder noch später der erkenntnistheoretische Idealismus, der sich besser (wir haben im Deutschen wie im Französischen die Unterscheidung zwischen ideal und ideell) Ideellismus genannt hätte: die gedankenhafte, vom Ich abhängige Weltanschauung. Denn aus dem Adjektiv idealis hatte sich seit dem 17. Jahrhundert ein Substantiv herausgebildet, ideale, unser Ideal, das unmittelbar auf Platons Weltanschauung zurückging, das Vollkommenste in jeder Art bezeichnete, und bei der Richtung des 18. Jahrhunderts auf Ethik und Ästhetik bald den Sollbegriff in sich einschloß. Versteckt ist dieser Sollbegriff schon in Kants Erklärung: »Diese Ideale, ob man ihnen gleich nicht objektive Realität zugestehen möchte, sind doch um deswillen nicht für Hirngespinste anzusehen, sondern geben ein unentbehrliches Richtmaß der Vernunft ab, die des Begriffs von dem, was in seiner Art ganz vollständig ist, bedarf, um danach den Grad und die Mängel des Unvollständigen zu schätzen und abzumessen.« Ein Begriff der praktischen Vernunft also eigentlich, ein höchstes Wertmaß, ein Urbild, das nie ganz verwirklicht werden kann, nach dessen Verwirklichung aber man streben soll. Und Liebmann hat denn auch ganz unbefangen das Ideal definiert als »den Gedanken dessen, was sein soll, was nach bekannten oder unbekannten Normalgesetzen als wertvoll erkannt und daher vom Gewissen postuliert wird.« Das Ideal ist zu einer Sehnsucht geworden, die zu empfinden der Mensch verpflichtet ist.

Ich füge ein Kuriosum hinzu. Nach einer Notiz Lessings (Ausg. Hempel XIX, S. 392) »scheint Lana das Wort (Substantiv) Ideal zuerst gebraucht zu haben«. Und dieser Franciscus Lana, ein Jesuit, war derselbe Mann, der im 17. Jahrhundert zuerst eines der technischen Ideale unserer Zeit aufstellte, das lenkbare Luftschiff, die Kunst per aërem volandi et navigandi ope globorum metallicorum; die Metallkugeln, aus leichten Metallstreifen, sollten das Schiff, und Menschen darin, in die Luft heben. Man kann die Beschreibung in Morhofs Polyhistor (II, 2, 4, 4) finden.

Der vorsichtige Ausdruck Lessings wird dadurch erklärt, daß das Wort ideale bei Lana ebenso gut als Adjektiv wie als Substantiv aufgefaßt werden könnte; jedenfalls wird da schon der Gegensatz zwischen idealer und naturalistischer Malerei scharf ausgesprochen. Es heißt bei Lana: »Io vorrei, che li pittori pigliassero le sue parti dal naturale, nè sò intendere, perchè debba esser più bella una figura dipinta a capriccio, che chiamano di maniera, ed io la direi ideale, di quella che è presa dal naturale.« Lessing bemerkt dazu (a. a. O. S. 406): »Doch will Lana auch nur, daß sie die einzelnen Teile von der Natur, nicht aber alle Teile von einem und demselben Menschen nehmen, sondern an verschiednen die schönsten Teile aussuchen sollen. Und weiter versteht man auch itzt nichts unter dem Ideale.«