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Reich der Tugend

Reich der Tugend. Die Menschen verderben einander wechselseitig in ihrer moralischen Anlage und machen einander böse. Die Herrschaft des guten Prinzips unter den Menschen ist nun nicht anders erreichbar als durch „Errichtung und Ausbreitung einer Gesellschaft nach Tugendgesetzen und zum Behuf derselben; einer Gesellschaft, die dem ganzen Menschengeschlecht, in ihrem Umfange sie zu beschließen, durch die Vernunft zur Aufgabe und zur Pflicht gemacht wird. — Denn so allein kann für das gute Prinzip über das böse ein Sieg gehofft werden. Es ist von der moralisch-gesetzgebenden Vernunft außer den Gesetzen, die sie jedem einzelnen vorschreibt, noch überdem eine Fahne der Tugend als Vereinigungspunkt für alle, die das Gute lieben, ausgesteckt, um sich darunter zu versammeln und so allererst über das sie rastlos anfechtende Böse die Oberhand zu bekommen.“ „Man kann eine Verbindung der Menschen unter bloßen Tugendgesetzen nach Vorschrift dieser Idee eine ethische und, sofern diese Gesetze öffentlich sind, eine ethisch-bürgerliche (im Gegensatz der rechtlich-bürgerlichen) Gesellschaft oder ein ethisches gemeines Wesen nennen. Dieses kann mitten in einem politischen gemeinen Wesen und sogar aus allen Gliedern desselben bestehen... Aber jenes hat ein besonderes und ihm eigentümliches Vereinigungsprinzip (die Tugend) und daher auch eine Form der Verfassung, die sich von der des letzteren wesentlich unterscheidet. Gleichwohl ist eine gewisse Analogie zwischen beiden, als zweier gemeinen Wesen überhaupt betrachtet, in Ansehung deren das erstere auch ein ethischer Staat, d. i. ein Reich der Tugend (des guten Prinzips), genannt werden kann, wovon die Idee in der menschlichen Vernunft ihre ganz wohlbegründete objektive Realität hat (als Pflicht, sich zu einem solchen Staate zu einigen), wenn es gleich subjektiv von dem guten Willen der Menschen nie gehofft werden könnte, daß sie jemals zu diesem Zwecke mit Eintracht hinzuwirken sich entschließen würden“, Rel. 3. St. am Anfang (IV 106 f.). Ein ethisch-bürgerlicher Zustand ist der, bei dem die Menschen unter zwangsfreien öffentlichen Rechtsgesetzen, d. h. „bloßen Tugendgesetzen“ stehen. Zu diesem Zustand gehen sie aus dem „ethischen Naturzustand“ heraus; durch freiwillige Verbindung, nicht durch Staatszwang kann dies geschehen, wenn auch alles mit der Pflicht des Staatsbürgers vereinbar sein muß. Da die Tugendpflichten das ganze menschliche Geschlecht angehen, so ist „der Begriff eines ethischen gemeinen Wesens immer auf das Ideal eines Ganzen aller Menschen bezogen, und darin unterscheidet es sich von dem eines politischen“. Von dem absoluten ethischen Ganzen ist jede darauf hinstrebende partielle Gesellschaft nur ein „Schema“, ibid. 3. St. 1. Abt. I (IV 108 f.). Es besteht hier eine Pflicht „des menschlichen Geschlechts gegen sich selbst“. „Jede Gattung vernünftiger Wesen ist nämlich objektiv, in der Idee der Vernunft, zu einem gemeinschaftlichen Zwecke, nämlich der Beförderung des höchsten als eines gemeinschaftlichen Guts bestimmt. Weil aber das höchste sittliche Gut durch die Bestrebung der einzelnen Person zu ihrer eigenen moralischen Vollkommenheit allein nicht bewirkt wird, sondern eine Vereinigung derselben in ein Ganzes zu ebendemselben Zwecke, zu einem System wohlgesinnter Menschen erfordert, in welchem und durch dessen Einheit es allein zustande kommen kann, die Idee aber von einem solchen Ganzen, als einer allgemeinen Republik nach Tugendgesetzen, eine von allen moralischen Gesetzen (die das betreffen, wovon wir wissen, daß es in unserer Gewalt stehe) ganz unterschiedene Idee ist, nämlich auf ein Ganzes hinzuwirken, wovon wir nicht wissen können, ob es als ein solches auch in unserer Gewalt stehe: so ist die Pflicht der Art und dem Prinzip nach von allen anderen unterschieden.“ Es bedarf eines „höheren moralischen Wesens“, durch dessen allgemeine Veranstaltung die für sich unzulänglichen Kräfte der einzelnen zu einer gemeinsamen Wirkung vereinigt werden, ibid. II (IV 111 f.). In einem ethischen Gemeinwesen kann nicht das Volk selbst als gesetzgebend angesehen werden, aber auch nicht ein statutarisch-äußerlich zwingender Oberer, sondern nur ein solcher Gesetzgeber, „in Ansehung dessen alle wahren Pflichten, mithin auch die ethischen, zugleich als seine Gebote vorgestellt werden müssen; welcher daher auch ein Herzenskündiger sein muß, um auch das Innerste der Gesinnungen eines jeden zu durchschauen und, wie es in jedem gemeinen Wesen sein muß, jedem, was seine Taten wert sind, zukommen zu lassen“. „Dieses ist aber der Begriff von Gott als einem moralischen Weltherrscher. Also ist ein ethisches gemeines Wesen nur als ein Volk unter göttlichen Geboten, d. i. als ein Volk Gottes, und zwar nach Tugendgesetzen, zu denken möglich“, ibid. III (IV 112 f.). Die Idee eines Volkes Gottes ist (unter menschlicher Veranstaltung) nicht anders als in der Form einer Kirche (s. d.) auszuführen, ibid. IV (IV 114). „Der allmähliche Übergang des Kirchenglaubens zur Alleinherrschaft des reinen Religionsglaubens ist die Annäherung des Reiches Gottes“, ibid. VII (IV 132); vgl. Kirche, Religion, Glaube.