Beweis - Ton der Wahrheit und Überzeugung


Eine wichtige Sache bei dem Beweisen ist auch der Ton, in welchem sie vorgetragen werden. Man bemerkt bisweilen einen gewissen Ton der Wahrheit und der Überzeugung von Seite des Redners, der uns sanft, aber unwiderstehlich, zum Beifall nötigt, wenn wir auch sonst die Stärke des Beweises nicht einsehen, ja selbst da, wo gar kein Beweis angegeben wird. Denn so wie wir geneigt sind, mit dem traurigen zu trauren und mit dem lachenden zu lachen, so fühlen wir auch einen Hang demjenigen Beifall zu geben, wovon wir andere überzeugt sehen. Es wird nicht überflüssig sein hier ein Beispiel anzuführen, darin dieser Ton der Wahrheit sich klar bemerken lässt, da man ohne dem ihn nicht beschreiben, sondern nur an Beispielen merklich machen kann.

In der Andromache des Euripides wird diese unglückliche Prinzeßin von der Hermione beschuldigt, dass sie durch allerhand Künste die Zuneigung des Neoptolemus gewonnen und ihn ihr als der rechtmäßigen Gemahlin und der Tochter des Menelaus entzogen habe. Andromache beweißt ihre Unschuld in folgender Rede.

»Sage mir doch, du junge, unerfahrne Königin, worauf sollte sich mein Vorsatz, dich aus dem rechtmäßigen Ehebett zu vertreiben, gründen können? Ist etwa jetzt Sparta geringer als die phrygische Troja und geht diese jener an Glückseligkeit vor? Bin ich etwa frei oder jung oder zur Wollust gebildet? Kann ich etwa aus Stolz auf die Macht meiner (in der Asche liegenden) Vaterstatt oder auf meine (umgebrachte) Freunde, es versuchen, an deiner Statt in deinem Hause zu herrschen? Sollte ich etwa Lust haben deine Unfruchtbarkeit hier zu ersetzen und Kinder zu gebähren, mir zur größten Last, und dass sie dir künftig zu Sclaven dienten? Bilde ich mir etwa ein, dass die Griechen des Hektors halber mich so sehr lieben, dass sie meine Kinder, wenn du keine hast, zu Königen dieses Landes machen? u. s. w.«. [Enrip. Androm. VI. 190-202] 

Jedermann fühlt den Ton der Wahrheit, womit Andromache hier ihre Unschuld beweißt.

Wenn dieser Ton der Wahrheit zugleich durch den wirklichen Ton der Stimme, durch die Stellung und Gebehrdung des Redners unterstützt wird, dass der Zuhörer fühlt, er rede aus innerster Überzeugung, so wird sein Beweis die volle Wirkung tun. So lange der Zuhörer ohne Vorurteil ist, wird man ihn sehr geneigt finden, dem Beifall zu geben, der etwas auch ohne Beweis in dem Ton der Wahrheit versichert. Bemerken wir an dem Redner eine bescheidene Zuversichtlichkeit in seine eigene Überzeugung und ein natürliches einfaches Wesen, womit er uns dessen versichert, so ersetzt unser Herz, was dem Verstand fehlt und wir glauben, ohne zu sehen. Läßt aber der Redner das geringste merken, dass er unseren Beifall erzwingen will, so widersteht die Neigung der Überzeugung. Gar oft schadet der Redner seinem Beweis, wenn er sich bei klaren Sachen zu lange aufhält, um sie noch deutlicher zu machen. Die wahre Gründlichkeit ist einfach und kurz. Gewisse Gründe sprechen durch die Sache selbst am lautesten, und ihre Stimme wird durch übertriebenes Bemühen des Redners geschwächt. Hierher gehört auch, was wir im nächsten Artikel von den pathetischen Beweisen anmerken.

Durch die Art des Vortrages kann der Redner einem Beweis sehr aufhelfen oder schaden. Der stärkste Beweis kann durch einen schlechten und schwachen Vortrag seine Kraft verliehren. Das klare kann durch die Aussprach und den Ton dunkel, das kurze, langweilig und das lebhafte, schwach werden. Vornehmlich hat der Redner genau zu überlegen, wo eigentlich in seiner Rede der Ort ist, da natürlicher Weise verschiedene vorgetragene Gründe ihre Wirkung nun auf einmal tun sollen. Da muss er alle Kunst anwenden sie gut zu vereinigen, den Verstand die Einbildungskraft und das Herz des Zuhörers auf einmal lebhaft anzugreifen.

Bei der Bestätigung des Satzes, wozu mehrerlei Beweise angeführt werden, kommt auch oft viel auf die Ordnung an, darin sie einander folgen. Die Frage ist oft untersucht worden, ob die starken oder die schwächern Gründe zuerst sollen aufgestellt werden. Quintilian ratet von den schwächern den Anfang zu machen.*) Allein die Sache scheint mir nicht außer allem Zweifel. Wenn ein scharfsinniger Zuhörer einige schwache Beweise hintereinander anhört, so kann er leicht verdrießlich werden und die Aufmerksamkeit auf stärkere verlieren. Auf der anderen Seite kann man sagen, dass die letzten Eindrücke immer die wichtigsten sind, Man findet also bei großen Rednern Beispiele von beiden entgegen stehenden Ordnungen.

Am sichersten scheint es zu sein, dass man die Hauptbeweise zuerst vorbringe. Hat man wahrscheinlicher Weise damit den Zuhörer nahe an die Überzeugung gebracht, so häufe man schnell noch verschiedene geringere Beweise zusammen und lasse sie in geschloßnen Gliedern den Zuhörer angreifen, so wird die Wirkung nach Wunsch ausfallen.

Zur Erläuterung dieser Regel wollen wir setzen, man habe eine geschehene Sache durch Zeugnisse erhärtet oder einen Satz durch andere Gründe so wahrscheinlich gemacht, dass dem Zuhörer nur noch wenige Zweifel übrig sein können. Nun setze man gleich noch verschiedene kleinere Gründe nach, welche zeigen, dass die Sache der Natur der Personen, den Zeiten, den Umständen u. s. f. gemäß sei, so wird aller Zweifel verschwinden. Dieses will ohne Zweifel Quintilian durch folgende Regel sagen: Die stärksten Beweise, sagt er, muss man einzeln wohl ausführen, die schwächern kurz aneinander drengen. – Wenn man einen beschuldigt er habe einer Erbschaft halber einen Mord begangen (und hätte z. B. den Hauptbeweis durch wahrscheinliche Zeugnisse geführt; so kann man, wenn die Umstände so sind, folgende Gründe noch hinzu fügen.) Du hattest Anwartschaft darauf, du warst in Not und damals von deinen Gläubigern am stärksten getrieben; dazu hattest du deinen Erblaßer damals beleidigt und wußtest dass er das Testament eben ändern wollte. Man begreift leicht, dass solche geschlossene Gründe, eine Sache außer Zweifel setzen müssen, von welcher man schon durch andere stärkere Anzeigen bei nahe überzeugt worden.

Sind aber die Beweise so beschaffen, dass die schwächeren den stärkern zur Grundlage dienen, dass sie erst dem Zuhörer vorläufig einige Zweifel benehmen, ihn in die Denkungsart setzen, die zur Wirkung der stärksten Beweise nötig ist, so muss die erwähnte Ordnung notwendig umgekehrt werden.

 

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*) Prout ratio causæ cujusque postulabit ordinabuntur, uno (ut ego censeo) excepto, ne a potentiffimis ad læ vissima decrescat oratio.


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