1. Vorläufer Philos


Der jüdische Monotheismus mit seiner schroffen Entgegensetzung von Gott und Welt, seinem Engelund Dämonenglauben, seinen Weissagungen und Offenbarungen, seiner Anschauung vom Geiste und der Weisheit Gottes kam der im vorigen geschilderten theosophischen Richtung des Denkens durchaus entgegen. Schon

a) die jüdische Sekte der Essener oder Essäer, die, um die Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr., vielleicht unter Mitwirkung persischer und buddhistischer Elemente, im Ostjordanlande entstanden, zur Zeit ihrer Blüte im 1. Jahrhundert n. Chr. 4000 Anhänger zählte, zeigt zahlreiche verwandte Züge: äußerste Einfachheit der Lebensweise, Wahrhaftigkeit, Sittenstrenge, Enthaltsamkeit von Wein, Fleisch und Ehe, das Verbot des Schwörens, tägliche Waschungen, gemeinsame Mahle, Gütergemeinschaft, völlige Verwerfung der Sklaverei, unbeschränkteste Mildtätigkeit; dazu strengen Ordensgeist und hierarchische Gliederung, sodass der Vergleich mit einem christlichen Mönchsorden naheliegt. Ihre Geheimlehren sind außerhalb ihres Kreises nicht bekannt geworden. Man weiß nur, dass sie auf Weissagungen, Engelglauben, Vor- und Nachexistenz der Seele großen Wert legten. Von ähnlicher Bedeutung würden die sogen. »Therapeuten« in Ägypten sein, wenn diese Sekte, was von Grätz (Geschichte der Juden, Bd. III) und Lucius bestritten wird, überhaupt existiert hat; vgl. über beide auch Theob. Ziegler, Geschichte der christlichen Ethik, S. 35-40.

b) Mit Bestimmtheit nachweisbar ist die Verbindung jüdischer Theologie mit griechischer Philosophie zuerst bei dem ebenfalls um die Mitte des 2. Jahrb. v. Chr. zu Alexandria, dem Zentrum der Religionsmischung, lebenden, von den Kirchenvätern Clemens und Eusebius als Peripatetiker bezeichneten griechischen Juden Aristobulos. Er verfaßte eine dem ägyptischen König Ptolemäus Philometor gewidmete Exegese zum Pentateuch (den 5 Büchern Mose), indem er gefälschte Verse aus Homer, Hesiod und dem angeblichen Orpheus zitierte, wonach diese die alttestamentlichen Schriften benutzt hätten; noch mehr hätten dies Pythagoras und Plato getan. Anderseits deutete er die Anthropomorphismen des Alten Testaments allegorisch, z.B. das Licht der Schöpfung als die alles erhellende Weisheit; Gottes Herumwandeln im Paradiese sollte gewisse Naturereignisse bedeuten usw. Was er dabei an eigenen Ansichten äußert, enthält indes noch keine deutlichen Spuren philonischen Denkens. Schürer, Geschichte des jüdischen Volkes im Zeitalter Jesu Christi, 1886, und Joël bezweifeln überhaupt die Echtheit der erhaltenen Bruchstücke.

c) Deutlicher zeigen sich diese Spuren schon in der zu den sogenannten Apokryphen unserer Bibelausgaben zählenden Schrift: Die Weisheit Salomonis, die im 1. Jahrhundert v. Chr. von einem hellenistisch gebildeten Juden verfaßt wurde und neben platonischen auch stoische und heraklitische Einflüsse zeigt. Die Weisheit Gottes ist der Ausfluß seiner Herrlichkeit, sein durch die ganze Welt verbreiteter Geist, der seine Wohnung in gottgefälligen Seelen nimmt. Name (hagion pneuma) und Sache weisen bereits auf den »heiligen Geist« der Kirche hin. An die Neupythagoreer und Platoniker erinnert die Lehre von der Vorherexistenz der Seele, ihrer Auferstehung und der späteren Vergeltung im Jenseits, während die altjüdische Vorstellung von einer Unsterblichkeit der Seele nichts weiß, wenigstens nichts Bestimmteres aussagt.


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