2. Monistische Naturlehre (Physik) und teleologischer Pantheismus


Die Stoiker suchen den aristotelischen Dualismus monistisch umzubilden. Stoff und Form, Körper und Geist sind ihnen eins, die ganze Welt ist eine einheitliche, stofflich-körperliche Substanz. So trägt ihre Physik denn einen nahezu materialistischen Charakter. Wirklich ist nur, was Körper hat. Nicht bloß die Sinnendinge, sondern alles Seiende, Gott und die Seele, Tugenden und Affekte, ja selbst bloße Abstraktionen wie Gehen und Tanzen, Weisheit und Wahrheit sind körperlicher Natur! Unkörperlich sind nur der Raum, das Leere, die Zeit und die Denkobjekte (lekta). Der Mensch ist nicht dadurch gerecht, dass er an der Idee der Gerechtigkeit teilnimmt, wie Plato meint, sondern dadurch, dass er den Gerechtigkeitsstoff in seinem Leibe trägt. Die Vorstellungen sind Ätherteilchen, die in den Körper eindringen und ihn zu durchdringen vermögen; weshalb denn auch die Undurchdringlichkeit der Materie von den Stoikern geleugnet wird. Allein, dass der nackte Materialismus undurchführbar ist, zeigt sich auch bei ihnen. Im Stoffe wirksam sind ihm immanente vernünftige Kräfte (logoi). Die Urkraft aber, aus der sie alle ausstrahlen, ist die Gottheit. Der Materialismus schlägt plötzlich in Theologie um.

Allerdings bemühen sich die Stoiker nun, diese ewige allbelebende Urkraft möglichst körperlich zu fassen. Sie heißt - ähnlich wie bei Heraklit - der warme Hauch (pneuma) oder das Feuer, welches alle Dinge erzeugt, belebt und bewegt. Als »samenhafte« Vernunftkraft (logos spermatikos) hat sie von dem feurigen Zentrum der Welt, nach Kleanthes der Sonne, aus alles gestaltet, existiert also nicht außerhalb der Welt, wie bei Aristoteles. Alles in der Welt folgt mit Naturnotwendigkeit auseinander; diese unerbittliche Notwendigkeit nennt der Mensch auch Verhängnis (heimarmenê) oder Schicksal. Eine solche mechanische Naturerklärung scheint die Teleologie ganz auszuschließen. Und dennoch schleicht sie sich durch eine Hinterpforte wieder ein. Die Zweckmäßigkeit und Vollkommenheit der Welteinrichtung nämlich läßt darauf schließen, dass jene feurige Urkraft zugleich das Werkzeug der vollkommensten, zweckdienlichsten Vernunft ist. So wird das Verhängnis zur »Vorsehung« Eine ausführliche Theodizee sucht diese unsere Welt als die beste nachzuweisen: wobei es einerseits, namentlich bei Chrysipp, nicht ohne recht triviale Plattheiten (Nutzen der Mäuse und Wanzen!) abgeht, anderseits die sittlichen Zwecke (dass z.B. die Übel zur Prüfung des Weisen da sind) mit hineinspielen.

Die menschliche Seele ist ein Abbild der Allseele. Sie ist »göttlichen Geschlechts«, wie der Apostel Paulas aus dem Hymnus des Kleanthes zitiert, damit zugleich aber auch, wie jene, rein körperlicher Natur. Ihr leitender Teil (hêgemonikon) hat im Herzen als Zentrum des Blutlaufs seinen Sitz, nach anderen in der Brust überhaupt, als Sitz der Stimme und des Atems. Von da aus verbreiten sich die ihm Untertanen fünf Sinne, nebst der Zeugungskraft und dem Sprachvermögen, in die ihnen zugeordneten Organe. Unsterblich ist allein die Weltseele. Die Einzelseelen erhalten sich nur eine Zeitlang nach dem Tode, und zwar die schlechten und unwissenden, weil aus weniger reinem und dauerhaftem Stoffe gefertigt, bloß eine kürzere Zeit, während die Guten an einem Orte der Seligen harren, bis sie in dem nächsten großen Weltenbrand (Heraklit!) mit allem, was da ist, wieder in die Einheit des göttlichen Urfeuers zurückkehren, bis aus diesem eine neue Wiedergeburt erfolgt.

Der Gottesbegriff der Stoiker ist, trotz seiner naturalistischen Begründung, ein hoher, ihre Gottesverehrung eine lautere, aus dem Herzen kommende. Gegen den Volksglauben, nebst Mantik und Opfern, verhielten sie sich nicht geradezu ablehnend, sondern suchten ihn durch Allegorisierung der Mythen und Idealisierung der Götter und Heroen zu veredeln. Damit stehen wir indessen bereits im Bereiche ihrer Ethik.


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