Zuschriften im Kriege


I

Ein Brief mit Trauerrand, namenlos wie sein Schmerz. Hier als Epitaph gesetzt, bedeute er, dass ich den Dank der Mutter zurückgebe und in dem einen Unbekannten aller so dem Leben entrissenen Jugend Ehre erbiete.


16. Mai 16

Am Abschlusse seiner Universitätsstudien rückte unser Sohn Josef zum Feldkanonenregiment Nr. 30 ein. Er war der Tüchtigsten und Bravsten einer, hieß es. Am 29. Februar ereilte ihn sein Schicksal. Als Fähnrich am Beobachterstand traf ihn die feindliche Kugel. Die große silberne Tapferkeitsmedaille sandte man seinen Eltern zu, deren einziges Kind und einziges Glück er war.

Er selbst ruht in Rarance neben dem Glockenturm der hölzernen Kirche, und sein Grab grünt und blüht.


Karl Kraus!

Nimm seinen letzten Gruß entgegen!

Du hast ihn nicht gekannt und doch standest Du ihm am Nächsten in der Welt!

Er gehörte zu Deiner Gemeinde und war Dein treuester Anhänger und Streiter. Wie liebte er dich! Dein Bild schmückt sein Zimmer. Deine Bücher zieren es. Mit Menschen, die ihm nicht würdig schienen, vermied er es von Dir zu sprechen; ich seine Mutter wußte, was Du ihm warst!

Es ist mir wie ein heiliges Vermächtnis, ich mußte Dir es sagen, denn er war Deiner nicht unwürdig!

Ich blicke auf das letzte Bändchen der Fackel, das ich in Händen halte — ich könnte vergehen vor Schmerz und Jammer, dass sein Auge nie mehr darauf ruhen wird, und dass dieser edle Jüngling sterben mußte für diese Menschheit!

Sein letzter Gruß, sein letzter Dank sei Dir Karl Kraus geweiht von

seiner Mutter.

 

II

Man sollte jetzt andere Sorgen haben, aber einmal muß ich mir wo Luft machen. So oft ich das humoristische Wochenblatt »S' lustige Großwien« in die Hand nehme, muß ich mich ärgern —

Es gibt also Menschen, die 's lustige Großwien in die Hand nehmen. Es sind dieselben, welche den »Fackelkraus« kennen und eine briefliche Ansprache immerhin riskieren dürfen. Der so Angesprochene ist dazu geschaffen, dass sie sich an ihm Luft machen können. Welch eine Luft. Wenn aber die überwiegende Mehrzahl meiner Leser ahnte, wie unerquicklich mir die Vorstellung ist, dass sie die ›Fackel‹ in die Hand nehmen, sie würden die paar Stunden, die sie dem ›lustigen Großwien‹ dadurch entziehen, bitter bereuen. Möge die unsägliche Banalität, die noch immer den Postweg betritt, sich vor jedem Versuch dreimal besinnen und endlich wissen, dass ich kein Herz für Abonnenten, treue, aber lästige Leser habe und deren Abfall jederzeit ihrer Annäherung vorziehe.

 

III

Aus dem Feld

Sehr geehrter Herr,

Vor Jahren hörte ich Sie in Prag ... Das Publikum — was für ein Publikum, du lieber Gott — glaubte, Sie meinten die anderen, während Sie gerade diese meinten. Es jubelte Ihnen zu, statt Sie zu lynchen. ... Lange las oder hörte ich nichts von Ihnen.

Bei Kriegsausbruch habe auch ich wie hypnotisiert frohen Herzens Frau und Heim im Stich gelassen. Wie bald fielen mir die Schuppen von den Augen! Und als ich krank zurückkam und das Treiben sah, da hätte ich weinen können wie ein Kind ...

Dann kam mir in die Hand, was Sie seit Kriegsbeginn geschrieben haben. Ich hatte geglaubt, dass mein Skeptizismus schon den ganzen Betrug entlarvt hätte. Mit brennenden Wangen mußte ich da lesen, wie naiv ich trotz allem noch war, und oft war mir, als ob ich kassandragleich meine Blindheit von Ihnen wieder fordern müßte.

Und diesmal muß ich dankend zu Ihnen kommen. Weil Sie der einzige, der wahre Held sind, der Einzige, der diesen Namen wirklich verdient. Als Einziger, ohne äußeren Zwang, einer Sturmfluth trotzen, der ganzen Meute von Profit- und Ehrenjägern die Stirn bieten, jeder Macht ins Gesicht höhnen und mit der Stimme eines Menschen den Orkan der Menschheit überschreien — das ist ein Bild, so ergreifend, so bewundernswert, so übermenschlich, dass ich Ihnen in tiefstem Dank die Hand drücken muß. Und Sie müssen es dulden, ob ich dessen würdig bin oder nicht. In wahrer Verehrung

ein Offizier.

 

IV

Aus dem Hinterland

Wer ist der größte Feigling? Sie! Wer ist der größte Krakehler? Sie! Um jeden Preis wollen Sie beachtet werden, aber es gelingt Ihnen nicht, weil man so einen Menschen nicht ernst nimmt, der nur niederreißen kann. Das lassen Sie sich gesagt sein und regen Sie sich nicht auf, dass andere verdienen. In jeder Zeile spürt man bei Ihnen den Neid! Lernen Sie erst schreiben, wie Hans Müller, dann wird man Sie ernst nehmen, heute sind Sie der Niemand. Mit der Ihnen gebührenden Mißachtung

ein Patriot.

 

 

Juni, 1916.


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