Die aus Sibirien in die Presse flüchten


Die von mir erörterte Schande, dass Individuen, denen die Flucht aus der Kriegsgefangenschaft und somit die schwerste Gefährdung ihrer zurückgebliebenen Kameraden geglückt ist, sich, anstatt zu kuschen, dessen in der Presse und in öffentlichen Vorträgen noch rühmen, hat endlich, wie mir mitgeteilt wird, einen dankenswerten militärischen Befehl nach sich gezogen, dessen Beispiel, von andern mutigen Kommandanten gegen andere Ausschreitungen befolgt, uns die Schmach der großen Zeit, der aus dem Konkubinat von Krieg und Presse entsprossenen, diesen Alpdruck aus Roda Roda und Schalek Schalek einigermaßen erleichtern könnte. Der Erlaß lautet:

Durch Mitteilung eines aus russischer Kriegsgefangenschaft befreiten österr.-ungar. Heeresangehörigen über Beihilfe von russischen Untertanen zu seiner Flucht an die Presse, hat sich die bedauerliche Tatsache ergeben, dass die letztgenannten Helfer von der eigenen Behörde eruiert und eingekerkert wurden, dass weiters mit Rücksicht auf die erhobene Anklage deren Verurteilung zum Tode wahrscheinlich ist.

Diese, zum Teil aus harmloser Mitteilsamkeit, zum Teil aber aus einem von findigen Vertretern der Presse ausgenützten Sensationsbedürfnis erwachsenden Veröffentlichungen müssen unbedingt vermieden werden.

Jede Mitteilung, welche geeignet ist

a) das Los der noch in Kriegsgefangenschaft befindlichen Heeresangehörigen,

b) gutmütige oder nachlässige, bzw. bestechliche Aufsichtsorgane im feindlichen Gebiete,

c) freundlich gesinnte hilfreiche Personen, welche zur Flucht verholfen haben, zu gefährden, muß unterbleiben. Verstöße gegen dieses sind zu bestrafen.

Umso schwerer hoffentlich die Schandpresse, die sich der Mitteilsamkeit des wortbrüchigen Verräters seiner Mitgefangenen und seiner Helfer bedient. Genau so, wie es nicht genügt, annoncierende Kettenhändler zu bestrafen, sondern wie man an die einmal gefaßte Kette auch den jeweils vom Schandgeld lebenden Benedikt zu legen hätte. Jeder Verbrecher von heute ist nur ein Mitschuldiger, oft nur das Opfer eines in sich verbrecherischen Berufes, der alle Zweige umfaßt. Dennoch mag sich die. Gewissenslast eines Menschen nicht leicht durch das weitere Leben tragen lassen, der die Nachricht empfängt, dass für seine elende Wiener Reklame die verlassenen Kameraden hungern und jene, die ihm dazu verholfen haben, sterben müssen. Wahrlich, über allen Zwang des Krieges hinaus ist diese Menschheit abscheulich!

 

 

Oktober, 1916.


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