Wie die Franzosen vor Neid zersprangen


Die Leipziger Operette in Lille. Aus Nordfrankreich schreibt uns unser O. Sch.-Mitarbeiter: Man darf dem Deutschen Theater in Lille nachrühmen, dass es versteht, seinem feldgrauen Publikum aus dem theatralischen Heimatreich Fülle und Abwechslung zu spenden. — — Nach der hehren Kunst der »Meistersinger« durch die Stuttgarter Hofoper hielt jetzt die leichter beschwingte Muse des Leipziger Städtischen Operettentheaters ihren fröhlichen Einzug. Sie brachte einen seltenen Gast mit: Der Meister des Dreivierteltaktes und der jungen Wiener Operette kam selbst, um über seine weiche zärtliche Musik den Stab zu schwingen. Die feldgrauen Musiker begrüßten ihn mit Rosen und Tusch, das vollbesetzte Haus mit Beifall. Unter seiner Hand bekam das Orchester Farbe und wurde rhythmisch lebendig. Auf der Bühne entfalteten die Leipziger Spiellaune und Temperament. Im Walzertakt schwuren der Graf von Luxemburg (Walter Grave) und Angèle Didier (Meta Bamberger) vom Stadttheater in Chemnitz sich Liebe und Treue bis in die Ewigkeit ... Die Musik gab dem Hause eine leichte Sektstimmung, der zuliebe man die Sünden dieser parfümierten Operettenkunst, der von unserem Kriegsdasein abgrundtief geschiedenen, wohl vergessen konnte. Dass ihr ein patriotischer Prolog in Gestalt eines von Lehar dem Deutschen Kaiser gewidmeten, von Walter Grave mit Orchester und Chor gesungenen Trutzliedes vorangeschickt wurde, trug weniger dazu bei. Um so viel schöner, weil echter, war ein neu komponiertes Ballettzwischenspiel, das im zweiten Akt für Ohr und Auge eine Freude war. — — Nach einigen Aufführungen des Grafen von Luxemburg kommt auch noch Leo Fall mit dem »Lieben Augustin« zu Worte. — — Ein reiches Stück Arbeit ist damit beendet. Wie viel harmlos genießende Freude empfingen an dieser Stätte unsere Kämpfer. Mit aufrichtigem Neid sah die französische Bevölkerung auf diesen Vorposten deutscher Kunst — ihr blieben die Tore zu all diesen Genüssen versperrt. Jetzt endlich sehen sie ihren sehnsüchtigen Wunsch erfüllt, die Kommandantur Lille wird, so weit Platz vorhanden, auch den Lillern Zutritt gewähren. Sie weiß, auch mit unserer Kunst ist ein gutes Teil unserer siegenden Kraft begründet.

Wiewohl diese unsere Kunst von unserem Kriegsdasein abgrundtief geschieden ist. Aber ein echter deutscher Mann, der keinen Champagner leiden mag, hat eben Sekt so gern, dass er ihm zuliebe sogar Parfum verzeiht. Die Bevölkerung von Lille aber, die natürlich wieder nur auf Parfum fliegt, stand mit aufrichtigem Neid vor dem Vorposten deutscher Kunst, die Tore zu all diesen Genüssen blieben ihr versperrt, bis endlich die Kommandantur Lille (der deutsche Romandichter Paul Oskar Höcker) es nicht mehr übers Herz bringen konnte, ihr Lehar vorzuenthalten. Da erkannten sie, dass wir keine Barbaren seien, und schworen Liebe und Treue bis in die Ewigkeit. Worauf die Dame aus Chemnitz, nachdem der Kollege mit einem Trutzlied nicht durchgedrungen war, den Haßgesang auf Kitchener immer feste druffgeben konnte.

 

 

August, 1916.


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