Synthese


In dieser Synthese aber ist das objektive Ich nicht gleich dem subjektiven; das subjektive ist Ich, das objektive Ich + Nicht-Ich. Es stellt sich in ihr nicht die ursprüngliche Identität dar; das reine Bewußtsein Ich = Ich und das empirische Ich = Ich + Nicht-Ich mit allen Formen, worin sich dieses konstruiert, bleiben sich entgegengesetzt. Die Unvollständigkeit dieser Synthese, die der dritte Grundsatz ausspricht, ist notwendig, wenn die Akte des ersten und zweiten Grundsatzes absolut entgegengesetzte Tätigkeiten sind. Oder im Grunde ist gar keine Synthese möglich; die Synthese ist nur alsdann möglich, wenn die Tätigkeiten des Sich-selbst-Setzens und des Entgegensetzens als ideelle Faktoren gesetzt sind. Es scheint sich zwar selbst zu widersprechen, daß Tätigkeiten, die schlechterdings keine Begriffe sein sollen, nur als ideelle Faktoren zu behandeln seien; [aber] ob Ich und Nicht-Ich, Subjektives und Objektives, die zu Vereinigenden, als Tätigkeiten (Setzen und Entgegensetzen) oder als Produkte (objektives Ich und Nicht-Ich) ausgedrückt werden, macht an sich und auch für ein System, dessen Prinzip die Identität ist, keinen Unterschied. Ihr Charakter, absolut entgegengesetzt zu sein, macht sie schlechthin zu einem bloß Ideellen, und Fichte anerkennt diese reine Idealität derselben. Die Entgegengesetzten sind ihm vor der Synthese etwas ganz anderes als nach der Synthese: vor der Synthese sind sie bloß Entgegengesetzte und nichts weiter; das eine ist, was das andere nicht ist, und das andere, was das eine nicht ist, — ein bloßer Gedanke ohne alle Realität, noch dazu Gedanke der bloßen Realität; wie eins eintritt, ist das andere vernichtet; aber da dieses eine bloß unter dem Prädikate des Gegenteils vom anderen eintreten kann, mithin mit seinem Begriff der Begriff des anderen zugleich eintritt und es vernichtet, kann selbst dieses eine nicht eintreten. Mithin ist gar nichts vorhanden, und es war nur eine wohltätige Täuschung der Einbildungskraft, die unvermerkt jenen bloß Entgegengesetzten ein Substrat unterschob und es möglich machte, über sie zu denken.13) — Aus der Idealität der entgegengesetzten Faktoren ergibt sich, daß sie nichts sind als in der synthetischen Tätigkeit, daß durch diese allein ihr Entgegengesetztsein und sie selbst gesetzt sind und ihre Entgegensetzung nur zum Behuf der philosophischen Konstruktion, um das synthetische Vermögen verständlich zu machen, gebraucht worden ist. Die produktive Einbildungskraft wäre die absolute Identität selbst, als Tätigkeit vorgestellt, welche nur, indem sie das Produkt, die Grenze setzt, zugleich die Entgegengesetzten als die Begrenzenden setzt. Daß die produktive Einbildungskraft, als synthetisches Vermögen, das durch Entgegengesetzte bedingt ist, erscheint, würde nur für den Standpunkt der Reflexion gelten, welche von Entgegengesetzten ausgeht und die Anschauung nur als eine Vereinigung derselben begreift. Zugleich aber müßte die philosophische Reflexion, um diese Ansicht als eine subjektive, der Reflexion angehörige zu bezeichnen, den transzendentalen Standpunkt dadurch herstellen, daß sie jene absolut entgegengesetzten Tätigkeiten für gar nichts anderes als für ideelle Faktoren, für durchaus relative Identitäten in Rücksicht auf die absolute Identität erkennt, in welcher das empirische Bewußtsein nicht weniger als sein Gegensatz, das reine Bewußtsein, das als Abstraktion von jenem an ihm einen Gegensatz hat, aufgehoben sind. Nur in diesem Sinne ist Ich der transzendentale Mittelpunkt beider entgegengesetzten Tätigkeiten und gegen beide indifferent; ihre absolute Entgegensetzung hat allein für ihre Idealität eine Bedeutung.

Allein schon die Unvollkommenheit der Synthese, die im dritten Grundsatze ausgedrückt ist und in welcher das objektive Ich ein Ich + Nicht-Ich ist, erweckt an sich den Verdacht, daß die entgegengesetzten Tätigkeiten nicht bloß als relative Identitäten, als ideelle Faktoren gelten sollten, wofür man sie halten könnte, wenn man bloß auf ihr Verhältnis zur Synthese sieht und von dem Titel der Absolutheit, den beide Tätigkeiten wie die dritte führen, abstrahiert.

In dies Verhältnis aber unter sich und gegen die synthetischen Tätigkeiten sollen das Sich-selbst-Setzen und das Entgegensetzen nicht treten. Ich = Ich ist absolute Tätigkeit, die in keiner Rücksicht als relative Identität und als ideeller Faktor soll betrachtet werden. Für dieses Ich = Ich ist ein Nicht-Ich ein absolut Entgegengesetztes; aber ihre Vereinigung ist notwendig und das einzige Interesse der Spekulation. Welche Vereinigung ist aber bei Voraussetzung absolut Entgegengesetzter möglich? Offenbar eigentlich gar keine; oder — da von der Absolutheit ihrer Entgegensetzung wenigstens zum Teil abgegangen werden und der dritte Grundsatz notwendig eintreten muß, die Entgegensetzung aber zum Grunde liegt — nur eine teilweise Identität. Die absolute Identität ist zwar Prinzip der Spekulation, aber es bleibt, wie sein Ausdruck "Ich = Ich", nur die Regel, deren unendliche Erfüllung postuliert, aber im System nicht konstruiert wird.

Der Hauptpunkt muß der sein, zu beweisen, daß Sich-selbst-Setzen und Entgegensetzen absolut entgegengesetzte Tätigkeiten im System sind. Fichtes Worte sprechen dies zwar unmittelbar aus; aber diese absolute Entgegensetzung soll gerade die Bedingung sein, unter welcher die produktive Einbildungskraft allein möglich ist. Die produktive Einbildungskraft aber ist Ich nur als theoretisches Vermögen, das sich nicht über die Entgegensetzung erheben kann; fürs praktische Vermögen fällt die Entgegensetzung weg, und das praktische Vermögen allein ist es, welches sie aufhebt. Es ist demnach zu erweisen, daß auch für dieses die Entgegensetzung absolut ist und selbst im praktischen Vermögen Ich nicht als Ich sich setzt, sondern das objektive Ich gleichfalls ein Ich + Nicht-Ich ist und das praktische Vermögen nicht zum Ich = Ich durchdringt. Umgekehrt ergibt sich die Absolutheit der Entgegensetzung aus der Unvollständigkeit der höchsten Synthese des Systems, in welcher sie noch vorhanden ist.

 

____________________

13) Fichte, Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, SW, Bd. 1, S. 224 f.


 © textlog.de 2004 • 19.03.2024 11:28:32 •
Seite zuletzt aktualisiert: 11.11.2006 
bibliothek
text
  Home  Impressum  Copyright