Postulate der Vernunft


Die Synthese der zwei von der Reflexion gesetzten Entgegengesetzten forderte, als Werk der Reflexion, ihre Vervollständigung, — als Antinomie, die sich aufhebt, ihr Bestehen in der Anschauung. Weil das spekulative Wissen als Identität der Reflexion und der Anschauung begriffen werden muß, so kann man, insofern der Anteil der Reflexion (der, als vernünftig, antinomisch ist) allein gesetzt wird, aber in notwendiger Beziehung auf die Anschauung steht, in diesem Fall von der Anschauung sagen, sie werde von der Reflexion postuliert. Es kann nicht davon die Rede sein, Ideen zu postulieren; denn diese sind Produkte der Vernunft oder vielmehr das Vernünftige durch den Verstand als Produkt gesetzt. Das Vernünftige muß seinem bestimmten Inhalte nach, nämlich aus dem Widerspruch bestimmter Entgegengesetzter, deren Synthese das Vernünftige ist, deduziert werden; nur die dies Antinomische ausfüllende und haltende Anschauung ist das Postulable. Eine solche sonst postulierte Idee ist der unendliche Progreß, eine Vermischung von Empirischem und Vernünftigem; jenes ist die Anschauung der Zeit, dies die Aufhebung aller Zeit, die Verunendlichung derselben; im empirischen Progreß ist sie aber nicht rein verunendlicht, denn sie soll in ihm als Endliches, als beschränkte Momente, bestehen, — er ist eine empirische Unendlichkeit. Die wahre Antinomie, die beides, das Beschränkte und Unbeschränkte, nicht nebeneinander, sondern zugleich als identisch setzt, muß damit zugleich die Entgegensetzung aufheben; indem die Antinomie die bestimmte Anschauung der Zeit postuliert, muß diese -beschränkter Moment der Gegenwart und Unbeschränktheit seines Außersichgesetztseins — beides zugleich, also Ewigkeit sein.

Ebensowenig kann die Anschauung als ein der Idee oder besser der notwendigen Antinomie Entgegengesetztes gefordert werden. Die Anschauung, die der Idee entgegengesetzt ist, ist beschränktes Dasein, eben weil sie die Idee ausschließt. Die Anschauung ist wohl das von der Vernunft Postulierte, aber nicht als Beschränktes, sondern zur Vervollständigung der Einseitigkeit des Werks der Reflexion, nicht daß sie sich entgegengesetzt bleiben, sondern eins seien. Man sieht überhaupt, daß diese ganze Weise des Postulierens darin allein ihren Grund hat, daß von der Einseitigkeit der Reflexion ausgegangen wird; diese Einseitigkeit bedarf es, zur Ergänzung ihrer Mangelhaftigkeit, das aus ihr ausgeschlossene Entgegengesetzte zu postulieren. Das Wesen der Vernunft erhält aber in dieser Ansicht eine schiefe Stellung, denn sie erscheint hier als ein nicht sich selbst Genügendes, sondern als ein Bedürftiges. Wenn aber die Vernunft sich als absolut erkennt, so fängt die Philosophie damit an, womit jene Manier, die von der Reflexion ausgeht, aufhört: mit der Identität der Idee und des Seins. Sie postuliert nicht das eine, denn sie setzt mit der Absolutheit unmittelbar beide, und die Absolutheit der Vernunft ist nichts anderes als die Identität beider.


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