Indifferenzpunkt
Wir haben bisher beide Wissenschaften bei ihrer inneren Identität einander entgegengesetzt; in der einen ist das Absolute ein Subjektives in der Form des Erkennens, in der anderen ein Objektives in der Form des Seins. Sein und Erkennen werden dadurch ideelle Faktoren oder Formen, daß sie einander entgegengesetzt sind; in beiden Wissenschaften ist beides, aber in der einen ist Erkennen die Materie und Sein die Form, in der anderen ist Sein die Materie, Erkennen die Form. Weil das Absolute in beiden dasselbe ist und die Wissenschaften nicht bloß die Entgegengesetzten als Formen, sondern insofern das Subjekt-Objekt sich in ihnen setzt, darstellen, so sind die Wissenschaften selbst nicht in ideeller, sondern in reeller Entgegensetzung, und deswegen müssen sie zugleich in einer Kontinuität, als eine zusammenhängende Wissenschaft betrachtet werden. Insofern sie sich entgegengesetzt sind, sind sie zwar innerlich in sich beschlossen und Totalitäten, aber zugleich nur relative, und als solche streben sie nach dem Indifferenzpunkt; als Identität und als relative Totalität liegt er überall in ihnen selbst, als absolute Totalität außer ihnen. Insofern aber beide Wissenschaften des Absoluten und ihre Entgegensetzung eine reelle ist, hängen sie als Pole der Indifferenz in dieser selbst zusammen; sie selbst sind die Linien, welche den Pol mit dem Mittelpunkt verknüpfen. Aber dieser Mittelpunkt ist selbst ein gedoppelter, einmal Identität, das andere Mal Totalität, und insofern erscheinen beide Wissenschaften als der Fortgang der Entwicklung oder Selbstkonstruktion der Identität zur Totalität. Der Indifferenzpunkt, nach welchem die beiden Wissenschaften, insofern sie, von seiten ihrer ideellen Faktoren betrachtet, entgegengesetzt sind, streben, ist das Ganze, als eine Selbstkonstruktion des Absoluten vorgestellt, das Letzte und Höchste derselben. Das Mittlere, der Punkt des Übergangs von der sich als Natur konstruierenden Identität zu ihrer Konstruktion als Intelligenz, ist das Innerlichwerden des Lichts der Natur, — der, wie Schelling sagt54), einschlagende Blitz des Ideellen in das Reelle und sein Sich-selbst-Konstituieren als Punkt. Dieser Punkt, als Vernunft der Wendepunkt beider Wissenschaften, ist die höchste Spitze der Pyramide der Natur, ihr letztes Produkt, bei dem sie, sich vollendend, ankommt; aber als Punkt muß er sich gleichfalls in eine Natur expandieren. Wenn die Wissenschaft in ihn als Mittelpunkt sich gestellt und von ihm sich in zwei Teile geteilt hat und der einen Seite das bewußtlose Produzieren, der anderen das bewußte anweist, so weiß sie zugleich, daß die Intelligenz, als ein reeller Faktor, zugleich die ganze Selbstkonstruktion der Natur auf der andern Seite mit sich herübernimmt und das Vorhergehende oder ihr zur Seite Stehende in sich hat, sowie, daß in der Natur, als einem reellen Faktor, das in der Wissenschaft ihr Entgegenstehende gleichfalls immanent ist. Und hiermit ist alle Idealität der Faktoren und ihre einseitige Form aufgehoben; dies ist der einzige höhere Standpunkt, auf welchem beide Wissenschaften ineinander verloren sind, indem ihre Trennung nur als ein Wissenschaftliches und die Idealität der Faktoren nur als ein zu diesem Behuf Gesetztes anerkannt ist. Diese Ansicht ist unmittelbar nur negativ, nur die Aufhebung der Trennung beider Wissenschaften und der Formen, in welchen sich das Absolute gesetzt hat, nicht eine reelle Synthese, nicht der absolute Indifferenzpunkt, in welchem diese Formen dadurch vernichtet sind, daß sie vereinigt beide bestehen. Die ursprüngliche Identität, welche ihre bewußtlose Kontraktion — subjektiv des Fühlens, objektiv der Materie — in das endlos organisierte Neben- und Nacheinander des Raums und der Zeit, in objektive Totalität ausbreitete und dieser Expansion die durch Vernichtung derselben sich konstituierende Kontraktion in den sich erkennenden Punkt (subjektiver) Vernunft, die subjektive Totalität entgegensetzte, muß beides vereinigen in die Anschauung des sich selbst in vollendeter Totalität objektiv werdenden Absoluten — in die Anschauung der ewigen Menschwerdung Gottes, des Zeugens des Worts vom Anfang.
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54) Zeitschrift für spekulative Physik, Bd. III, Heft 2, S. 116