Der dogmatische Idealismus


Der dogmatische Idealismus erhält sich die Einheit des Prinzips dadurch, daß er das Objekt überhaupt leugnet und eins der Entgegengesetzten, das Subjekt in seiner Bestimmtheit als das Absolute setzt, so wie der Dogmatismus, in seiner Reinheit Materialismus, das Subjektive leugnet. Wenn dem Philosophieren das Bedürfnis nur nach einer solchen Identität zum Grunde liegt, welche dadurch zustande gebracht werden soll, daß eins der Entgegengesetzten geleugnet, von ihm absolut abstrahiert wird, so ist es gleichgültig, welches von beiden, das Subjektive oder das Objektive, geleugnet wird. Ihre Entgegensetzung ist im Bewußtsein, und die Realität des einen ist so gut wie die Realität des anderen darin begründet; das reine Bewußtsein kann im empirischen nicht mehr und nicht weniger nachgewiesen werden als das Ding-an-sich des Dogmatikers. Weder das Subjektive noch das Objektive allein füllt das Bewußtsein aus; das rein Subjektive ist Abstraktion so gut wie das rein Objektive; der dogmatische Idealismus setzt das Subjektive als Realgrund des Objektiven, der dogmatische Realismus das Objektive als Realgrund des Subjektiven. Der konsequente Realismus leugnet überhaupt das Bewußtsein als eine Selbsttätigkeit des Sich-Setzens. Wenn aber auch sein Objekt, das er als Realgrund des Bewußtseins setzt, als Nicht-Ich = Nicht-Ich ausgedrückt wird, wenn er die Realität seines Objekts im Bewußtsein aufzeigt und also ihm die Identität des Bewußtseins als ein Absolutes gegen sein objektives Aneinanderreihen des Endlichen an Endliches geltend gemacht wird, so muß er freilich die Form seines Prinzips einer reinen Objektivität aufgeben. Sowie er ein Denken zugibt, so ist Ich = Ich aus der Analyse des Denkens darzustellen. Es ist das Denken als Satz ausgedrückt; denn Denken ist selbsttätiges Beziehen Entgegengesetzter, und das Beziehen ist, die Entgegengesetzten als gleich setzen. Allein wie der Idealismus die Einheit des Bewußtseins geltend macht, so kann der Realismus die Zweiheit desselben geltend machen. Die Einheit des Bewußtseins setzt eine Zweiheit, das Beziehen ein Entgegengesetztsein voraus; dem Ich = Ich steht ein anderer Satz ebenso absolut entgegen: das Subjekt ist nicht gleich dem Objekt; beide Sätze sind von gleichem Range. Sosehr einige Formen, in welchen Fichte sein System dargestellt hat, verleiten könnten, es als ein System des dogmatischen Idealismus zu nehmen, der das ihm entgegengesetzte Prinzip leugnet — wie denn Reinhold die transzendentale Bedeutung des Fichteschen Prinzips übersieht, nach welcher in Ich = Ich zugleich die Differenz des Subjekts und Objekts zu setzen gefordert wird, und im Fichteschen System ein System der absoluten Subjektivität, d. i. einen dogmatischen Idealismus erblickt14) —, so unterscheidet sich der Fichtesche Idealismus gerade dadurch, daß die Identität, die er aufstellt, nicht das Objektive leugnet, sondern das Subjektive und Objektive auf gleichen Rang der Realität und Gewißheit setzt, — und reines und empirisches Bewußtsein eins ist. Um der Identität des Subjekts und Objekts willen setze ich Dinge außer mir ebenso gewiß, als ich mich setze; so gewiß Ich bin, sind die Dinge. - Aber setzt Ich nur Dinge oder sich selbst, nur eins von beiden oder auch beide zugleich, aber getrennt, so wird Ich sich im System nicht selbst Subjekt = Objekt. Das Subjektive ist wohl Subjekt = Objekt, aber das Objektive nicht, und also nicht Subjekt gleich Objekt.

 

___________________

14) Reinhold, Beiträge, I. Heft, S. 124 f.


 © textlog.de 2004 • 15.10.2024 15:47:37 •
Seite zuletzt aktualisiert: 11.11.2006 
bibliothek
text
  Home  Impressum  Copyright