Wissen der Philosophie


Auf diese Weise ist durch die transzendentale Anschauung kein philosophisches Wissen entstanden, sondern im Gegenteil, wenn sich die Reflexion ihrer bemächtigt, sie anderem Anschauen entgegensetzt und diese Entgegensetzung festhält, ist kein philosophisches Wissen möglich. Dieser absolute Akt der freien Selbsttätigkeit ist die Bedingung des philosophischen Wissens, aber er ist noch nicht die Philosophie selbst; durch diese wird die objektive Totalität des empirischen Wissens gleichgesetzt dem reinen Selbstbewußtsein, letzteres hiermit ganz als Begriff oder als Entgegengesetztes aufgehoben, und damit auch das erstere. Es wird behauptet, daß es überhaupt nur reines Bewußtsein gibt, Ich = Ich ist das Absolute; alles empirische Bewußtsein wäre nur ein reines Produkt des Ich = Ich, und empirisches Bewußtsein würde insofern durchaus geleugnet, als in ihm oder durch es eine absolute Zweiheit sein, ein Gesetztsein in ihm vorkommen sollte, das nicht ein Gesetztsein des Ich für Ich und durch Ich wäre. Mit dem Selbstsetzen des Ich wäre alles gesetzt, und außer diesem nichts; die Identität des reinen und empirischen Bewußtseins ist nicht eine Abstraktion von ihrem ursprünglichen Entgegengesetztsein, sondern im Gegenteil, ihre Entgegensetzung ist eine Abstraktion von ihrer ursprünglichen Identität. Die intellektuelle Anschauung ist hierdurch gesetzt gleich allem, sie ist die Totalität. Dies Identischsein alles empirischen Bewußtseins mit dem reinen ist Wissen, und die Philosophie, die dies Identischsein weiß, ist die Wissenschaft des Wissens;11) sie hat die Mannigfaltigkeit des empirischen Bewußtseins als identisch mit dem reinen durch die Tat, durch die wirkliche Entwicklung des Objektiven aus dem Ich zu zeigen und die Totalität des empirischen Bewußtseins als die objektive Totalität des Selbstbewußtseins zu beschreiben; in Ich = Ich ist ihr die ganze Mannigfaltigkeit des Wissens gegeben. Der bloßen Reflexion erscheint diese Deduktion als das widersprechende Beginnen, aus der Einheit die Mannigfaltigkeit, aus reiner Identität die Zweiheit abzuleiten; aber die Identität des Ich = Ich ist keine reine Identität, d. h. keine durchs Abstrahieren der Reflexion entstandene. Wenn die Reflexion Ich = Ich als Einheit begreift, so muß sie dasselbe zugleich auch als Zweiheit begreifen; Ich = Ich ist Identität und Duplizität zugleich, es ist eine Entgegensetzung in Ich = Ich. Ich ist einmal Subjekt, das andere Mal Objekt; aber was dem Ich entgegengesetzt ist, ist gleichfalls Ich; die Entgegengesetzten sind identisch. Das empirische Bewußtsein kann darum nicht als ein Herausgehen aus dem reinen betrachtet werden; nach dieser Ansicht wäre freilich eine Wissenschaft des Wissens, die vom reinen Bewußtsein ausgeht, etwas Widersinniges; der Ansicht, als ob in dem empirischen Bewußtsein aus dem reinen herausgetreten würde, liegt die obige Abstraktion zum Grunde, in welcher die Reflexion ihr Entgegensetzen isoliert. Die Reflexion als Verstand ist an und für sich unfähig, die transzendentale Anschauung zu fassen; und wenn die Vernunft auch zur Selbsterkennung durchgedrungen ist, so verkehrt die Reflexion das Vernünftige, wo ihr Raum gegeben wird, wieder in ein Entgegengesetztes.

 

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11) vgl. Fichte, Über den Begriff der Wissenschaftslehre (1794), SW, Bd. 1, S. 43


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