Hauptvoraussetzung der Philosophie


Wir kommen nunmehr zur Hauptvoraussetzung, welche endlich das Philosophieren unmittelbarer angeht. Dasjenige, was der Philosophie vorläufig, um auch nur als Versuch denkbar zu sein, vorauszusetzen ist, nennt Reinhold das Urwahre73), das für sich selbst Wahre und Gewisse, den Erklärungsgrund alles begreiflichen Wahren; dasjenige aber, womit die Philosophie anhebt, muß das erste begreifliche Wahre, und zwar das wahre erste Begreifliche sein, welches vorderhand im Philosophieren als Streben nur problematisch und hypothetisch angenommen wird; im Philosophieren als Wissen bewährt es sich aber erst, als einzig mögliches Erstes erst dann und insofern, wann und inwiefern mit völliger Gewißheit hervorgeht, daß und warum es selbst und die Möglichkeit und Wirklichkeit des Erkennbaren sowohl als der Erkenntnis durch das Urwahre als den Urgrund von allem, welches sich an dem Möglichen und Wirklichen ankündigt, möglich, und wie und warum es durch das Urwahre wahr sei, das außer seinem Verhältnisse zum Möglichen und Wirklichen, woran es sich offenbart, das schlechthin Unbegreifliche, Unerklärbare und Unnennbare ist.74)

Man sieht aus dieser Form des Absoluten als eines Urwahren, daß es hiernach in der Philosophie nicht darum zu tun ist, Wissen und Wahrheit durch die Vernunft zu produzieren, daß das Absolute in der Form der Wahrheit nicht ein Werk der Vernunft ist, sondern es ist schon an und für sich ein Wahres und Gewisses, also ein Erkanntes und Gewußtes. Die Vernunft kann sich kein tätiges Verhältnis zu ihm geben; im Gegenteil würde jede Tätigkeit der Vernunft, jede Form, die das Absolute durch sie erhielte, als eine Veränderung desselben anzusehen sein, und eine Veränderung des Urwahren wäre die Produktion des Irrtums. Philosophieren heißt demnach, das schon ganz fertige Gewußte mit schlechthin passiver Rezeptivität in sich aufnehmen — und die Bequemlichkeit dieser Manier ist nicht zu leugnen. Es braucht nicht erinnert zu werden, daß Wahrheit und Gewißheit außer der Erkenntnis, diese sei nun ein Glauben oder ein Wissen, ein Unding ist und daß durch die Selbsttätigkeit der Vernunft allein das Absolute zu einem Wahren und Gewissen wird. Aber es wird begreiflich, wie sonderbar dieser Bequemlichkeit, die ein fertiges Urwahres schon voraussetzt, es vorkommen müsse, wenn gefordert wird, daß das Denken sich durch Selbsttätigkeit der Vernunft zum Wissen potenziere, daß durch die Wissenschaft die Natur fürs Bewußtsein geschaffen werde und das Subjekt-Objekt nichts ist, zu was es sich nicht durch Selbsttätigkeit schafft. Die Vereinigung der Reflexion und des Absoluten im Wissen geschieht vermöge jener bequemen Manier völlig nach dem Ideale eines philosophischen Utopiens, in welchem das Absolute schon sich für sich selbst zu einem Wahren und Gewußten zubereitet und sich der Passivität des Denkens, das nur den Mund aufzusperren braucht, ganz und gar zu genießen gibt. Aus diesem Utopien ist das mühsame, assertorische und kategorische Schaffen und Konstruieren verbannt; durch ein problematisches und hypothetisches Schütteln fallen von dem Baum der Erkenntnis, der auf dem Sand des Begründens steht, die Früchte durch sich selbst gekaut und verdaut herab. Für das ganze Geschäft der reduzierten Philosophie, die nur ein problematischer und hypothetischer Versuch und Vorläufigkeit sein will, muß das Absolute notwendig schon als urwahr und gewußt gesetzt werden, — wie sollte sich sonst aus dem Problematischen und Hypothetischen Wahrheit und Wissen ergeben können?

Weil nun und inwiefern die Voraussetzung der Philosophie das an sich Unbegreifliche und Urwahre ist, darum und insofern soll es sich nur an einem begreiflichen Wahren ankündigen können, und das Philosophieren kann nicht von einem unbegreiflichen Urwahren, sondern [muß] von einem begreiflichen Wahren ausgehen. — Diese Folgerung ist nicht nur durch nichts erwiesen, sondern es ist vielmehr der entgegengesetzte Schluß zu machen: Wenn die Voraussetzung der Philosophie, das Urwahre, ein Unbegreifliches ist, so würde das Urwahre an einem Begreiflichen sich durch sein Entgegengesetztes, also falsch ankündigen. Man müßte vielmehr sagen, die Philosophie müsse zwar mit Begriffen, aber mit unbegreiflichen Begriffen anfangen, fortgehen und endigen; denn in der Beschränkung eines Begriffs ist das Unbegreifliche, statt angekündigt zu sein, aufgehoben, — und die Vereinigung entgegengesetzter Begriffe in der Antinomie, für das Begreifungsvermögen der Widerspruch, ist die nicht bloß problematische und hypothetische, sondern, wegen des unmittelbaren Zusammenhangs mit demselben, seine assertorische und kategorische Erscheinung und die wahre, durch Reflexion mögliche Offenbarung des Unbegreiflichen in Begriffen. Wenn nach Reinhold das Absolute nur außer seinem Verhältnisse zum Wirklichen und Möglichen, woran es sich offenbart, ein Unbegreifliches, also im Möglichen und Wirklichen zu erkennen ist, so würde dies nur eine Erkenntnis durch den Verstand und keine Erkenntnis des Absoluten sein. Denn die Vernunft, die das Verhältnis des Wirklichen und Möglichen zum Absoluten anschaut, hebt eben damit das Mögliche und Wirkliche als Mögliches und Wirkliches auf; vor ihr verschwinden diese Bestimmtheiten sowie ihre Entgegensetzung, und sie erkennt hierdurch nicht die äußere Erscheinung als Offenbarung, sondern das Wesen, das sich offenbart, — muß hingegen einen Begriff für sich wie die abstrakte Einheit des Denkens nicht als ein Ankündigen desselben, sondern als ein Verschwinden desselben aus dem Bewußtsein erkennen; an sich ist es freilich nicht verschwunden, aber aus einer solchen Spekulation.

 

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73) *Reinhold behält hier die Sprache Jacobis, aber nicht die Sache bei; er hat, wie er sagt, diesen verlassen müssen. Wenn Jacobi von der Vernunft als dem Vermögen der Voraussetzung des Wahren spricht, so setzt er das Wahre, als das wahre Wesen, der formellen Wahrheit entgegen, leugnet aber als Skeptiker, daß es menschlich gewußt werden könne; Reinhold hingegen sagt, er habe es denken gelernt, — durch ein formelles Begründen, in welchem sich für Jacobi das Wahre nicht findet. [S. 126]

74) Reinhold, Beiträge, 1. Heft, S. 70-75, passim


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