Differenz der Systeme Fichtes und Schellings


Es ist noch übrig, teils etwas von Reinholds Ansicht der Fichteschen und Schellingschen Philosophie, teils von seiner eigenen zu sprechen.

Was jene Ansicht betrifft, so hat Reinhold fürs erste die Differenz beider als Systeme übersehen und sie fürs andere nicht als Philosophien genommen.

Reinhold scheint nicht geahnt zu haben, daß seit Jahr und Tag eine andere Philosophie vor dem Publikum liegt als reiner transzendentaler Idealismus; er erblickt wunderbarerweise in der Philosophie, wie sie Schelling aufgestellt hat, nichts als ein Prinzip des Begreiflichen der Subjektivität, die Ichheit.55) Reinhold vermag in einer Verbindung zu sagen, Schelling habe die Entdeckung gemacht, daß das Absolute, inwiefern dasselbe nicht bloße Subjektivität ist, nichts weiter sei und sein könne als die bloße Objektivität oder die bloße Natur als solche, und der Weg hierzu sei, das Absolute in die absolute Identität der Intelligenz und der Natur zu setzen56), — also in einem Zug das Schellingsche Prinzip so vorzustellen: a) das Absolute, inwiefern es nicht bloße Subjektivität ist, sei es bloße Objektivität, also nicht die Identität beider, und b) das Absolute sei die Identität beider. Umgekehrt mußte das Prinzip der Identität des Subjekts und Objekts der Weg werden, um einzusehen, daß das Absolute als Identität weder bloße Subjektivität noch bloße Objektivität sei. Richtig stellt nachher Reinhold das Verhältnis der beiden Wissenschaften so vor, daß beide nur verschiedene Ansichten von einer und ebenderselben — Sache freilich nicht, von der absoluten Dieselbigkeit, von dem Alleins seien. Und eben deswegen ist weder das Prinzip der einen noch das Prinzip der anderen bloße Subjektivität noch bloße Objektivität, noch weniger das, worin sich beide allein durchdringen, die reine Ichheit, welches wie die Natur im absoluten Indifferenzpunkt verschlungen wird.

Wer, meint Reinhold, durch Liebe und Glauben an Wahrheit und nicht durch System eingenommen ist, werde sich leicht überzeugen, daß der Fehler dieser beschriebenen Auflösung in der Art und Weise der Fassung der Aufgabe liegt, — aber worin der Fehler der Reinholdischen Beschreibungen von dem, was nach Schelling Philosophie ist, liegt und wie diese Art und Weise, sie zu fassen, möglich war, darüber ist nicht so leicht Aufschluß zu finden.

Es kann nichts helfen, auf die Einleitung des transzendentalen Idealismus selbst, in welcher sein Verhältnis zum Ganzen der Philosophie und der Begriff dieses Ganzen der Philosophie aufgestellt ist, zu verweisen; denn in seinen Beurteilungen desselben schränkt Reinhold sich selbst auf diese ein und sieht das Gegenteil darin von dem, was darin ist. Ebensowenig kann auf einzelne Stellen derselben aufmerksam gemacht werden, worin der wahre Gesichtspunkt aufs bestimmteste ausgesprochen wird; denn die bestimmtesten Stellen führt Reinhold in seiner ersten Beurteilung dieses Systems selbst an, — welche enthalten, daß nur in der einen notwendigen Grundwissenschaft der Philosophie, im transzendentalen Idealismus, das Subjektive das Erste sei57), nicht, wie in Reinhold die Sache unmittelbar sich verkehrt stellt, das Erste der ganzen Philosophie, noch als rein Subjektives auch nur Prinzip des transzendentalen Idealismus, sondern als subjektives Subjekt-Objekt.

Für diejenigen, die fähig sind, aus bestimmten Ausdrücken nicht das Gegenteil derselben zu vernehmen, ist es vielleicht nicht überflüssig, außer der Einleitung zum System des transzendentalen Idealismus selbst und ohnehin den neueren Stücken der Zeitschrift für spekulative Physik, schon auf das zweite Stück des ersten Bandes derselben aufmerksam zu machen, worin sich Schelling so ausdrückt [S. 84 f.]: "Die Naturphilosophie ist eine physikalische Erklärung des Idealismus; ... die Natur hat von ferne schon die Anlage gemacht zu dieser Höhe, welche sie in der Vernunft erreicht. Der Philosoph übersieht dies nur, weil er sein Objekt mit dem ersten Akt schon in der höchsten Potenz, — als Ich als mit Bewußtsein begabtes aufnimmt, und nur der Physiker kommt hinter diese Täuschung ... Der Idealist hat recht, wenn er die Vernunft zum Selbstschöpfer von allem macht, ... er hat die eigene Intention der Natur mit dem Menschen für sich; aber eben weil es die Intention der Natur ist, ... wird jener Idealismus selbst ... etwas Erklärbares, und damit fällt die theoretische Realität des Idealismus zusammen. Wenn die Menschen erst lernen werden, rein theoretisch, bloß objektiv ohne alle Einmischung von Subjektivem zu denken, so werden sie dies verstehen lernen."

Wenn Reinhold das Hauptgebrechen der bisherigen Philosophie darein setzt, daß man bisher das Denken unter dem Charakter einer bloß subjektiven Tätigkeit vorgestellt hat, und fordert, den Versuch zu machen, von der Subjektivität desselben zu abstrahieren58), so ist, wie es nicht nur in dem Angeführten, sondern im Prinzip des ganzen Schellingschen Systems liegt, die Abstraktion vom Subjektiven der transzendentalen Anschauung der formelle Grundcharakter dieser Philosophie, — der noch bestimmter [in der] Zeitschrift für spekulative Physik, II. Bd., 1. St. zur Sprache gekommen ist, bei Gelegenheit der Eschenmayerschen Einwürfe gegen die Naturphilosophie, die aus Gründen des transzendentalen Idealismus genommen sind, in welchem die Totalität nur als eine Idee, ein Gedanke, d. i. ein Subjektives gesetzt wird.

 

_________________

55) Reinhold, Beiträge, 1. Heft, S. 86 f.

56) Reinhold, Beiträge, S. 85 f.

57) Schelling, Transzendentaler Idealismus, SW (hrsg. von K. F. A. Schelling), Bd. III, S. 339 ff.

58) Reinhold, Beiträge, 1. Heft, S. 96, 98


 © textlog.de 2004 • 19.03.2024 10:23:41 •
Seite zuletzt aktualisiert: 11.11.2006 
bibliothek
text
  Home  Impressum  Copyright