Grundriß der Logik
Doch hat Reinhold in dieser vorhergehenden und einleitenden Exposition nicht alles angebracht, was aus dem Grundriß der Logik zur Milderung jener Art von Schwierigkeit, die in der absoluten Entgegensetzung liegt, dienen kann. Nämlich der Grundriß postuliert außer der postulierten Materie und ihrer deduzierten Mannigfaltigkeit auch eine innere Fähigkeit und Geschicklichkeit der Materie, gedacht zu werden, neben der Materiatur, die im Denken zernichtet werden muß, noch etwas, das sich durchs Denken nicht zernichten läßt, das auch den Gewahrnehmungen der Pferde nicht fehle, — eine vom Denken unabhängige Form, mit welcher, weil sich nach dem Gesetze der Natur die Form nicht durch die Form zerstören läßt, sich die Form des Denkens zu fügen hat, außer der nicht denkbaren Materiatur, dem Ding-an-sich, einen absoluten vorstellbaren Stoff, der vom Vorstellenden unabhängig ist, aber in der Vorstellung auf die Form bezogen wird.78) Dies Beziehen der Form auf den Stoff nennt Reinhold immer Anwendung des Denkens und vermeidet den Ausdruck "Vorstellen", den Bardili dafür gebraucht. Es ist nämlich behauptet worden, daß der Grundriß der Logik nichts als die aufgewärmte Elementarphilosophie sei. Es scheint nicht, daß man Reinhold die Absicht zugeschrieben habe, als ob er etwa die im philosophischen Publikum nicht mehr gesuchte Elementarphilosophie in dieser kaum veränderten Form in die philosophische Welt hätte wieder einführen wollen, sondern daß das lautere Empfangen und reine Lernen der Logik unwissenderweise eigentlich bei sich selbst in die Schule gegangen sei. Reinhold setzt dieser Ansicht der Sache folgende Beweisgründe in den Beiträgen entgegen: daß er erstens, statt seine Elementar-Philosophie im Grundriß der Logik zu suchen, — "Verwandtschaft mit dem Idealismus" in ihm gesehen, und zwar wegen des bitteren Spottes, womit Bardili der Reinholdischen Theorie bei jeder Gelegenheit erwähne, eher jede andere Philosophie darin geahnt habe;
— daß die Worte Vorstellung, Vorgestelltes und bloße Vorstellung usw. im Grundriß durchaus in einem Sinne vorkommen, der demjenigen, in welchem sie von dem Verfasser der Elementarphilosophie gebraucht wurden, was er wohl am besten wissen müsse, durchaus entgegengesetzt sei;
— durch die Behauptung, daß jener Grundriß auch nur in irgendeinem denkbaren Sinne Umarbeitung der Reinholdischen Elementarphilosophie [sei], tue der, der dies behauptete, augenscheinlich dar, daß er nicht verstanden habe, was er beurteilt.79)
Auf den ersten Grund, den bitteren Spott, ist sich weiter nicht einzulassen. Die übrigen sind Behauptungen, deren Triftigkeit aus einer kurzen Vergleichung der Hauptmomente der Theorie80) mit dem Grundriß sich ergeben wird.
Nach der Theorie gehört zum Vorstellen als innere Bedingung, wesentlicher Bestandteil der Vorstellung
a. ein Stoff der Vorstellung, das der Rezeptivität Gegebene, dessen Form die Mannigfaltigkeit ist;
b. eine Form der Vorstellung, das durch die Spontaneität Hervorgebrachte, dessen Form die Einheit ist.81)
In der Logik:
a. ein Denken, eine Tätigkeit, deren Grundcharakter Einheit,
b. eine Materie, deren Charakter Mannigfaltigkeit ist;
c. das Beziehen beider aufeinander heißt in der Theorie und in der Logik Vorstellen, nur daß Reinhold immer Anwendung des Denkens sagt. Form und Stoff, Denken und Materie sind in beiden gleicherweise für sich selbst bestehend.
Was noch die Materie betrifft, so ist
a. ein Teil derselben, in der Theorie und in der Logik, das Ding-an-sich, dort der Gegenstand selbst, insofern er nicht vorstellbar ist82), — aber sowenig geleugnet werden kann als die vorstellbaren Gegenstände selbst83), hier die Materiatur, die im Denken zernichtet werden muß, das nicht Denkbare der Materie.
b. Der andere Teil des Objekts ist in der Theorie der bekannte Stoff der Vorstellung84), in der Logik die vom Denken unabhängige unvertilgbare85) Form des Objekts, mit welcher die Form des Denkens, weil die Form die Form nicht zernichten kann, sich fügen muß.
Und über diese Zweiteiligkeit des Objekts — einmal einer fürs Denken absoluten Materiatur, mit welcher das Denken sich nicht zu fügen, sondern nichts anzufangen weiß, als sie zu zernichten, d. h. von ihr zu abstrahieren, das andere Mal einer Beschaffenheit, die dem Objekt wieder unabhängig von allem Denken zukommt, aber einer Form, die es geschickt macht, gedacht zu werden, mit der sich das Denken fügen muß, so gut es kann — soll sich das Denken in das Leben hineinstürzen.86) In der Philosophie kommt das Denken aus dem Sturze in eine solche absolute Dualität mit gebrochenem Halse an, — eine Dualität, die ihre Formen unendlich wechseln kann, aber immer eine und ebendieselbe Unphilosophie gebiert. In dieser neu aufgelegten Theorie seiner eigenen Lehre findet Reinhold — nicht unähnlich jenem Manne, der zu seiner größten Zufriedenheit aus dem eigenen Keller unwissenderweise bewirtet wurde — alle Hoffnungen und Wunsche in Erfüllung gegangen, die philosophischen Revolutionen im neuen Jahrhundert geendigt, so daß nunmehr der philosophische ewige Frieden in der allgemeingültigen Reduktion der Philosophie durch Logik unmittelbar eintreten kann.
Die neue Arbeit in diesem philosophischen Weinberg fängt Reinhold, wie sonst das politische Journal jedes seiner Stücke, mit der Erzählung an, daß es anders und abermal anders ausgefallen sei, als er vorausgesagt habe: 'Anders, als er es im Anfange der Revolution ankündigte; anders, als er in der Mitte derselben ihren Fortgang zu befördern suchte, anders, als er gegen das Ende derselben ihr Ziel erreicht glaubte; er fragt, ob er sich nicht zum vierten Mal täusche.'87) — Sonst, wenn die Menge der Täuschungen die Berechnung der Wahrscheinlichkeit erleichtern kann und in Rücksicht auf dasjenige, was man eine Autorität nennt, in Betracht kommen kann, so kann man aus den Beiträgen vor dieser, die keine wirkliche sein sollte, zu jenen drei erkannten noch mehrere aufzählen:
— nämlich nach S. 126 hat Reinhold den Zwischenstandpunkt zwischen der Fichteschen und Jacobischen Philosophie, den er gefunden zu haben glaubte, auf immer verlassen müssen;
— er glaubte, wünschte usw. (S. 129), daß sich das Wesentliche der Bardilischen Philosophie auf das Wesentliche der Fichteschen und umgekehrt zurückführen lasse, und legte es allen Ernstes bei Bardili darauf an, ihn zu überzeugen, daß er ein Idealist sei. Aber nicht nur war Bardili nicht zu überzeugen, im Gegenteil wurde Reinhold durch Bardilis Briefe (S. 130) gezwungen, den Idealismus überhaupt aufzugeben;
— da der Versuch mit Bardili mißlungen war, legte er Fichte den Grundriß dringend ans Herz (S. 163), wobei er ausruft: "Welch ein Triumph für die gute Sache, wenn Fichte durch das Bollwerk seines und Ihres (Bardilis) Buchstabens hindurch bis zur Einheit mit Ihnen durchdränge!" — Wie es ausgefallen ist, ist bekannt.
Endlich darf auch in Rücksicht auf die geschichtlichen Ansichten nicht vergessen werden, daß es anders ist, als Reinhold dachte, wenn er in einem Teile der Schellingschen Philosophie das ganze System zu sehen glaubte und diese Philosophie für das hielt, was man gewöhnlich Idealismus nennt.
Wie es endlich mit der logischen Reduktion der Philosophie ausfallen werde, darüber ist nicht leicht etwas vorauszusagen. Die Erfindung ist, um sich außerhalb der Philosophie zu halten und doch zu philosophieren, zu dienlich, als daß sie nicht erwünscht sein sollte; nur führt sie ihr eigenes Gericht mit sich. Weil sie nämlich unter vielen möglichen Formen des Standpunkts der Reflexion irgendeine wählen muß, so steht es in eines jeden Belieben, eine andere sich zu schaffen. So etwas heißt alsdann, durch ein neues System ein altes verdrängen, und muß so heißen, weil die Reflexionsform für das Wesen des Systems genommen werden muß; so hat auch Reinhold selbst in Bardilis Logik ein anderes System als in seiner Theorie sehen können.
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78) Bardili, Grundriß der ersten Logik, S. 66, 67, 88, 99, 114 usf.
79) Reinhold, Beiträge, 1. Heft, S. 128 f. 80) Reinhold, Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögens, Prag und Jena 1789
81) Reinhold, Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögens, Prag und Jena 1789, S. 230, 255-285
82) Reinhold, Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögens, Prag und Jena 1789, S. 244
83) Reinhold, Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögens, Prag und Jena 1789, S. 433
84) Reinhold, Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögens, Prag und Jena 1789, S. 304
85) Bardili, Grundriß der ersten Logik, S. 82
86) Bardili, Grundriß der ersten Logik, S. 69
87) Reinhold, Beiträge, 1. Heft, S. III-VI 88) vgl. Albrecht von Haller, "Die Falschheit der menschlichen Tugenden", in: Versuch schweizerischer Gedichte, Bern 1732