Theoretisches Vermögen


Ich vermag als theoretisches Vermögen nicht, sich vollständig objektiv zu setzen und aus der Entgegensetzung herauszukommen. "Ich setzt sich als bestimmt durch Nicht-Ich"15) ist derjenige Teil des dritten Grundsatzes, durch welchen sich Ich als Intelligentes konstituiert. Wenn sich nun gleich die objektive Welt als ein Akzidens der Intelligenz erweist und das Nicht-Ich, wodurch die Intelligenz sich selbst bestimmt setzt, ein Unbestimmtes und jede Bestimmung desselben ein Produkt der Intelligenz ist, so bleibt doch eine Seite des theoretischen Vermögens übrig, von welcher es bedingt ist; nämlich die objektive Welt, in ihrer unendlichen Bestimmtheit durch die Intelligenz, bleibt zugleich immer ein Etwas für sie, das für sie zugleich unbestimmt ist. Das Nicht-Ich hat zwar keinen positiven Charakter, aber es hat den negativen, ein Anderes, d. h. ein Entgegengesetztes überhaupt zu sein; — oder wie Fichte sich ausdrückt: die Intelligenz ist durch einen Anstoß bedingt, der aber an sich durchaus unbestimmt ist.16) Da Nicht-Ich nur das Negative, ein Unbestimmtes ausdrückt, so kommt ihm selbst dieser Charakter nur durch ein Setzen des Ich zu: Ich setzt sich als nicht gesetzt; das Entgegensetzen überhaupt, das Setzen eines absolut durch Ich Unbestimmten ist selbst ein Setzen des Ich. In dieser Wendung ist die Immanenz des Ich, auch als Intelligenz, in Rücksicht auf ihr Bedingtsein durch ein Anderes, = X, behauptet. Aber der Widerspruch hat nur eine andere Form erhalten, durch die er selbst immanent geworden ist: nämlich das Entgegensetzen des Ich und das Sich-selbst-Setzen des Ich widersprechen sich; und aus dieser Entgegensetzung vermag das theoretische Vermögen nicht herauszukommen; sie bleibt deswegen für dasselbe absolut. Die produktive Einbildungskraft ist ein Schweben zwischen absolut Entgegengesetzten, die sie nur in der Grenze synthesieren, aber deren entgegengesetzte Enden sie nicht vereinigen kann.

Durchs theoretische Vermögen wird sich Ich nicht objektiv; statt zu Ich = Ich durchzudringen, entsteht ihm das Objekt als Ich + Nicht-Ich; oder das reine Bewußtsein erweist sich nicht gleich dem empirischen.

 

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15) Fichte, Wissenschaftslehre, SW, Bd. 1, S. 127

16) Fichte, Wissenschaftslehre, SW, Bd. 1, S. 248


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