Gemeinschaft der Menschen


Diese Gemeinschaft ist vorgestellt als eine Gemeinschaft von Vernunftwesen, welche den Umweg durch die Begriffsherrschaft nehmen muß. Jedes Vernunftwesen ist ein gedoppeltes fürs andere: a) ein freies, vernünftiges Wesen; b) eine modifikable Materie, ein Fähiges, als bloße Sache behandelt zu werden.35) Diese Trennung ist absolut, und so, wie sie in ihrer Unnatürlichkeit einmal zugrunde liegt, ist keine reine Beziehung mehr gegeneinander möglich, in welcher die ursprüngliche Identität sich darstellte und erkennte, sondern jede Beziehung ist ein Beherrschen und Beherrschtwerden nach Gesetzen eines konsequenten Verstandes; das ganze Gebäude der Gemeinschaft lebendiger Wesen ist von der Reflexion erbaut.

Die Gemeinschaft vernünftiger Wesen erscheint als bedingt durch die notwendige Beschränkung der Freiheit, die sich selbst das Gesetz gibt, sich zu beschränken36); und der Begriff des Beschränkens konstituiert ein Reich der Freiheit, in welchem jedes wahrhaft freie, für sich selbst unendliche und unbeschränkte, d. h. schöne Wechselverhältnis des Lebens dadurch vernichtet wird, daß das Lebendige in Begriff und Materie zerrissen ist und die Natur unter eine Botmäßigkeit kommt. — Die Freiheit ist der Charakter der Vernünftigkeit, sie ist das an sich alle Beschränkung Aufhebende und das Höchste des Fichteschen Systems; in der Gemeinschaft mit anderen aber muß sie aufgegeben werden, damit die Freiheit aller in Gemeinschaft stehender Vernunftwesen möglich sei, und die Gemeinschaft ist wieder eine Bedingung der Freiheit; die Freiheit muß sich selbst aufheben, um Freiheit zu sein. Es erhellt hieraus wieder, daß Freiheit hier ein bloß Negatives, nämlich absolute Unbestimmtheit oder, wie oben vom Sich-selbst-Setzen gezeigt worden ist, ein rein ideeller Faktor ist — die Freiheit vom Standpunkte der Reflexion betrachtet. Diese Freiheit findet sich nicht als Vernunft, sondern als Vernunftwesen, d. h. synthesiert mit seinem Entgegengesetzten, einem Endlichen; und schon diese Synthese der Personalität schließt die Beschränkung des einen der ideellen Faktoren, wie hier die Freiheit ist, in sich. Vernunft und Freiheit als Vernunftwesen ist nicht mehr Vernunft und Freiheit, sondern ein Einzelnes; und die Gemeinschaft der Person mit anderen muß daher wesentlich nicht als eine Beschränkung der wahren Freiheit des Individuums, sondern als eine Erweiterung derselben angesehen werden. Die höchste Gemeinschaft ist die höchste Freiheit, sowohl der Macht als der Ausübung nach, — in welcher höchsten Gemeinschaft aber gerade die Freiheit, als ideeller Faktor, und die Vernunft, als entgegengesetzt der Natur, ganz wegfällt.

Wenn die Gemeinschaft der Vernunftwesen wesentlich ein Beschränken der wahren Freiheit wäre, so würde sie an und für sich die höchste Tyrannei sein; aber weil es vorderhand nur die Freiheit als Unbestimmtes und ideeller Faktor ist, die beschränkt wird, so entsteht durch jene Vorstellung für sich in der Gemeinschaft noch nicht unmittelbar Tyrannei. Aber sie entsteht aufs vollständigste durch die Art, wie die Freiheit beschränkt werden soll, damit die Freiheit der anderen Vernunftwesen möglich sei; nämlich die Freiheit soll durch die Gemeinschaft nicht die Form, ein Ideelles, Entgegengesetztes zu sein, verlieren, sondern als solches fixiert und herrschend werden. Durch eine echtfreie Gemeinschaft lebendiger Beziehungen hat das Individuum auf seine Unbestimmtheit, das hieße Freiheit, Verzicht getan. In der lebendigen Beziehung ist allein insofern Freiheit, als sie die Möglichkeit, sich selbst aufzuheben und andere Beziehungen einzugehen, in sich schließt; d. h. die Freiheit ist als ideeller Faktor, als Unbestimmtheit weggefallen; die Unbestimmtheit ist in einem lebendigen Verhältnisse, insofern es frei ist, nur das Mögliche, nicht ein zum Herrschenden gemachtes Wirkliches, nicht ein gebietender Begriff. Aber die aufgehobene Unbestimmtheit ist unter der freien Beschränkung seiner Freiheit im System des Naturrechts nicht verstanden; sondern indem die Beschränkung durch den gemeinsamen Willen zum Gesetz erhoben und als Begriff fixiert ist, wird die wahre Freiheit, die Möglichkeit, eine bestimmte Beziehung aufzuheben, vernichtet. Die lebendige Beziehung ist nicht mehr möglich, unbestimmt zu sein, ist also nicht mehr vernünftig, sondern absolut bestimmt und durch den Verstand festgesetzt; das Leben hat sich in die Botmäßigkeit begeben und die Reflexion die Herrschaft über dasselbe und den Sieg über die Vernunft davongetragen. Dieser Stand der Not wird als Naturrecht, und zwar nicht so behauptet, daß das höchste Ziel wäre, ihn aufzuheben und an die Stelle dieser verständigen und unvernünftigen Gemeinschaft eine von aller Knechtschaft unter dem Begriff freie Organisation des Lebens durch die Vernunft zu konstruieren, sondern der Notstand und seine unendliche Ausdehnung über alle Regungen des Lebens gilt als absolute Notwendigkeit. Diese Gemeinschaft unter der Herrschaft des Verstandes wird nicht so vorgestellt, daß sie selbst es sich zum obersten Gesetze machen müßte, diese Not des Lebens, in die es durch den Verstand gesetzt wird, und diese Endlosigkeit des Bestimmens und Beherrschens in der wahren Unendlichkeit einer schönen Gemeinschaft aufzuheben, die Gesetze durch Sitten, die Ausschweifungen des unbefriedigten Lebens durch geheiligten Genuß und die Verbrechen der gedrückten Kraft durch mögliche Tätigkeit für große Objekte entbehrlich zu machen; sondern im Gegenteil, die Herrschaft des Begriffs und die Knechtschaft der Natur ist absolut gemacht und ins Unendliche ausgedehnt.

 

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35) Fichte, Grundlage des Naturrechts (1796), SW, Bd. III, S. 86 f.

36) Fichte, Grundlage des Naturrechts (1796), SW, Bd. III, S. 85, 92 f.


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