Reflexion als Instrument des Philosophierens


Die Form, die das Bedürfnis der Philosophie erhalten würde, wenn es als Voraussetzung ausgesprochen werden sollte, gibt den Übergang vom Bedürfnisse der Philosophie zum Instrument des Philosophierens, der Reflexion als Vernunft. Das Absolute soll fürs Bewußtsein konstruiert werden, [das] ist die Aufgabe der Philosophie; da aber das Produzieren sowie die Produkte der Reflexion nur Beschränkungen sind, so ist dies ein Widerspruch. Das Absolute soll reflektiert, gesetzt werden; damit ist es aber nicht gesetzt, sondern aufgehoben worden, denn indem es gesetzt wurde, wurde es beschränkt. Die Vermittlung dieses Widerspruchs ist die philosophische Reflexion. Es ist vornehmlich zu zeigen, inwiefern die Reflexion das Absolute zu fassen fähig ist und in ihrem Geschäft, als Spekulation, die Notwendigkeit und Möglichkeit trägt, mit der absoluten Anschauung synthesiert und für sich, subjektiv, ebenso vollständig zu sein, als es ihr Produkt, das im Bewußtsein konstruierte Absolute, als bewußtes und bewußtloses zugleich sein muß.

Die isolierte Reflexion, als Setzen Entgegengesetzter, wäre ein Aufheben des Absoluten; sie ist das Vermögen des Seins und der Beschränkung. Aber die Reflexion hat als Vernunft Beziehung auf das Absolute, und sie ist nur Vernunft durch diese Beziehung; die Reflexion vernichtet insofern sich selbst und alles Sein und Beschränkte, indem sie es aufs Absolute bezieht. Zugleich aber eben durch seine Beziehung auf das Absolute hat das Beschränkte ein Bestehen.

Die Vernunft stellt sich als Kraft des negativen Absoluten, damit als absolutes Negieren, und zugleich als Kraft des Setzens der entgegengesetzten objektiven und subjektiven Totalität dar. Einmal erhebt sie den Verstand über ihn selbst, treibt ihn zu einem Ganzen nach seiner Art; sie verführt ihn, eine objektive Totalität zu produzieren. Jedes Sein ist, weil es gesetzt ist, ein entgegengesetztes, bedingtes und bedingendes; der Verstand vervollständigt diese seine Beschränkungen durch das Setzen der entgegengesetzten Beschränkungen als der Bedingungen; diese bedürfen derselben Vervollständigung, und seine Aufgabe erweitert sich zur unendlichen. Die Reflexion scheint hierin nur verständig, aber diese Leitung zur Totalität der Notwendigkeit ist der Anteil und die geheime Wirksamkeit der Vernunft. Indem sie den Verstand grenzenlos macht, findet er und seine objektive Welt in dem unendlichen Reichtum den Untergang. Denn jedes Sein, das der Verstand produziert, ist ein Bestimmtes, und das Bestimmte hat ein Unbestimmtes vor sich und hinter sich, und die Mannigfaltigkeit des Seins liegt zwischen zwei Nächten, haltungslos; sie ruht auf dem Nichts, denn das Unbestimmte ist Nichts für den Verstand und endet im Nichts. Der Eigensinn des Verstandes vermag die Entgegensetzung des Bestimmten und Unbestimmten, der Endlichkeit und der aufgegebenen Unendlichkeit unvereinigt nebeneinander bestehen zu lassen und das Sein gegen das ihm ebenso notwendige Nichtsein festzuhalten. Weil sein Wesen auf durchgängige Bestimmung geht, sein Bestimmtes aber unmittelbar durch ein Unbestimmtes begrenzt ist, so erfüllt sein Setzen und Bestimmen nie die Aufgabe; im geschehenen Setzen und Bestimmen selbst liegt ein Nicht-Setzen und ein Unbestimmtes, also immer wieder die Aufgabe selbst, zu setzen und zu bestimmen. — Fixiert der Verstand diese Entgegengesetzten, das Endliche und Unendliche, so daß beide zugleich als einander entgegengesetzt bestehen sollen, so zerstört er sich; denn die Entgegensetzung des Endlichen und Unendlichen hat die Bedeutung, daß, insofern eines derselben gesetzt, das andere aufgehoben ist. Indem die Vernunft dies erkennt, hat sie den Verstand selbst aufgehoben; sein Setzen erscheint ihr als ein Nicht-Setzen, seine Produkte als Negationen. Dieses Vernichten oder das reine Setzen der Vernunft ohne Entgegensetzen wäre, wenn sie der objektiven Unendlichkeit entgegengesetzt wird, die subjektive Unendlichkeit — das der objektiven Welt entgegengesetzte Reich der Freiheit. Weil dieses in dieser Form selbst entgegengesetzt und bedingt ist, so muß die Vernunft, um die Entgegensetzung absolut aufzuheben, auch dies in seiner Selbständigkeit vernichten. Sie vernichtet beide, indem sie beide vereinigt; denn sie sind nur dadurch, daß sie nicht vereinigt sind. In dieser Vereinigung bestehen zugleich beide; denn das Entgegengesetzte und also Beschränkte ist hiermit aufs Absolute bezogen. Es besteht aber nicht für sich, nur insofern es in dem Absoluten, d. h. als Identität gesetzt ist; das Beschränkte, insofern es einer der entgegengesetzten, also relativen Totalitäten angehört, ist entweder notwendig oder frei; insofern es der Synthese beider angehört, hört seine Beschränkung auf: es ist frei und notwendig zugleich, Bewußtes und Bewußtloses. Diese bewußte Identität des Endlichen und der Unendlichkeit, die Vereinigung beider Welten, der sinnlichen und der intellektuellen, der notwendigen und der freien, im Bewußtsein ist Wissen. Die Reflexion als Vermögen des Endlichen und das ihr entgegengesetzte Unendliche sind in der Vernunft synthetisiert, deren Unendlichkeit das Endliche in sich faßt.

Insofern die Reflexion sich selbst zu ihrem Gegenstand macht, ist ihr höchstes Gesetz, das ihr von der Vernunft gegeben und wodurch sie zur Vernunft wird, ihre Vernichtung; sie besteht, wie alles, nur im Absoluten, aber als Reflexion ist sie ihm entgegengesetzt; um also zu bestehen, muß sie sich das Gesetz der Selbstzerstörung geben. Das immanente Gesetz, wodurch sie sich aus eigener Kraft als absolut konstituierte, wäre das Gesetz des Widerspruchs, nämlich daß ihr Gesetztsein sei und bleibe; sie fixierte hierdurch ihre Produkte als dem Absoluten absolut entgegengesetzte, machte es sich zum ewigen Gesetz, Verstand zu bleiben und nicht Vernunft zu werden und an ihrem Werk, das in Entgegensetzung zum Absoluten nichts ist (und als Beschränktes ist es dem Absoluten entgegengesetzt), festzuhalten.

So wie die Vernunft dadurch ein Verständiges und ihre Unendlichkeit eine subjektive wird, wenn sie in eine Entgegensetzung gesetzt ist, so ist die Form, welche das Reflektieren als Denken ausdrückt, eben dieser Zweideutigkeit und dieses Mißbrauchs fähig. Wird das Denken nicht als die absolute Tätigkeit der Vernunft selbst gesetzt, für die es schlechthin keine Entgegensetzung gibt, sondern gilt Denken nur für ein reineres Reflektieren, d. h. ein solches, in welchem von der Entgegensetzung nur abstrahiert wird, so kann ein solches abstrahierendes Denken aus dem Verstande nicht einmal zur Logik herauskommen, welche die Vernunft in sich begreifen soll, viel weniger zur Philosophie. Das Wesen oder der innere Charakter des Denkens als Denken wird von Reinhold6) gesetzt als die unendliche Wiederholbarkeit von einem und ebendemselben als eins und ebendasselbe, in einem und ebendemselben und durch eins und ebendasselbe, oder als Identität. Man könnte durch diesen scheinbaren Charakter einer Identität verleitet werden, in diesem Denken die Vernunft zu sehen. Aber durch den Gegensatz desselben a) gegen eine Anwendung des Denkens, b) gegen eine absolute Stoffheit wird es klar, daß dies Denken nicht die absolute Identität, die Identität des Subjekts und Objekts, welche beide in ihrer Entgegensetzung aufhebt und in sich faßt, sondern eine reine Identität, d. h. eine durch Abstraktion entstandene und durch Entgegensetzung bedingte ist — der abstrakte Verstandesbegriff der Einheit, Eines von fixierten Entgegengesetzten. Reinhold sieht den Fehler aller bisherigen Philosophie in der unter den Philosophen unserer Zeit so weit verbreiteten und so tief eingewurzelten Gewohnheit, sich das Denken, überhaupt und in seiner Anwendung, als ein bloß subjektives vorzustellen.7) — Wenn es mit der Identität und Nicht­Subjektivität dieses Denkens ein rechter Ernst wäre, so könnte Reinhold schon gar keinen Unterschied zwischen Denken und Anwendung des Denkens machen; wenn das Denken wahre Identität, kein subjektives ist, wo soll noch so was von Denken Unterschiedenes, eine Anwendung herkommen, vom Stoff gar nicht zu sprechen, der zum Behuf der Anwendung postuliert wird? Wenn die analytische Methode eine Tätigkeit behandelt, so muß diese, weil sie analysiert werden soll, ihr als eine synthetische erscheinen, und durchs Analysieren entstehen nunmehr die Glieder der Einheit und einer ihr entgegengesetzten Mannigfaltigkeit. Was die Analysis als Einheit darstellt, wird subjektiv genannt, und als eine solche dem Mannigfaltigen entgegengesetzte Einheit, als eine abstrakte Identität wird das Denken charakterisiert; es ist auf diese Art ein rein beschränktes und seine Tätigkeit ein gesetzmäßiges und regelgerechtes Anwenden auf eine sonst vorhandene Materie, das nicht zum Wissen durchdringen kann.

Nur insofern die Reflexion Beziehung aufs Absolute hat, ist sie Vernunft und ihre Tat ein Wissen; durch diese Beziehung vergeht aber ihr Werk, und nur die Beziehung besteht und ist die einzige Realität der Erkenntnis; es gibt deswegen keine Wahrheit der isolierten Reflexion, des reinen Denkens, als die ihres Vernichtens. Aber das Absolute, weil es im Philosophieren von der Reflexion fürs Bewußtsein produziert wird, wird hierdurch eine objektive Totalität, ein Ganzes von Wissen, eine Organisation von Erkenntnissen. In dieser Organisation ist jeder Teil zugleich das Ganze, denn er besteht als Beziehung auf das Absolute. Als Teil, der andere außer sich hat, ist er ein Beschränktes und nur durch die andern; isoliert als Beschränkung ist er mangelhaft, Sinn und Bedeutung hat er nur durch seinen Zusammenhang mit dem Ganzen. Es kann deswegen nicht von einzelnen Begriffen für sich, einzelnen Erkenntnissen als einem Wissen die Rede sein. Es kann eine Menge einzelner empirischer Kenntnisse geben; als Wissen der Erfahrung zeigen sie ihre Rechtfertigung in der Erfahrung auf, d. h. in der Identität des Begriffs und des Seins, des Subjekts und Objekts. Sie sind eben darum kein wissenschaftliches Wissen, weil sie nur diese Rechtfertigung in einer beschränkten, relativen Identität haben und sich weder als notwendige Teile eines im Bewußtsein organisierten Ganzen der Erkenntnisse legitimieren, noch die absolute Identität, die Beziehung auf das Absolute in ihnen, durch die Spekulation erkannt worden ist.

 

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6) vgl. Beiträge, 1. Heft, S. 106 f.

7) vgl. Beiträge, 1. Heft, S. 96


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