Voraussetzungen der Philosophie


Wir können nicht sogleich zur Betrachtung dieser Methode, wodurch die Philosophie in den Bezirk des Anlaufens versetzt werden soll, übergehen, sondern müssen zuerst von denjenigen Voraussetzungen, welche Reinhold der Philosophie für notwendig erachtet, also von dem Anlaufen zu dem Anlaufen sprechen.

Als vorhergehende Bedingung des Philosophierens, wovon das Bestreben, die Erkenntnis zu ergründen, ausgehen muß, nennt Reinhold die Liebe zur Wahrheit und zur Gewißheit; und weil dies bald und leicht genug anerkannt werde, so hält sich Reinhold auch nicht weiter damit auf.69) Und in der Tat kann das Objekt der philosophischen Reflexion nichts anderes als das Wahre und Gewisse sein. Wenn nun das Bewußtsein mit diesem Objekt erfüllt ist, so hat eine Reflexion auf das Subjektive, in Form einer Liebe, keinen Platz darin; diese Reflexion macht erst die Liebe, indem sie das Subjektive fixiert, und zwar macht sie sie, die einen so erhabenen Gegenstand hat, als die Wahrheit ist, — wie nicht weniger das Individuum, das, von solcher Liebe beseelt, sie postuliert — zu etwas höchst Erhabenem.

Die zweite wesentliche Bedingung des Philosophierens, der Glaube an Wahrheit als Wahrheit, denkt Reinhold, werde nicht so leicht anerkannt als die Liebe. Glaube hätte wohl hinreichend ausgedrückt, was ausgedrückt werden soll; in bezug auf Philosophie könnte etwa von dem Glauben an Vernunft als der echten Gesundheit gesprochen werden; die Überflüssigkeit des Ausdrucks "Glauben an Wahrheit als Wahrheit" bringt, statt ihn erbaulicher zu machen, etwas Schiefes hinein. Die Hauptsache ist, daß Reinhold mit Ernst erklärt, man solle ihn nicht fragen, was der Glaube an Wahrheit sei; wem er nicht durch sich selbst klar ist, hat und kennt das Bedürfnis nicht, denselben im Wissen bewährt zu finden, das nur von diesem Glauben ausgehen kann. Er versteht sich in jener Frage selbst nicht; und Reinhold hat ihm denn nichts weiter zu sagen.70)

Wenn Reinhold sich berechtigt glaubt, zu postulieren, — so findet sich ebenso die Voraussetzung eines über allen Beweis Erhabenen und das daraus folgende Recht und Notwendigkeit des Postulierens in dem Postulate der transzendentalen Anschauung. Fichte und Schelling haben denn doch, wie Reinhold selbst sagt, das eigentümliche Tun der reinen Vernunft, die transzendentale Anschauung als ein in sich zurückgehendes Handeln beschrieben71); aber Reinhold hat dem, den die Frage nach einer Beschreibung des Reinholdischen Glaubens ankommen könnte, gar nichts zu sagen. Doch tut er mehr, als er verbunden zu sein glaubt; er bestimmt den Glauben wenigstens durch den Gegensatz gegen das Wissen, als ein durch kein Wissen feststehendes Fürwahrhalten, und die Bestimmung dessen, was Wissen ist, wird sich im Verfolg der problematischen und hypothetischen Begründung so wie die gemeinschaftliche Sphäre des Wissens und des Glaubens auch ausweisen und also die Beschreibung sich vollständig machen.

Wenn Reinhold sich durch ein Postulat alles Weiter-Sagens überhoben zu sein glaubt, so scheint es ihm dagegen sonderbar vorzukommen, daß die Herren Fichte und Schelling postulieren; ihr Postulat gilt ihm als eine Idiosynkrasie in dem Bewußtsein gewisser außerordentlicher, mit dem besonderen Sinne dazu ausgestatteter Individuen, in deren Schriften die reine Vernunft selber ihr handelndes Wissen und wissendes Handeln publizierte.72) Auch Reinhold glaubt (S. 143) in diesem Zauberkreise sich befunden zu haben, aus demselben herausgekommen zu sein und sich nun imstande zu befinden, das Geheimnis zu offenbaren. Was er denn aus der Schule schwatzt, ist, daß das Allgemeinste, das Tun der Vernunft, für ihn sich in das Besonderste, in eine Idiosynkrasie der Herren Fichte und Schelling verwandelt. — Nicht weniger muß derjenige, dem die Reinholdsche Liebe und Glaube nicht für sich klar ist und dem Reinhold nichts darüber zu sagen hat, ihn in dem Zauberkreise eines Arkanums erblicken, dessen Besitzer, als Repräsentant der Liebe und des Glaubens, eben mit besonderem Sinne ausgestattet zu sein vorgebe, — eines Arkanums, das sich in dem Bewußtsein dieses außerordentlichen Individuums auf- und darstellte und durch den Grundriß der Logik und die ihn bearbeitenden Beiträge sich in der Sinnenwelt habe publizieren wollen usw.

Das Postulat der Liebe und des Glaubens klingt etwas angenehmer und sanfter als so eine wunderliche Forderung einer transzendentalen Anschauung. Ein Publikum kann durch ein sanftes Postulat mehr erbaut, durch das rauhe Postulat der transzendentalen Anschauung aber zurückgestoßen werden; allein dies tut zur Hauptsache nichts.

 

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69) Reinhold, Beiträge, 1. Heft, S. 67

70) Reinhold, Beiträge, 1. Heft, S. 69

71) Reinhold, Beiträge, 1. Heft, S. 141

72) Reinhold, Beiträge, 1. Heft, S. 140


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