29. Astrologie, göttliche Vorsehung und
Willensfreiheit


DER GENUESE. O, wenn Du erst wüßtest, was sie von der Astrologie gelernt haben und von unsern Propheten über das kommende Jahrhundert! Unser Jahrhundert habe mehr Geschichte, Erlebnisse, Ereignisse, als die ganze Welt zusammengenommen in viertausend Jahren, dass in diesem Jahrhundert mehr Bücher das Licht der Welt erblickt haben, als in fünftausend Jahren vorher. Sie bewundern unaufhörlich die Erfindung des Buchdrucks, des Schießpulvers und des Kompasses, Zeichen und Werkzeuge der Vereinigung der ganzen Welt in einem Schafstall.

Diese wunderbaren Erfindungen sind, behaupten sie, unter dem Einflusse des Mondes und des Mars gemacht, als gerade eine große Konjuktion stattfand im Dreieck des Krebses, in der Apsidenlinie des Merkur, der gerade das Zeichen des Skorpions durchlief, worin jene Gestirne (Mond und Mars) geradezu allmächtig sind, um neue Seereisen, neue Reiche, neue Waffentaten zu inauguriren. Aber sobald die Apsidenlinie des Saturn in das Zeichen des Steinbocks eintritt, die des Merkur in das Zeichen des Schützen, die des Mars in das Zeichen der Jungfrau, so werden nach den ersten großen Konjunktionen und dein Erscheinen eines neuen Sternes in der Kassiopeia die Gesetze und Künste erneuert werden, neue Propheten werden auferstehen und Christentum wird triumphiren. Aber vorher wird viel, gar viel umgestürzt und ausgerottet werden müssen, bevor es ans Bauen und ans Neupflanzen geht. Lebe wohl, mein Schiff erwartet mich! Noch will ich dir mitteilen, dass die Solarier Mittel erfunden haben, sich in die Luft zu erheben; das ist die einzige Kunst, die ihnen noch fehlte. Bald hoffen sie auch neue Ferngläser zu erfinden, mittels welcher sie neue unbekannte Sterne entdecken werden und Hörrohre, die ihnen die Harmonie der Sphären zu vernehmen gestatten werden.

DER GROSSMEISTER. Wie? Ah, ah, ah! Das sind freilich wunderbare Dinge, so schön anzuhören! Aber wie kann der Krebs, das weibliche Zeichen des Mondes und der Venus, in der wässerigen Luft wirken? Und wie können die Sterne das alles wissen und bewirken? Ereignet sich doch alles in der von Gott festgesetzten Ordnung. Die Solarier treiben zu viel Astrologie.

DER GENUESE. Das haben sie mir auch geantwortet, dass Gott nämlich unmittelbar die Ursache aller Dinge sei, aber Ursache nur im Allgemeinen, nicht im Besondern, die primitive, nicht die sekundäre Ursache. D.h. zum Beispiel: Gott isst nicht, weil Petrus isst, er stiehlt nicht, dieweil Petrus stiehlt, wenn auch die Fähigkeit, essen und stehlen zu können, von ihm als unmittelbarer Ursache ausgeht, vor der keine andere zu denken ist, von der vielmehr jede andere, immer mehr sich differenzirende besondere abhängt, welche die Unendlichkeit der göttlichen Handlungsfreiheit immer mehr ins spezielle modifiziert.

DER GROSSMEISTER. Oh! wie trefflich sie argumentieren! Unsere scholastischen Gelehrten und insbesondere der heil. Thomas sagen ganz dasselbe gegen die muhammedanischen Philosophen, die sich zu der entgegengesetzten Ansicht bekennen, nämlich dass die primäre Ursache unmittelbarer wirke als die sekundäre.

DER GENUESE. Die Solarier stellen also auf, dass Gott für jede Wirkung allgemeine und besondere Ursachen festgesetzt habe und dass die besonderen nicht wirken können, wenn die allgemeinen unwirksam sind. So zum Beispiel blüht also eine Pflanze nicht, wenn die Sonne nicht vorher erwärmend wirkt. Die Jahreszeiten sodann sind die Wirkungen der allgemeinen Ursachen, d.h. der himmlischen; was wir tun, tun wir alles unter der Einwirkung des Himmels. Die willkürlichen Ursachen verfahren mit der Zeit nach Belieben, z.B. mit Feuer (d.i. mit künstlicher Wärme) zwingt der Mensch den Baum zu blühen; mit der Laterne erleuchtet er, wenn die Sonne nicht leuchtet. Die natürlichen Ursachen dagegen sind an die Zeit gebunden. Dies geschieht am Tage, Jenes in der Nacht, das eine im Winter, das andere im Sommer, dies im Frühling, dies im Herbste, in diesem oder in einem nächsten Jahrhundert. Und sowie die willkürliche Ursache nicht gezwungen werden kann zu schlafen, sobald es Nacht wird, oder aufzustehen, sobald der Tag kommt, sondern ganz nur wirkt, wie es ihr paßt, so kann sie auch nicht gezwungen werden, ein Schießgewehr oder den Buchdruck zu erfinden, wenn große Konjunktionen im Krebs stattfinden, oder eine neue Monarchie, wenn sich eine solche im Widder ereignet u.s.w.

Die Solarier können durchaus nicht glauben, dass der Papst den hochgebildeten Christen die Astrologie verboten habe, es sei denn der Mißbrauch derselben, den Verschiedene mit ihr treiben, indem sie mittels ihrer Handlungen der freien Willkür übernatürliche Ereignisse erraten wollen, während die Sterne in Bezug auf die natürlichen nur allgemeine Ursachen sind, bloße Veranlassungen, Gelegenheiten darstellen, Ausmunterungen erhalten u.s.w.

So zwingt uns z.B. die ausgehende Sonne nicht zum Aufstehen, sondern lädt uns bloß dazu ein, indem sie uns allerlei Annehmlichkeiten bietet, während die Nacht dem Aufstehen nur Unannehmlichkeiten entgegensetzt, dagegen zum Schlafen verlockt.

Indem die allgemeinen Ursachen nur mittelbar und zufällig auf den freien Entschluss und die körperlichen Sinne einwirken, wird der Geist zur Liebe, zum Hasse und zu allen anderen Leidenschaften angeregt; es steht sodann aber immer noch im Belieben des Menschen, sich der Leidenschaft zu überlassen, d.h. zu der Anregung und Verlockung seiner Zustimmung zu geben, oder ihr zu widerstehen.

Daher treffen die von den Sternen im voraus angezeigten Ketzereien, Kriege, Hungersnöte auch in Wirklichkeit oft ein, weil so viele Menschen sich nicht von der Vernunft, sondern von den sinnlichen Lüsten leiten lassen, wodurch sie gerade Gelegenheit geben, dass derlei Dinge sich ereignen, die gegen die Vernunft angehen, wenn sie auch oft genug erfolgen, weil einer Leidenschaft mit Vernunft gedient worden ist, z.B. wenn man einen gerechten Zorn hegt, der dazu führt, einen gerechten Krieg zu unternehmen.

DER GROSSMEISTER. Du argumentierst vortrefflich und mit Dir stimmen der schon erwähnte heil. Thomas und seine Heiligkeit, unser Papst, überein, welche die Astrologie für die Zwecke der Heilkunst, des Ackerbaues und der Schifffahrt erlauben; und sämmtliche Scholastiker lassen daher auch Vorhersagungen infolge gewisser Anzeichen gelten, aber der daraus erfolgten Mißbräuche wegen verboten sie dieselben im Übrigen, nicht weil sie immer falsch, sondern weil sie meistens oder immer gefährlich sind. Fürsten und Völker, die der Astrologie zu viel Spielraum gestatten, sinnen viel Böses und jagen unmöglichen Gütern nach, wie es die Beispiele von Arbaces, Agathokles, Drusus, Achelaos zeigen, und was noch viel trauriger, viele Fürsten, betört von Betrügern und allzu leichtgläubig, wagen, auf solche Mutmaßungen gestützt, reichliches Unrecht gegen unsere Päpste zu begehen.

DER GENUESE. Die Solarier wollen falsche astrologische Deutungen verboten wissen, da sie auch ein gefährliches Werkzeug zur Erneuerung des Götzendienstes, zur Vernichtung der Freiheit oder zum Umsturz der staatlichen Ordnung sein können. Die Solarier verstehen es auch, ein schlimmes Geschick, das von den Sternen droht, abzuwenden, denn Gott hat uns jede Kunstfertigkeit nur zu unserm Vorteil verliehen; wenn also etwa eine unheilvolle Sonnenfinsternis bevorsteht, ein bösartiger Komet u.s.w., so sperren sie den dadurch Bedrohten in weiße Häuser ein und schwängern die Luft mit Wohlgerüchen und aufgesprengtem Rosenessig, zünden sieben mit aromatischen Stoffen gemischte Wachsfackeln an, machen heitere Musik und halten heitere Gespräche, wodurch die pestilenzalischen Keime, die vom Himmel ausgeströmt sind, vertrieben und verflüchtigt werden.

DER GROSSMEISTER. Das sind alles treffliche Heilmittel; der Himmel wirkt auf die Körper ein; da machen sich auch Gegengifte als Korrektive nötig. Nur gefällt es mir nicht, dass es auf die Anzahl der Kerzen ankommt; das riecht gar sehr nach Aberglauben.

DER GENUESE. Gewiß legen sie auf die Zahl großen Wert und stützen sich dabei auf die Lehre des Pythagoras, ich weiß nicht, ob in abergläubischer Weise, aber nicht lediglich auf die Zahl, sondern auf die Heilwissenschaft in Verbindung mit der Zahl.

DER GROSSMEISTER. Darin erblicke ich keinen Aberglauben, denn ich kenne keinen Kanon, noch sonst eine kirchliche Schrift, welche sich gegen die Kraft der Zahlen ausspräche; bedienen sich ihrer doch auch die Ärzte im Verlaufe und in den Krisen der Krankheiten. Überdies steht geschrieben: Gott hat alle Dinge mit Hilfe von Zahl, Maß und Gewicht gemacht: in sieben Tagen schuf er die Welt; es gibt sieben Posaunen blasende Engel, sieben Leuchter, sieben Siegel, sieben Sakramente u.s.w., u.s.w. Daher haben auch der heilige Augustinus, der heilige Hilarius und Origenes den Wert der Zahlen, insbesondere über die Sechs- und Siebenzahl, geschrieben.

Ich möchte daher die Solarier keineswegs deswegen verdammen, weil sie sich als Ärzte nach den himmlischen Zeichen richten und die freie Willensäußerung verteidigen.

So sind denn auch die sieben Fackeln Symbole der sieben Planeten des Himmels, wie die sieben Lampen des Moses, und Rom hat entschieden, dass es nicht Aberglaube sei, wenn nur nicht den bloßen abstrakten Zahlen eine wirksame Kraft beigelegt wird, sondern zugleich den Dingen, die mittels der Zahlen gezählt werden. Wenn die natürliche Kraft des Rhabarbers aus Unwissenheit dem Blätterschwamm beigelegt wird, so ist das kein Aberglaube, wenn aber dem Blätterschwamm oder einer Zahl göttliche Kraft beigelegt wird, so ist das Aberglaube. — Aber jetzt nimm das unterbrochene Gespräch wieder auf.

DER GENUESE. Die Solarier glauben also, dass die weiblichen Himmelszeichen Fruchtbarkeit in die Gegenden bringen, wo ihr Bereich ist, weswegen auch eine schwächere Regierung in geringeren Angelegenheiten waltet, indem sie Vorteile und Nachteile bringen und nehmen; neue Amazonen sind zwischen Nubien und Monomotapa erstanden und in Europa hat in der Türkei eine Russin, eine Bona in Polen, eine Marie in Ungarn, eine Elisabeth in England, eine Katharina in Frankreich, eine Bianka in Toskana, eine Margaretha in Belgien, eine Maria in Schottland, eine Isabella (die bei der Entdeckung der Neuen Welt beteiligt war) in Spanien regiert.

Auch beginnt ein großer Dichter unserer Zeit mit dem Preise der Frauen. »Ich singe die Frauen, die Ritter, die Waffen, die Liebschaften u.s.w.« Und die verwünschten Dichter und die Ketzer sprechen unter der Einwirkung des Triangels des Mars und unter dem Einflusse von Venus und Mond fast nur noch von schlüpfrigen Dingen und die Männer werden in Handlungen und Worten immer mehr verweichlicht und sagen zueinander »Euer Gnaden«.

In Afrika, wo der Krebs und Skorpion herrschen, abgesehen von den Amazonen, findet man in Fez und Marokko öffentliche Männerbordelle und viele andere schändliche Dinge, wozu ja das Klima einladet, aber keineswegs zwingt. Nun haben der Triangel des Krebses (denn er ist im Wendekreise und im Apogäum des Jupiter, der Sonne und des Mars, welche drei Punkte ein Dreieck bilden) einerseits und andererseits Mond, Mars und Venus die Entdeckung neuer Reiche, sowie die Weltumsegelung, so die Herrschaft der Weiber begünstigt; Merkur und Mars sodann die Erfindung der Buchdruckerkunst und die Feuerwaffen, abgesehen davon, dass sie Ursache oder vielmehr Veranlassung zur verbessernden Umwandlung der Gesetze sind, immer unter der Leitung Gottes, der stets zu unserem Besten geneigt ist. Wir vereiteln nur gar häufig diese seine Neigung. Die Solarier erzählten mir wunderbare Dinge von der Übereinstimmung der himmlischen Vorgänge mit den irdischen und moralischen Angelegenheiten, von der Ausbreitung des Christentums in der Neuen Welt und von seinem festgegründeten Bestande in Italien und Spanien. Und wie es im nördlichen Deutschland, in England, in Skandinavien, Ungarn erschüttert worden und ins Schwanken gekommen, worüber ich nicht näher sprechen will, weil es unser weiser Papst aus triftigen Gründen verboten hat.

Nur das will ich noch erwähnen, dass die Solarier auch schon die Kunst des Fliegens erfunden haben unter dem Einfluss des Mondes und des Merkur, denn was diese Gestirne in unseren wasserreichen Gegenden zu Gunsten der Schwimmkunst vermögen, das vermögen sie in den Äquatorgegenden über den Flug in den Lüften durch deren so sehr sonnige Lage.

Sie haben auch eine neue Astronomie begründet, da in der andern Halbkugel (der Welt) vom Äquator nach Süden zu ist im Hause der Sonne der Wassermann, in dem des Mondes der Steinbock u.s.w. und es sind alle Himmelszeichen und ihre Einflüsse im entgegengesetzten Sinne genommen, weil sie die Zeichen anders benennen und die Planeten sich anders gruppiren, als in unsern und in den Polargegenden.

Ich will nicht wiederholen, was ich von diesen Weisen über die Veränderungen der Apsiden, über Exzentrizitäten, über die Schiefe der Ekliptik, über die Äquinoctien, die Solstitien und die Pole, über die Verwirrung der Himmelszeichen, die im unermeßlichen Raume der Weltmaschine wirken, und über die mystischen Beziehungen der Dinge auf Erden zu den außerweltlichen, noch von der Umwälzung, die sich nach der großen Konjunktion des Widders und der Wage ereignen wird. — Aber jetzt bitte ich dich, mich nicht länger aufzuhalten. Ich habe noch gar viel zu tun und du weisst, wie sehr ich eilen muss. Ein andermal erzähle ich dir mehr davon.

Eins aber glaube ich noch erwähnen zu sollen, dass die Solarier an den freien Willen des Menschen glauben. Sie sagen, dass, wenn ein erhabener Philosoph vierzig Stunden von seinen Feinden grausamst gefoltert werden konnte, ohne dass es möglich war, ihm auch nur ein Wort von dem zu entreißen, was man aus seinem Munde vernehmen wollte und von ihm nicht das geringste Geständnis zu erpressen war, weil er sich einmal vorgenommen hatte, zu schweigen, so ist doch klar, dass uns die Sterne nicht gegen unsern Willen handeln zu machen imstande sind, denn sie sind von unserer Erde so viel weiter entfernt, als die Dinge auf dieser, daher üben diese auch einen stärkeren Einfluss auf uns aus. Ja, der Mensch ist so frei, dass er sogar Gott lästern kann. Gott zwingt die Menschen doch nicht, gegen ihn zu sein. Kann sich Gott denn teilen?

Da die Sterne einen unmerklichen allmählichen Einfluss auf die Sinne ausüben, so werden jene Menschen, über die mehr die Sinne, als die Vernunft göttliche Gewalt haben, ganz besonders von ihnen beeinflusst.

Derselbe Gestirnstand, der dem aashaften Geiste der Ketzer stinkende Dünste entlockt, läßt zu gleicher Zeit süße Düfte der Tugend von den Gründern des Jesuitenordens, sowie der Minimen und Kapuzinern ausgehen. Und unter derselben Konstellation haben Columbus und Cortez die göttliche Religion Christi in der Neuen Welt verbreitet. Ich werde Dir bei anderer Gelegenheit erzählen, was demnächst alles in der Welt bevorsteht.


 © textlog.de 2004 • 19.03.2024 06:49:01 •
Seite zuletzt aktualisiert: 09.11.2006 
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