13. Die Fortpflanzung
DER GROSSMEISTER. Nun erzähle mir von der Fortpflanzung des Geschlechts.
DER GENUESE. Kein Mann darf sich mit einem Weibe fleischlich vermischen, bevor sie das neunzehnte Jahr erreicht hat. Und der Mann darf dem Zeugungsgeschäfte nicht obliegen, wenn er das einundzwanzigste Jahr noch nicht angetreten hat. Vor dieser Zeit ist Einigen der Beischlaf gestattet, aber nur mit Unfruchtbaren oder Schwangeren, damit sie nicht auf unnatürlichem Wege Befriedigung ihrer Leidenschaften suchen. Matronen und ältere Magistratspersonen haben den Liebesdrang grobsinnlicher Naturen in Schranken zu halten, die ihre Wünsche jenen insgeheim bekannt geben, die sich ihnen übrigens auch auf den Ringplätzen verraten. Doch erbitten die Betreffenden die Erlaubnis vom obersten Magistrate, dem das Zeugungsgeschäft unterstellt ist, dem Oberarzte, der seinerseits dem Triumvir »Liebe« untersteht.
Diejenigen, welche wegen Sodomie auf der Tat ertappt werden, erhalten eine Rüge, und werden zur Strafe dazu verhalten, sich die Schuhe zwei Tage lang um den Hals zu binden, wie um dadurch anzudeuten, dass sie die natürliche Ordnung verkehrt und die Füße gleichsam auf den Kopf gestellt haben. Wenn sie aber ruckfällig werden, wird die Strafe verschärft, bis zuletzt Todesstrafe verhängt wird.
Dagegen werden diejenigen, die sich des Beischlafes bis zum einundzwanzigsten Jahre enthalten, und noch mehr diejenigen, die das bis zum siebenundzwanzigsten Jahre tun, durch Ehrenbezeigungen gefeiert und durch Lieder in öffentlichen Versammlungen besungen.
Bei den gymnastischen Spielen und Übungen auf der Palästra, dem Ringkampfplatze, sind Männer und Frauen, nach der Weise der antiken Lacedämonier, völlig nackt, und die Inspektion haltenden Magistratspersonen erkennen, wer zeugungsfähig, wer impotent ist, welche Männer und Frauen ihrem Gliederbau nach am besten zusammenpassen.
Der Beischlaf darf nur nachdem sich die Gatten gebadet haben und jede dritte Nacht stattfinden. Große und schöne Frauen werden nur mit großen, wohlgebauten Männern gepaart; die beleibten Frauen mit mageren Männern; umgekehrt werden schlanke Frauen für starkleibige Männer aufbewahrt, damit aus der Mischung ihrer Temperamente eine vortrefflich geartete Rasse hervorgehe.
Abends kommen die Knaben und machen die Betten, dann gehen sie selbst auf das Geheiß des Aufsehers und der Aufseherin zu Bette. Die geschlechtliche Vereinigung findet erst nach geschehener Verdauung statt und nachdem die Eltern zu Gott gebetet haben.
In den Schlafzimmern sind schöne Bildsäulen erlauchter Männer angebracht, welche die Frauen betrachten. Den Blick durchs Fenster zum Himmel gerichtet, bitten sie Gott, dass er ihnen herrlichen Nachwuchs verleihe.
Sie schlafen in zwei getrennten Kammern, bis zur Stunde ihrer Vereinigung; zur bestimmten Zeit öffnet eine Matrone die beiden Türen von außen. Diese Stunde bestimmen der Arzt und der Astrolog, welche den Zeitpunkt zu treffen suchen, in welchem Venus und Merkur östlich von der Sonne in einem günstigen Hause stehen, im glückverheißenden Anblick des Jupiter, desgleichen des Saturn und Mars, oder ganz außerhalb der Sphäre eines derselben.
Es wird für schweres Unrecht angesehen, wenn sich die Eltern nicht volle drei Tage vor der feierlichen Stunde in jeder Beziehung unbefleckt und jeder schlechten Handlung enthalten haben, und wenn sie sich nicht mit Gott ausgesöhnt haben.
Die übrigen, die entweder zum Vergnügen, oder auf notwendige ärztliche Verordnung oder als Reizmittel Umgang mit Unfruchtbaren oder mit verworfenen Frauenzimmern pflegen, lassen diese Gebräuche außer Acht.
Die Obrigkeitspersonen oder, die alle Priester sind, und die sich mit Wissenschaft und Weisheit abgebenden Magistratspersonen, dürfen nicht zeugen, wenn sie nicht viel längere Enthaltung beobachtet haben. Denn die viele geistige Spekulation schwächt bei ihnen die Lebensgeister, ihr Gehirn (immer mit Denken beschäftigt) kann nicht mit voller Energie beteiligt sein und daher haben solche Personen oft einen schwächlichen Nachwuchs. Da wird dann eine weise Vorsorge getroffen und man gibt solchen Männern lebhafte, lebenskräftige, schöne Frauen. Aus entgegengesetzten Gründen jedoch rührigen, tatkräftigen, zum Jähzorn geneigten Männern fette, phlegmatische Frauen.
Die Solarier glauben, dass eine vortreffliche Körperanlage aus der die Tugenden sprießen, nicht hinterher durch künstliche Bemühung erworben werden könne; dass schlechte Menschen zwar durch die Furcht Gottes und vor den Gesetzen sich gut verhalten, dass aber, sobald diese Furcht schwindet, sie insgeheim oder öffentlich im Staate Schaden stiften. Darum müsse man auf die Nachkommenschaft und ihre Erziehung die höchste Sorgfalt verwenden und die angebornen natürlichen Eigenschaften müssen aufs Gründlichste erwogen werden. Mitgift und Adelsprädikate seien durchaus trügerische Anzeichen.
Bleibt eine Frau in einer bestimmten Ehe unfruchtbar, so wird sie mit einem andern Manne verbunden; bleibt sie auch dann unfruchtbar, so wird sie Gemeingut der Männer; es werden ihr dann oder die Ehren versagt, welche die Matronen im Rate über Fortpflanzungsangelegenheiten, bei Tische und im Tempel genießen. Diese Anordnung ist deshalb getroffen, damit sich die Frauen durch Ausschweifung nicht selbst unfruchtbar machen.