4. Gemeinbesitz und Brüderlichkeit


DER GENUESE. Dieser Menschenschlag stammt aus Indien, von wannen er vor der Unmenschlichkeit der Magier, Briganten und Tyrannen, die die Landstriche verheeren und veröden, geflohen war. Hier haben sie nun eine philosophische, gemeinschaftliche Lebensführung einzuhalten beschlossen.

Obwohl Weibergemeinschaft bei den andern Einwohnern des Landes nicht existiert, ist sie doch bei ihnen Brauch wie das werde ich sofort auseinandersetzen. alles ist Gemeingut; die Zuteilung aber ist Sache der obrigkeitlichen Behörden. Die Wissenschaft jedoch, die Ehrenstellen und die Lebensgenüsse sind in der Art gemeinschaftlich, dass keiner sich vor den andern etwas aneignen kann.

Sie behaupten, dass die Idee des Eigentums bei uns nur dadurch habe aufkommen und sich befestigen können, weil wir individuelle Heimstätten und eigene Kinder und Gattinnen haben. Daraus entspringt die Selbstsucht, die bewirkt, dass wir, um einen Sohn zu Reichtum und Würden emporzubringen und als unsern Erben vieler Güter zu hinterlassen, zu Räubern am öffentlichen Gute werden, wenn einer reich und mächtig durch sein Geschlecht, sich der Furcht entschlägt; dessen Kräfte aber gering sind, und der von unansehnlicher Herkunft ist, der wird geizig, hinterlistig, ein Heuchler. Wenn sich aber die Selbstsucht, zwecklos geworden, (da es kein Eigentum gibt) verliert, so bleibt nur die Liebe zum Gemeinwesen zurück.

DER GROSSMEISTER. Aber unter so bewandten Umständen würde niemand arbeiten wollen, indem sich jeder auf die Arbeit des andern, auf dass sie ihn ernähre, verließe, wie das Aristoteles schon dem Plato eingewendet hat.

DER GENUESE. Ich verstehe mich schlecht darauf, eine Disputation zu führen, aber ich kann dir sagen, dass ihre Vaterlandsliebe so warm und feurig ist, dass du sie dir kaum vorstellen kannst. Sehen wir denn nicht, dass die Geschichtsbücher erzählen, wie, je mehr sich die Römer ganz nur dem Vaterlande weihten, sie um so mehr ihr persönliches Eigentum von sich warfen? Und ich glaube auch, dass, wenn unsere Fratres, Mönche und Geistlichen von weniger Liebe zu ihren Verwandten und Freunden beherrscht würden, als sie es sind, oder von weniger Ehrgeiz verzehrt würden, zu immer höheren Würden emporzusteigen, sie bei weitem heiligeren Sinnes wären, weniger am Eigentum hingen und mehr Liebe zur Gesamtheit atmeten.

DER GROSSMEISTER. Das scheint der heilige Augustin gesagt zu haben. Die Freundschaft gilt bei Jenen also nichts, da sie nichts besitzen, womit sie sich gegenseitig Liebesdienste erweisen können?

DER GENUESE. O doch, gar sehr! Und es verlohnt sich wahrhaftig zu sehen, wie, obwohl keiner vom andern Geschenke erhalten kann — denn was sie bedürfen, erhalten sie alles vom Gemeinwesen, und die Obrigkeit sorgt streng dafür, dass keiner über Gebühr empfange, aber auch keinem irgend etwas Benötigtes verweigert werde — wie die Freundschaft unter ihnen sich im Kriege zu erkennen gibt, bei Krankheiten oder durch Unterstützung und Belehrung beim Studium der Wissenschaften, manchmal auch durch Lobspendung, Dienstleistungen, oder indem einer von seinem Bedarfe dem Andern gibt.

Die Gleichalterigen nennen sich unter einander alle Brüder; die über zweiundzwanzig Jahre alt sind, werden von den Jüngeren Väter genannt, die Jüngeren heißen Söhne, und die Obrigkeit wacht wohl darüber, dass keiner einem Bruder-Genossen ein Unrecht antue.

DER GROSSMEISTER. Und wie das ?


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