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Die Konferenz

»Was macht er eigentlich jetzt?«
»Sich wichtig!«

Früher war das so: Wenn einer mit seinem Geschäftsfreund schriftlich nicht handelseins wurde, dann ging er mal zu ihm rüber und besprach die Sache mit ihm. Und wenn er in dieser Zeit besucht wurde, dann sagte der »junge Mann« zum Besuch: »Bedaure sehr. Herr Kuhlhage hat grade Besuch!« oder: »Leider geht es jetzt nicht. Herr Kuhlhage spricht grade mit einem Herrn.« Das war früher. – Heute?

Heute haben alle Leute eine Konferenz. Woher dieses wichtigmacherische Wort stammt, ist nicht ganz klar. Ob es aus alten Schulerinnerungen gequollen ist – heiliger Himmel, hatten wir vor der Versetzungskonferenz immer eine Angst, auf Zehenspitzen schlich alles umher! –, ob es aus der Politik kommt: genug, seit ein paar Jahren spielen sie alle: »Konferenz«. Wenn der Chef mit dem Treuhänder berät, wie das Auto am schnellsten über Geschäftsunkosten läuft; wenn deine Waschfrau dich mahnen kommt und dir einen längeren Vortrag über ihre Fahrspesen hält; wenn der Filmdirektor durch seinen Privatsekretär einen fetten Schauspieler krumm und lahm reden läßt, um aus einem Vertrag herauszukommen; wenn der Prokurist seinen Onkel, der ihn besucht, fragt, wo man eigentlich jetzt die billigen Zigarren kauft; wenn der junge Mann zum ersten Devisenhändler hereingerufen wird, um eine furchtbare »Zigarre« verpaßt zu bekommen – – immer, immer haben sie »Konferenz«.

Man stellt sich das so nett vor: Um einen gewichtigen braunen Tisch sitzen ernste Männer mit stattlichen Gesichtern und reden über ihre Bärte und Doppelkinne hinweg die schwierigsten Sachen; der Protokollführer in der Ecke schreibt, dass die Feder nur so übers Papier hinfliegt, die Lampen strahlen und spiegeln sich in den Glatzen – und alles ist furchtbar feierlich. Stühlerücken, gedämpfte Schritte auf Teppichen, »Meine Herren!« – Konferenz? Ach, keine Spur. Jeder kleine Pinscher, der etwas auf sich hält, hat heute »Konferenz«. Es wird gar nichts konferiert, daran denkt auch kein Mensch; die Leute erzählen sich ihrs ganz gemütlich, wie sie es immer getan haben – sie handeln, versprechen, halten nichts und mogeln – ganz wie immer. Aber nach außen – wie schön hört es sich doch an: »Konferenz.«

So ist eigentlich alles. Man pumpt sich die großen Worte für die kleinen Sachen. Ruf mal Herrn Meier an! »Hier Meier, wer dort?« – Ja, Mahlzeit. »Hier Zentrale.« (Die mußt du gesehen haben – nicht jedem ist es gegeben, drei Stöpsel richtig zu bedienen.) – »Welche Abteilung wünschen Sie?« – (Gereizt, denn das hast du zu wissen.) Das weißt du nicht. Nun gut: »Ich werde Sie mit dem Sekretariat verbinden!« – Und dann meldet sich die obengenannte »Abteilung«. – Die »Abteilung« sitzt in einem Popelzimmer und murkst in zwei Ordnern umher. »Ich werde Sie mit dem Privatsekretariat verbinden.« – Und dann, endlich – gelobt sei sein Name – meldet sich Meier. Meier persönlich. Die Freude am Apparat ist unendlich groß. Es ist nicht einmal so sehr Protzentum – es ist eine wirklich kindlich-kindische Freude am Apparat. Früher hatte einer die Auslandspost zu bearbeiten; heute »hat er das alles unter sich«. Ich kenne keinen Menschen im Geschäftsleben, der nicht etwas »unter sich« hätte – aber noch nie habe ich einen getroffen, der mal einen über sich hat. Es sind alles, alles Industriekapitäne. »Ich habe das meinem Tresorverwalter übergeben – –« Seinem. Und tief entringt sich dir der Seufzer: »Aufgewachsen bei grünen Jalousien.«

Das kostet ein Heidengeld. Das verschlingt eine Unsumme Zeit. Aber es hört sich doch so schön an! Wenn du aufpaßt, kannst du die »Konferenz« überall finden. Kein Mensch sagt mehr, er habe mit dem und dem darüber oder darüber gesprochen. I wo. Er hat »die Frage angeschnitten«. Man sagt auch nicht mehr: Wir wollen die Tür nachts besser bewachen lassen. Sondern man sagt: »Das Problem der Nachtbewachung kann nur dadurch gelöst werden, dass … « – Kurz: Wer keine Arbeit hat, macht sich welche. Und wer nicht wichtig ist, macht sich wichtig. Und wenn die Welt untergeht, und die gute alte Erde drauf und dran ist, in einen Einsteinschen Relativitätskometen hineinzufliegen, dann stecken die Gelehrten die Köpfe zusammen und wispern, und der Weltuntergang muß noch einen Augenblick warten, denn die Herren haben grade eine Konferenz.

Nie werde ich vergessen, was mir der ehemalige berliner Polizeipräsident Eugen Ernst sagte: »Wenn einer nichts zu tun hat«, sagte er, »dann ruft er die anderen zusammen, die auch nichts zu tun haben, und dann machen sie eine Konferenz. Und wenn sie fertig sind, dann stellt er fest. Und dann bleibt alles beim alten. Bis zur nächsten Konferenz.« Sie gestatten, dass ich mich Ihnen empfehle. Ich will heute abend mit Fräulein Marie ins Kino gehen. Um halb acht. Und wenn das Kino aus ist, dann essen wir noch irgendwo ein bißchen zu Abend, und dann gehen wir nach Hause. Bitte, stören Sie uns nicht. Wir haben eine Konferenz.

Peter Panter
8-Uhr Abendblatt, 28.04.1923, Nr. 98.