Sozialismus
Sozialismus. Dieses wichtige und überaus vielseitige Schlagwort reklamiert der Franzose Pierre Leroux ausdrücklich als eine von ihm, wahrscheinlich Ende der dreißiger Jahre des 19. Jahrhunderts, geprägte Parole. Vgl. die interessante Untersuchung von Gustav Cohn „Was ist Socialismus?“ (1878), worin S. 5 ff., ausgeführt wird: „Es ist eine jener modernen Wortbildungen — und noch lange nicht eine der schlimmsten — welche durch moderne Bedürfnisse geschaffen sind und im Klange halb an antike Vorbilder, halb an die gewissenlose Schnellpresse der Gegenwart erinnern .. Das Wort „Socialismus“ ist als sprachliches und sachliches Gegenstück zu dem Worte „Individualismus“ vor jetzt 40 Jahren in Frankreich entstanden. Die frühere Zeit kennt das Wort nicht; es hat also nicht eine Geschichte, wie beispielshalber das Wort „Statistik“ vom Latein der letzten Jahrhunderte durch die romanischen Sprachen herüber zur Gegenwart. Dagegen findet sich das Adjektiv „socialis“ mit einem dem modernen verwandten Sinne bereits bei Seneca, welcher sagt: homo sociale animal. Im Mittelalter aber, sowie im Latein der Renaissance, scheint diese Bedeutung vor anderen zurückzutreten, oder das Wort scheint ganz zu verschwinden… Für den Erfinder hat man in der Regel den Franzosen Louis Reybaud gehalten, welcher im Jahre 1840 ein Werk veröffentlichte unter dem Titel „Études sur les Réformateurs ou Socialistes modernes“, worin er die Theorien von Saint-Simon, Charles Fourier, Robert Owen darstellte. Neuerdings hat Pierre Leroux, der in den dreißiger Jahren zuerst als Anhänger der Saint-Simonistischen Schule, dann auf eigenen Wegen eine Rolle spielte, das Prioritätsrecht für sich in Anspruch genommen.“
Noch in den vierziger Jahren dringt das Neuwort auch im Deutschen allgemein durch. Vgl. außer Steins Spezialwerk (1842) nur Hoffmann von Fallersleben 5, 37 (1846):
"Und wissen sie denn, was es heißt, wenn man ist
Ein Socialist und Communist?“
Erinnert sei auch an das Kommunistische Manifest (1848), worin Marx bereits eine ganze Reihe von Spielarten, wie den feudalen, den kleinbürgerlichen und den Bourgeois-Sozialismus unterscheidet. Siehe weiter Mollat S. 472, wo der Abgeordnete Löwe betont: „Sie wissen, es ist eine stehende Rede geworden, dass unsere Erhebung keine politische allein gewesen ist, sondern eine soziale. Dieses Wort des Sozialismus ist in den letzten Jahren vor unserer Bewegung das Stichwort geworden, und es gibt viele Anzeichen, die es beweisen, dass es in der Tat nicht ein Irrtum ist, wenn man das soziale Element besonders hervorgehoben hat.“ Lehrreich ist desgleichen die Äußerung Lassales 2, 123 (1863): „So oft ein großer Mann der Wissenschaft es sich hat daran gelegen sein lassen, Mittel und Wege zu finden, die Lage der arbeitenden Klassen zu verbessern, so hat man ihn immer mit diesem Schlagwort zu Boden zu schmettern gesucht: ‚Sozialist!‘“
Von den modernen Richtungen sei außer dem „Kathedersozialismus“ und „christlichen Sozialismus“, worüber in besonderen Artikeln gehandelt ist, noch der sogenannte Staatssozialismus hervorgehoben, ein Stichwort, das seit Mitte der siebziger Jahre ertönt und unter anderem den Titel abgibt für die im Jahre 1877 begründete Zeitschrift für Sozialreform „Der Staatssozialist“. Vgl. auch Bismarck, Polit. Reden 9, 33 f. (1881) und Bamberger 1, 81 f. (1892): „Beinahe könnte es den Anschein gewinnen, als ob der Staatssozialismus, der den Volkssozialismus austreiben will, die Theorie des Tuberkulins und des Diphtherieserums vorausahnend kopiert hätte.“