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[Grenze des Tiefsinns]

Als Wissen führt der Trieb in den leeren Abgrund des Bösen hinab, um dort der Unendlichkeit sich zu versichern. Es ist aber auch der Abgrund des bodenlosen Tiefsinns. Dessen Daten sind unvermögend, in philosophische Konstellationen zu treten. So liegen sie als bloßer Fundus düstrer Prachtentfaltung in den Emblemenbüchern des Barock. Das Trauerspiel vor allen andern Formen arbeitet mit diesem Fundus. Unermüdlich verwandelnd, deutend und vertiefend vertauscht es seine Bilder miteinander. Vor allem herrscht dabei der Gegensatz. Und dennoch wäre es verfehlt, zumindest oberflächlich, auf Lust an bloßer Antithetik jene zahllosen Effekte zu beziehen, in welchen der Thronsaal in den Kerker, das Lustgemach in eine Totengruft, die Krone in den Kranz aus blutigen Zypressen anschaulich, oder sprachlich nur, verwandelt wird. Sogar der Gegensatz von Schein und Sein trifft diese Technik der Metaphern und Apotheosen nicht genau. Zugrunde liegt das Schema des Emblems, aus welchem mittels eines Kunstgriffs, der stets von neuem überwältigen mußte, sinnfällig das Bedeutete hervorspringt. Die Krone — sie bedeutet den Zypressenkranz. Unter den unabsehbar vielen Dokumenten dieses emblematischen Furors — längst hat man sich Belege eingesammelt1 — ist es an stolzer Kraßheit nicht zu überbieten, wenn Hallmann »wann der Politische Himmel blitzet« eine Harfe sich ins »Mordbeil«2 wandeln läßt. Ebendahin gehört diese Exposition seiner »Leich-Reden«: »Denn betrachtet man die unzählbahren Leichen/ womit theils die raasende Pest/ theils die Kriegerischen Waffen nicht nur unser Teutschland/ sondern fast gantz Europam erfüllet/ so müssen wir bekennen/ daß unsere Rosen in Dornen/ unsre Lilgen in Neßeln/ unsre Paradise in Kirchhöfe/ ja unser gantzes Wesen in ein Bildnüß deß Todes verwandelt worden. Dannenhero wird mir hoffentlich nicht ungütig gedeutet werden/ daß ich auf dieser allgemeinen Schaubühne deß Todes auch meinen papirenen Kirchhoff zu eröffnen mich unterwunden.«3 Auch in den Reyen sind solche Verwandlungen angesiedelt.4 Wie Stürzende im Fallen sich überschlagen, so fiele von Sinnbild zu Sinnbild die allegorische Intention dem Schwindel ihrer grundlosen Tiefe anheim, müßte nicht gerade im äußersten unter ihnen so sie umspringen, daß all ihre Finsternis, Hoffart und Gottferne nichts als Selbsttäuschung scheint. Heißt es doch ganz das Allegorische verkennen, den Bilderschatz, in welchem dieser Umschwung in das Heil der Rettung sich vollzieht, von jenem düstern, welcher Tod und Hölle meint, zu sondern. Denn gerade in Visionen des Vernichtungsrausches, in welchen alles Irdische zum Trümmerfeld zusammenstürzt, enthüllt sich weniger das Ideal der allegorischen Versenkung denn ihre Grenze. Die trostlose Verworrenheit der Schädelstätte, wie sie als Schema allegorischer Figuren aus tausend Kupfern und Beschreibungen der Zeit herauszulesen ist, ist nicht allein das Sinnbild von der Öde aller Menschenexistenz. Vergänglichkeit ist in ihr nicht sowohl bedeutet, allegorisch dargestellt, denn, selbst bedeutend, dargeboten als Allegorie. Als die Allegorie der Auferstehung. Zuletzt springt in den Todesmalen des Barock — nun erst im rückgewandten größten Bogen und erlösend — die allegorische Betrachtung um. Die sieben Jahre ihrer Versenkung sind nur ein Tag. Denn auch diese Zeit der Hölle wird im Raume säkularisiert und jene Welt, die sich dem tiefen Geist des Satan preisgab und verriet, ist Gottes. In Gottes Welt erwacht der Allegoriker. »Ja/ wenn der Höchste wird vom Kirch-Hof erndten ein/ | So werd ich Todten-Kopff ein Englisch Antlitz seyn.«5 Das löst die Chiffer des Zerstücktesten, Erstorbensten, Zerstreutesten. Damit freilich geht der Allegorie alles verloren, was ihr als Eigenstes zugehörte: das geheime, privilegierte Wissen, die Willkürherrschaft im Bereich der toten Dinge, die vermeintliche Unendlichkeit der Hoffnungsleere. All das zerstiebt mit jenem einen Umschwung, in dem die allegorische Versenkung die letzte Phantasmagorie des Objektiven räumen muß und, gänzlich auf sich selbst gestellt, nicht mehr spielerisch in erdhafter Dingwelt, sondern ernsthaft unterm Himmel sich wiederfindet. Das eben ist das Wesen melancholischer Versenkung, daß ihre letzten Gegenstände, in denen des Verworfnen sie am völligsten sich zu versichern glaubt, in Allegorien umschlagen, daß sie das Nichts, in dem sie sich darstellen, erfüllen und verleugnen, so wie die Intention zuletzt im Anblick der Gebeine nicht treu verharrt, sondern zur Auferstehung treulos überspringt.



  1. Cf. Stachel l.c. [S. 47]. S. 336 f.
  2. Hallmann: Leichreden l.c. [S. 81]. S. 9.
  3. L.c. S. 3 [der unpaginierten Vorrede].
  4. Cf. Lohenstein: Römische Trauerspiele l.c. [S. 87]. S. 82 (Agrippina IV). — Cf. auch Lohenstein: Afrikanische Trauerspiele l.c. [S. 63]. S. 327 (Sophonisbe IV).
  5. Lohenstein: Blumen l.c. [S. 88]. ›Hyacinthen‹ S. 50 (Redender Todten-Kopff Herrn Matthäus Machners).