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[Götterleiber im Christentum]

Es ist kein antiquarisches Interesse, welches befiehlt, den Spuren nachzugehen, die deutlicher von dieser Stelle aus als irgend sonst ins Mittelalter zurückführen. Denn die Erkenntnis des christlichen Ursprungs der allegorischen Anschauung in seiner Bedeutung für das Barock kann nicht überschätzt werden. Und von wie vielen, wie verschiedenen Geistern auch geprägt, sind diese Spuren doch die Merkzeichen eines Weges, den da der Genius allegorischer Betrachtung selbst im Wandel seiner Intentionen einschlug. Oft haben die Dichter des siebzehnten Jahrhunderts dieser Spur sich rückblickend versichert. Für den »Leidenden Christus« hat Harsdörffer seinen Schüler Klai auf die Passionsdichtung des Gregor von Nazianz hingewiesen.1 Auch Gryphius hat »beinahe zwanzig frühmittelalterliche Hymnen ... in seine für diesen feierlich brausenden Stil wohl geeignete Sprache übersetzt; den größten aller Hymniker, den Prudentius, liebt er besonders«2. Dreifach ist zwischen der barocken und mittelalterlichen Christlichkeit die sachliche Verwandtschaft. Der Kampf gegen die Heidengötter, der Triumph der Allegorie, das Martyrium der Leiblichkeit gilt ihnen gleichermaßen notwendig. Diese Motive hängen aufs engste zusammen. Sie sind — wie sich ergibt — unter dem religionsgeschichtlichen Aspekt ein und dasselbe. Und zu erhellen ist der Ursprung der Allegorie nur unter ihm. Spielt die Auflösung des antiken Pantheons in diesem Ursprung eine entscheidende Rolle, so ist höchst aufschlußreich, daß dessen Repristination im Humanismus das siebzehnte Jahrhundert zum Protest auffordert. Rist, Moscherosch, Zesen, Harsdörffer, Birken eifern gegen das mythologisch verzierte Schrifttum wie nur altchristliche Lateiner, und Prudentius, Juvencus, Venantius Fortunatus werden denn auch als lobenswerte Exempel einer züchtigen Muse aufgeführt. »Wahre Teufel«3 heißen die Heidengötter bei Birken und geradezu frappant klingt die Denkweise einer tausend Jahre zurückliegenden Vergangenheit aus einer Stelle Hallmanns, die gewiß nicht der Bemühung um das historische Kolorit zu danken ist. Da heißt es in dem Religionsdisput zwischen Sophia und dem Kaiser Honorius: »Beschützt nicht Jupiter den Kaiserlichen Thron?« »Vielmehr als Jupiter ist Gottes wahrer Sohn!«4 erwidert Sophia. Geradenwegs aus barocker Einstellung kommt diese archaische Schlagfertigkeit. Denn wieder stand die Antike in jener Gestalt, in welcher sie zuletzt der neuen Lehre mit gesammelter Kraft, und nicht erfolglos, sich hatte aufnötigen wollen, drohend dem Christentum nahe: als Gnosis. Mit der Renaissance und begünstigt zumal durch neuplatonische Studien erstarkten okkultistische Strömungen. Rosenkreuzerei und Alchimie traten neben die Astrologie, den alten abendländischen Rückstand des orientalischen Heidentums. Die europäische Antike war gespalten und an ihrem strahlenden Nach-Bilde im Humanismus belebte neu sich ihre dunkle Nach-Wirkung im Mittelalter. Warburg hat aus wahlverwandter Stimmung faszinierend entwickelt, wie in der Renaissance »die Himmelserscheinungen menschlich umfaßt wurden, um ihre dämonische Macht wenigstens bildhaft zu begrenzen«5. Die Renaissance belebt das Bildgedächtnis — wie sehr, das zeigen auch die Beschwörungsszenen der Trauerspiele —, zugleich aber erwacht eine Bilderspekulation, die für die Stilgestaltung vielleicht noch entscheidender ist. Und deren Emblematik verbindet sich mit der mittelalterlichen Welt. Keine noch so barocke Ausgeburt allegorischer Phantasien, die nicht in ihr ein Gegenstück fände. Die Allegoriker unter den Mythographen, denen schon das Interesse der frühchristlichen Apologetik sich zuwandte, leben wieder auf. Sechzehnjährig gibt Grotius den Martianus Capeila heraus. Ganz im altchristlichen Sinne stehen im Chore des Trauerspiels die antiken Götter mit Allegorien auf ein und derselben Stufe. Und weil durch die Dämonenangst die verdächtigte Leiblichkeit ganz besonders beklemmend erscheinen muß, so ist man schon im Mittelalter radikal an ihre emblematische Bewältigung gegangen. »Nacktheit als Emblem« — so dürfte man die folgende Darstellung bei Bezold überschreiben. »Erst im Jenseits sollten die Seligen einer unverweslichen Körperlichkeit und eines gegenseitigen Genusses ihrer Schönheit in voller Reine teilhaftig werden. (Augustinus, de civitate dei, XXII, 24.) Bis dahin blieb die Nacktheit ein Zeichen des Unreinen, wie es sich allenfalls für griechische Götter, also für höllische Dämonen, schickte. Dementsprechend suchte auch die mittelalterliche Wissenschaft, wo sie auf unbekleidete Figuren stieß, diese Ungehörigkeit durch eine oft weit hergeholte, meist unfreundliche Symbolik zu deuten. Man lese nur die Erklärungen des Fulgentius und seiner Nachfolger, warum Venus, Cupido, Bacchus nackt gemalt werden, Venus z.B., weil sie ihre Verehrer nackt und bloß heimschickt oder weil das Verbrechen der Wollust sich nicht verhüllen läßt, Bacchus, weil die Trinker sich ihres Besitzes entäußern oder weil der Berauschte seine heimlichsten Gedanken nicht bei sich behalten kann ... Bis zum Überdruß ausgeklügelt sind die Beziehungen, die ein karolingischer Dichter, Walahfrid Strabo, in seiner höchst unklaren Beschreibung einer nackten Skulptur zu entdecken strebt. Es handelt sich um eine Nebenfigur der vergoldeten Reiterstatue Theoderichs ... Daß ... der schwarze, nicht vergoldete ›Begleiter‹ seine bloße Haut zur Schau trug, verleitet den Poeten zu dem Gedankenspiel, der Nackte gereiche so dem auch Nackten, d.h. dem jeder Tugend baren arianischen Tyrannen, zum besonderen Schimpf.«6 Wie hieraus zu entnehmen ist, wies die allegorische Exegese vor allem in zwei Richtungen: sie war bestimmt, die wahre, die dämonische Natur antiker Götter christlich festzulegen und galt der frommen Mortifikation des Leibes. Daher gefielen Mittelalter und Barock sich nicht von ungefähr in sinnreichen Zusammenstellungen von Götzenbildern mit Gebeinen Toter. Eusebius weiß in der »Vita Constantini« von Schädeln und von Knochen in den Götterstatuen zu berichten, und Männling gibt vor, die »Egyptier« hätten »in höltzernen Bildern Leichen begraben«.



  1. Cf. Tittmann l.c. [S. 89]. S. 175.
  2. Manheimer l.c. [S. 41]. S. 139.
  3. Cf. Tittmann l.c. [S. 89]. S. 46.
  4. Hallmann: Trauer-, Freuden- und Schäferspiele l.c. [S. 58]. ›Sophia‹ S. 8 (I, 229 f.).
  5. Warburg l.c. [S. 164]. S. 70.
  6. Friedrich von Bezold: Das Fortleben der antiken Götter im mittelalterlichen Humanismus. Bonn, Leipzig 1922. S. 31 f. — Cf. Vinzenz von Beauvais l.c. [S. 70]. Sp. 295 f. (Auszüge aus Fulgentius).