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[Die Leiche als Emblem]

Ja/ wenn der Höchste wird vom Kirch-Hof erndten ein/
So werd ich Todten-Kopff ein Englisch Antlitz seyn.

Daniel Casper von Lohenstein: Redender Todten-Kopff Herrn Matthäus Machners


Was immer an weitgreifendsten Zusammenhängen in einer hie und da vielleicht noch vage, noch kulturhistorisch anmutenden Methode konnte eingebracht werden, rückt unterm allegorischen Aspekt zusammen, versammelt sich zum Trauerspiel in der Idee. Nur darum darf, ja muß die Darstellung beim allegorischen Gefüge dieser Form so insistent beharren, weil nur dank dem das Trauerspiel die Stoffe, die aus der zeitgeschichtlichen Bedingtheit ihm erwachsen, sich als Gehalt assimiliert. Vollends dieser assimilierte Gehalt ist außerhalb der theologischen Begriffe, deren schon seine Exposition nicht entraten konnte, nicht zu entwickeln. Wenn der Abschluß dieser Studie ohne Umschweife in ihnen redet, so ist das keine metabasis eis allo genos. Denn kritisch kann die allegorische Grenzform des Trauerspiels einzig vom höheren Bereiche aus, dem theologischen, sich lösen, während innerhalb einer rein ästhetischen Betrachtung Paradoxie das letzte Wort behalten muß. Daß eine solche Auflösung, wie immer die eines Profanen ins Geheiligte, im Sinne der Geschichte, einer Geschichtstheologie und nur dynamisch, nicht statisch im Sinne der garantierten Heilsökonomik zu vollziehen ist, das stünde fest, auch wenn das Trauerspiel des Barock weniger deutlich auf Sturm und Drang, auf Romantik verwiese und weniger dringend, wenn auch wohl vergeblich, von neuesten dramatischen Versuchen die Rettung seines besten Teiles sich erhoffen würde. — Die fällige Konstruktion seines Gehaltes, wird — das versteht sich — Ernst zu machen haben zumal mit jenen sprödesten Motiven, denen andere als stoffliche Feststellungen nicht scheinen abgewonnen werden zu können. Vor allem: welche Art Bewandtnis hat es mit jenen Greuel- und Marterszenen, in denen die barocken Dramen schwelgen? Der unbefangenen, unreflektierten Haltung der barocken Kunstkritik gemäß, fließen die Quellen einer unmittelbaren Antwort spärlich. Eine versteckte aber wertvolle: »Integrum humanum corpus symbolicam iconem ingredi non posse, partem tamen corporis ei constituendae non esse ineptam«2. So heißt es in der Darstellung einer Kontroverse über die Normen der Emblematik. Nicht anders konnte der orthodoxe Emblematiker denken: der menschliche Körper durfte keine Ausnahme von dem Gebote machen, das das Organische zerschlagen hieß, um in seinen Scherben die wahre, die fixierte und schriftgemäße Bedeutung aufzulesen. Ja wo konnte dieses Gesetz triumphierender dargestellt werden als am Menschen, der seine konventionelle, mit Bewußtsein staffierte Physis im Stich läßt, um an die vielfachen Regionen der Bedeutung sie auszuteilen. Nicht immer haben Emblematik und Heraldik dem ungehemmt nachgegeben. Vom Menschen heißt es in der schon genannten »Ars heraldica« nur: »Die Haar bedeuten die vielfältigen Gedancken«3, während »die Herolden« den Löwen regelrecht durchschneiden: »Das Haupt/ die Brust/ und das gantze vordere Theil bedeutet Großmüthigkeit und Dapfferkeit/ das hintere aber /die Stärcke/ Grimm und Zorn/ so dem Brüllen folget.«4 Solche emblematische Aufteilung diktiert — übertragen auf das Gebiet einer den Körper immerhin betreffenden Eigenschaft — Opitz das kostbare Wort von der »Handhabung der Keuschheit«5, die er der Judith abgelernt wissen will. Ähnlich Hallmann, wie er diese Tugend an der züchtigen Ägytha illustriert, deren »Geburts-Glied« noch viele Jahre nach ihrer Bestattung unverwest im Grabe gefunden worden sei.6 Wenn das Martyrium den Körper des Lebendigen dergestalt emblematisch zurüstet, so ist doch daneben nicht unwichtig, daß der physische Schmerz schlechtweg als Aktionsmotiv jederzeit dem Dramatiker präsent war. Nicht nur der Dualismus des Cartesius ist barock; im höchsten Grade kommt als Konsequenz der Lehre von der psychophysischen Beeinflussung die Theorie von den Passionen in Betracht. Da nämlich der Geist an sich pure, sich selbst treue Vernunft ist und körperliche Influenzen ganz allein ihn mit der Außenwelt in Fühlung setzen, so lag die Qualgewalt, die er erleidet, als Basis heftiger Affekte näher als sogenannte tragische Konflikte. Wenn dann im Tode der Geist auf Geisterweise frei wird, so kommt auch nun der Körper erst zu seinem höchsten Recht. Denn von selbst versteht sich: die Allegorisierung der Physis kann nur an der Leiche sich energisch durchsetzen. Und die Personen des Trauerspiels sterben, weil sie nur so, als Leichen, in die allegorische Heimat eingehn. Nicht um der Unsterblichkeit willen, um der Leiche willen gehn sie zu Grunde. »Er lässt uns seine leichen Zum pfande letzter gunst«7 sagt Carl Stuarts Tochter vom Vater, welcher seinerseits es nicht vergaß, um deren Einbalsamierung zu bitten. Produktion der Leiche ist, vom Tode her betrachtet, das Leben. Nicht erst im Verlust von Gliedmaßen, nicht erst in den Veränderungen des alternden Körpers, in allen Prozessen der Ausscheidung und der Reinigung fällt Leichenhaftes Stück für Stück vom Körper ab. Und kein Zufall, daß gerade Nagel und Haare, die vom Lebenden weggeschnitten werden wie Totes, an der Leiche nachwachsen. Ein ›Memento mori‹ wacht in der Physis, der Mneme selber; das Toddurchdrungensein der mittelalterlichen und barocken Menschen wäre ganz undenkbar, wenn nichts als die Erwägung ihres Lebensendes sie beeindruckt hätte. Die Leichenpoesien eines Lohenstein sind ihrem Wesen nach nicht Manieriertheit, sowenig man sie auch darin verkennen wird. Merkwürdige Proben dieses lyrischen Themas begegnen schon unter Lohensteins frühesten Produkten. Noch auf der Schule hat er »das Leiden Christi mit lateinischen und deutschen Gegengedichten, nach den Gliedern des menschlichen Körpers geordnet«8, einem alten Schema folgend zu feiern gehabt. Denselben Typus zeigt der »Denck- und Danck-Altar«, den er seiner toten Mutter errichtete. Neun unnachsichtliche Strophen schildern die Leichenteile im Zustand der Fäulnis ab. Ähnlich aktuell muß dergleichen für Gryphius gewesen sein und gewiß haben neben naturwissenschaftlichen diese sonderbaren emblematischen Interessen sein Studium der Anatomie, dem er immer treu geblieben ist, bestimmt. Vorlagen der entsprechenden Beschreibungen fürs Drama fand man in Senecas »Hercules Ötäus« zumal, doch auch in »Phädra«, in den »Troades« und sonst. »In anatomischer Sektion werden, mit unverkennbarer Freude an der Grausamkeit, die einzelnen Körperteile aufgezählt.«9 Bekanntlich ist Seneca auch sonst für die Greueldramatik eine hoch geachtete Autorität gewesen und es wäre der Mühe wert, zu untersuchen, wie weit den damals wirksamen Motiven seiner Dramen analoge Voraussetzungen zugrunde liegen. — Für das Trauerspiel des siebzehnten Jahrhunderts wird die Leiche oberstes emblematisches Requisit schlechthin. Beinahe undenkbar sind ohne sie die Apotheosen. »Mit blassen Leichen prangen«10 sie und Sache des Tyrannen, das Trauerspiel damit zu versorgen. So führt der Abschluß des »Papinian«, der Spuren vom Einfluß des Bandenstückes auf den späten Gryphius zeigt, das Werk des Bassianus Caracalla an der Familie des Papinian vor Augen. Der Vater und zwei Söhne sind erlegt. »Beyde leichen werden auf zweyen trauerbetten von Papiniani dienern auf den Schauplatz getragen und einander gegenüber gestellet. Plautia redet nichts ferner, sondern gehet höchst-traurig von einer leiche zu der andern, küsset zuweilen die häupter und hände, bis sie zuletzt auf Papiniani leichnam ohnmächtig sincket und durch ihre stats-jungfern den leichen nachgetragen wird.«11 Am Schluß der Hallmannschen »Sophia« eröffnet sich nach der Vollstreckung sämtlicher Martyrien an der standhaften Christin und ihren Töchtern der innere Schauplatz, »in welchem die Todtenmahlzeit gezeiget wird/ nehmlich die drey Köpfe der Kinder mit drey Gläsern Blut«12. Die »Todtenmahlzeit« stand in hohem Ansehn. Bei Gryphius wird sie noch nicht dargestellt, vielmehr berichtet. »Fürst Meurab, blind von hass, getrotzt durch so viel leiden, | Ließ der entleibten schaar die bleichen köpff abschneiden, | Und als der häupter reyh, die ihn so hoch verletzt, | Zu einem schaugericht auf seinen tisch gesetzt, | Nam er, schier außer sich, den dargereichten becher | Und schrie: diß ist der kelch, den ich, der meinen rächer, | Nu nicht mehr sclav, erwisch!«13 Später erschienen dann solche Mahlzeiten auf der Bühne; dabei verfuhr man nach einem italienischen Trick, den Harsdörffer und Birken empfehlen. Durch ein Loch in der Platte eines Tischs, dessen Decke bis zum Boden herniederhing, erschien das Haupt eines Schauspielers. Gelegentlich gibt es diese Schaustellungen des entseelten Körpers auch zu Anfang des Trauerspiels. Die einleitende Bühnenanweisung der »Catharina von Georgien«14 gehört ebenso hierher wie Hallmanns kuriose Szenerie im ersten Akte des »Heraclius«: »Ein grosses Feld/ erfüllet mit sehr vielen Leichen des geschlagenen Krieges-Heeres des Keisers Mauritii nebst etlichen aus dem benachbarten Gebirge entspringenden Wässerbächlein.«15



  1. [Anonymes Referat über Menestrier: La philosophie des images l.c. [S. 192]. In:] Acta eruditorum 1683 l.c. [S. 191]. S. 17 f.
  2. Böckler l.c. [S. 192]. S. 102.
  3. L.c. S. 104.
  4. Martin Opitzen Judith. Breßlaw 1635. Bl. Aij, verso.
  5. Cf. Hallmann: Leichreden l.c. [S. 81]. S. 377.
  6. Gryphius l.c. [S. 53]. S. 390 (Carolus Stuardus II, 389 f.).
  7. Müller l.c. [S. 37]. S. 15.
  8. Stachel l.c. [S. 47]. S. 25.
  9. Hallmann: Trauer-, Freuden- und Schäferspiele l.c. [S. 58]. ›Sophia‹ S. 73 (V, 280).
  10. Gryphius l.c. [S. 53]. S. 614 (Ämilius Paulus Papinianus V, Szenenanm.).
  11. Hallmann: Trauer-, Freuden- und Schäferspiele l.c. [S. 58]. ›Sophia‹ S. 68 (Szenenanm.).
  12. Gryphius l.c. [S. 53]. S. 172 (Catharina von Georgien I, 649 ff.).
  13. Cf. l.c. S. 149 (Catharina von Georgien I, Szenenanm.).
  14. Hallmann: Trauer-, Freuden- und Schäferspiele l.c. [S. 58]. ›Die listige Rache oder der tapfere Heraklius‹ S. 10 (Szenenanm.).