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[Symbol und Allegorie im Klassizismus]

Seit mehr als hundert Jahren lastet auf der Philosophie der Kunst die Herrschaft eines Usurpators, der in den Wirren der Romantik zur Macht gelangt ist. Das Buhlen der romantischen Ästhetiker um glänzende und letztlich unverbindliche Erkenntnis eines Absoluten hat in den simpelsten kunsttheoretischen Debatten einen Symbolgriff heimisch gemacht, der mit dem echten außer der Bezeichnung nichts gemein hat. Der nämlich, zuständig in dem theologischen Bereiche, vermöchte nie und nimmer in der Philosophie des Schönen jene gemütvolle Dämmerung zu verbreiten, die seit dem Ende der Frühromantik immer dichter geworden ist. Doch gerade der erschlichene Gebrauch von dieser Rede vom Symbolischen ermöglicht die Ergründung jeder Kunstgestalt ›in ihrer Tiefe‹ und trägt ungemessen zum Komfort kunstwissenschaftlicher Untersuchungen bei. Bei diesem, dem vulgären Sprachgebrauch, ist das Auffallendste, daß der Begriff, der in gleichsam imperativischer Haltung auf eine unzertrennliche Verbundenheit von Form und Inhalt sich bezieht, in den Dienst einer philosophischen Beschönigung der Unkraft tritt, der da mangels dialektischer Stählung in der Formanalyse der Inhalt, in der Inhaltsästhetik die Form entgeht. Denn dieser Mißbrauch findet, und zwar überall da, statt, wo im Kunstwerk die ›Erscheinung‹ einer ›Idee‹ als ›Symbol‹ angesprochen wird. Die Einheit von sinnlichem und übersinnlichem Gegenstand, die Paradoxie des theologischen Symbols, wird zu einer Beziehung von Erscheinung und Wesen verzerrt. Die Einführung des derart entstellten Symbolbegriffs in die Ästhetik ging als romantische und lebenswidrige Verschwendung der Öde in der neueren Kunstkritik voran. Als symbolisches Gebilde soll das Schöne bruchlos ins Göttliche übergehen. Die schrankenlose Immanenz der sittlichen Welt in der des Schönen ist von der theosophischen Ästhetik der Romantiker entwickelt worden. Aber ihr Grund war längst gelegt. Deutlich genug geht die Tendenz der Klassik auf die Apotheose des Daseins im nicht nur sittlich vollendeten Individuum. Typisch romantisch ist erst die Einstellung dieses vollendeten Individuums in einen zwar unendlichen doch heilsgeschichtlichen, ja heiligen Verlauf.2 Ist aber erst einmal das ethische Subjekt ins Individuum gesunken, so kann kein Rigorismus — sei es auch der Kantische — es retten und seinen männlichen Kontur bewahren. Sein Herz verliert sich in der schönen Seele. Und der Aktions-, nein, nur der Bildungsradius des dergestalt vollendeten, des schönen Individuums beschreibt den Kreis des ›Symbolischen‹. Demgegenüber ist die barocke Apotheose dialektisch. Sie vollzieht sich im Umschlagen von Extremen. In dieser exzentrischen und dialektischen Bewegung spielt die gegensatzlose Innerlichkeit des Klassizismus schon darum keine Rolle, weil die aktualen Probleme des Barock als religionspolitische gar nicht so sehr das Individuum und seine Ethik als seine kirchliche Gemeinschaft betrafen. — Gleichzeitig mit dem profanen Symbolbegriff des Klassizismus bildet sein spekulatives Gegenstück, der des Allegorischen, sich heraus. Eine eigentliche Lehre von der Allegorie ist zwar damals nicht entstanden noch hatte es sie vordem gegeben. Den neuen Begriff des Allegorischen als spekulativ zu bezeichnen ist aber dadurch gerechtfertigt, daß er in der Tat als der finstere Fond abgestimmt war, gegen den die Welt des Symbols hell sich abheben sollte. Die Allegorie, so wenig wie viele andere Ausdrucksformen, ist durch ›Veralten‹ nicht schlechtweg um ihre Bedeutung gekommen. Vielmehr spielt hier wie oft ein Widerstreit zwischen der früheren und späteren mit, der um so eher im stillen sich auszutragen geneigt war, als er begrifflos, tief und erbittert war. So fremd stand um achtzehnhundert die symbolisierende Denkweise der originären allegorischen Ausdrucksform gegenüber, daß die sehr vereinzelten Versuche theoretischer Auseinandersetzung für die Ergründung der Allegorie wertlos — desto kennzeichnender für die Tiefe des Antagonismus — sind. Als eine negative Nachkonstruktion der Allegorie darf man die folgende versprengte Äußerung Goethes bezeichnen: »Es ist ein großer Unterschied, ob der Dichter zum Allgemeinen das Besondere sucht oder im Besondern das Allgemeine schaut. Aus jener Art entsteht Allegorie, wo das Besondere nur als Beispiel, als Exempel des Allgemeinen gilt; die letztere aber ist eigentlich die Natur der Poesie: sie spricht ein Besonderes aus, ohne ans Allgemeine zu denken oder darauf hinzuweisen. Wer nun dieses Besondere lebendig faßt, erhält zugleich das Allgemeine mit, ohne es gewahr zu werden, oder erst spät.«3 So hat, veranlaßt durch ein Schreiben Schillers, sich Goethe zur Allegorie gestellt. Er kann keinen bedenkenswerten Gegenstand in ihr gefunden haben. Ausführlicher eine etwas spätere gleichgesinnte Bemerkung von Schopenhauer. »Wenn nun der Zweck aller Kunst Mittheilung der aufgefaßten Idee ist ...; wenn ferner das Ausgehen vom Begriff in der Kunst verwerflich ist, so werden wir es nicht billigen können, wenn man ein Kunstwerk absichtlich und eingeständlich zum Ausdruck eines Begriffes bestimmt: dieses ist der Fall in der Allegorie ... Wenn also ein allegorisches Bild auch Kunstwerth hat, so ist dieser von dem, was es als Allegorie leistet, ganz gesondert und unabhängig: ein solches Kunstwerk dient zweien Zwecken zugleich, nämlich dem Ausdruck eines Begriffes und dem Ausdruck einer Idee: nur letzterer kann Kunstzweck seyn; der andere ist ein fremder Zweck, die spielende Ergötzlichkeit, ein Bild zugleich den Dienst einer Inschrift, als Hieroglyphe, leisten zu lassen ... Zwar kann ein allegorisches Bild auch gerade in dieser Eigenschaft lebhaften Eindruck auf das Gemüth hervorbringen: dasselbe würde dann aber, unter gleichen Umständen, auch eine Inschrift wirken. Z. B. wenn in dem Gemüth eines Menschen der Wunsch nach Ruhm dauernd und fest gewurzelt ist ... und dieser tritt nun vor den Genius des Ruhmes mit seinen Lorbeerkronen; so wird sein ganzes Gemüth dadurch angeregt und seine Kraft zur Thätigkeit aufgerufen: aber dasselbe würde auch geschehen, wenn er plötzlich das Wort ›Ruhm‹ groß und deutlich an der Wand erblickte.«4 Wie nahe mit der letzten Bemerkung das Wesen der Allegorie gestreift ist — der logizistische Grundzug der Darstellung, die in dem Unterschiede von »dem Ausdruck eines Begriffes und dem Ausdruck einer Idee« genau die moderne und unhaltbare Rede von Allegorie und Symbol aufnimmt — unbeschadet, daß Schopenhauer selbst den Symbolbegriff anders einstellt —, hindert diese Ausführungen, aus der Reihe der kurzen und bündigen Abfertigungen der allegorischen Ausdrucksform irgendwie herauszutreten. Solche Ausführungen sind bis in die jüngste Zeit maßgebend geblieben. Selbst große Künstler, ungemeine Theoretiker, wie Yeats,5 bleiben in der Annahme, Allegorie sei ein konventionelles Verhältnis zwischen einem bezeichnenden Bilde und seiner Bedeutung. Von den authentischen Dokumenten der neueren allegorischen Anschauungsweise, den literarischen und graphischen Emblemenwerken des Barock, pflegen die Autoren nur vage Kenntnis zu besitzen. Aus den späten und verbreiteteren Nachzüglern des achtzehnten Jahrhunderts spricht deren Geist so schwächlich, daß nur der Leser der ursprünglicheren Werke auf die ungebrochene Kraft der allegorischen Intention stößt. Vor jene aber stellte sich mit dem Verdikt das klassizistische Vorurteil. Es ist, mit einem Wort, die Denunzierung einer Ausdrucksform, wie die Allegorie sie darstellt, als einer bloßen Weise der Bezeichnung. Allegorie — das zu erweisen dienen die folgenden Blätter — ist nicht spielerische Bildertechnik, sondern Ausdruck, so wie Sprache Ausdruck ist, ja so wie Schrift. Hier eben lag das experimentum crucis. Gerade die Schrift erschien als konventionelles Zeichensystem vor allen andern. Schopenhauer ist der einzige nicht, der die Allegorie mit dem Hinweis, sie unterscheide sich nicht wesentlich von der Schrift, für abgetan hält. An diesem Einwurf hängt zuletzt das Verhältnis zu jedem großen Gegenstande der Barockphilologie. Deren philosophische Fundierung — sie mag mühevoll, sie mag weitläufig scheinen — ist unumgänglich. Und in ihr Zentrum drängt die Diskussion des Allegorischen; ihr Vorstoß ist in der »Deutschen Barockdichtung« von Herbert Cysarz unverkennbar. Doch sei es, der behauptete Primat der Klassik als der Entelechie barocker Dichtung vereitele, wie deren Wesenseinsicht überhaupt, so insbesondere die Ergründung der Allegorie, sei es, das beharrliche Vorurteil gegen sie rücke den Klassizismus als den eigenen Ahnherrn folgerecht in den Vordergrund — die neue Erkenntnis, daß Allegorik »das beherrschende Stilgesetz in Sonderheit des Hochbarock«6 sei, kommt durch den Versuch, ganz nebenher als Schlagwort ihre Formulierung einzubringen, um ihren Wert. »Nicht so sehr die Kunst des Symbols als die Technik der Allegorie«7 sei dem Barock im Gegensatz zur Klassik eigen. Der Zeichencharakter soll auch mit dieser neuen Wendung ihr zuerkannt werden. Es bleibt bei dem alten Vorurteil, dem Creuzer mit dem Terminus der »Zeichenallegorie«8 zu eigener sprachlicher Prägung verholfen hat.



  1. Cf. Walter Benjamin: Der Begriff der Kunstkritik in der deutschen Romantik. Bern 1920. (Neue Berner Abhandlungen zur Philosophie und ihrer Geschichte. 5.) S. 6 f. (Anm. 3) u. S. 80 f. [Schriften. 2, l.c. (S. 31 f.). S. 523 (Anm. 1) u. S. 496 ff.]
  2. Goethe: Sämtliche Werke. Jubiläums-Ausgabe l.c. [S. 7]. Bd 38: Schriften zur Literatur. 3. S. 261 (Maximen und Reflexionen).
  3. Schopenhauer: Sämmtliche Werke l.c. [S. 84]. Bd 1: Die Welt als Wille und Vorstellung. 1. 2. Abdr. Leipzig o. J. [1892]. S. 314 ff.
  4. Cf. William Butler Yeats: Erzählungen und Essays. Übertr. und eingel. von Friedrich Eckstein. Leipzig 1916. S. 114.
  5. Cysarz l.c. [S. 39]. S. 40.
  6. L.c. S. 296.
  7. Friedrich Creuzer: Symbolik und Mythologie der alten Völker, besonders der Griechen. 1. Theil. 2., völlig umgearb. Ausg. Leipzig, Darmstadt 1819. S. 118.