Giovanni Lorenzo Bernini

Bernini, Giovanni Lorenzo, berühmter Baumeister, Bildhauer und Maler, geb. 1599 zu Neapel, wo sein Vater, Pietro Bernini, als Bildhauer tätig war, gest. 1680 zu Rom, genoss bei Letzterem den ersten Unterricht in der Kunst und machte darin so reissende Fortschritte, dass er schon in seinem zehnten Jahre einen wohlgelungenen Engelskopf, in Marmor ausgeführt, zu Stande brachte, und in Rom, wohin sein Vater im Jahr 1608 übersiedelte, mit einigen Büsten, worunter die des Papstes, mehr aber noch mit seiner, im noch nicht zurückgelegten 18. Jahre gefertigten Gruppe des Apollo und der Daphne (in der Villa Borghese zu Rom), einem Werke von unübertrefflicher Vollendung der Ausführung1), durch die Frühreife seiner Meisterschaft allgemeines Aufsehen erregte. Diese reichen Gaben der Natur und die Beweglichkeit eines höchst erfindungsreichen Talentes, das sich mit gleicher Befähigung und beinahe noch größerem Erfolge auch der Baukunst widmete, wurden durch äußere glückliche Umstände, durch großartige Aufträge, durch die ununterbrochene Gunst der Päpste so gefördert und gehoben, dass Bernini, sowohl durch seine eigene resultatreiche und glanzvolle Tätigkeit in zwei Kunstzweigen während seines langen Lebens, als vermöge seiner Stellung an der Spitze aller großartigen Kunstunternehmungen des römischen Hofes auf die Kunst und die Künstler seiner Zeit bestimmend einwirken konnte, ja eine unbegrenzte Herrschaft über sie ausübte. Fast zahllose Architekturwerke entstanden durch ihn und über hundert Marmorgruppen und Statuen gingen aus seinem Atelier hervor. Er vergab alle öffentlichen Arbeiten und nach ihm bildete sich deshalb nicht nur eine fast unzählige Schaar von Bildhauern, sondern er hatte auch unter den Malern viele Schüler und Nachahmer, die um seine Gunst buhlten.

Diesen zwingenden Einfluss auf seine künstlerischen Zeitgenossen und Nachfolger verdankte Bernini zunächst seinem Genie und leichtbeweglichen Talente, sich der Strebungen der Zeit zu bemächtigen und sie in Marmor ausführen zu können. Dem rückhaltlosesten Naturalismus sich hingebend, ging er darauf aus, die gesteigerte Erregtheit der Affekte, den exstatischen, durch die Lebhaftigkeit der Geberden und Körperbewegungen versinnlichten Gefühlsausdruck in der Plastik darzustellen, und mit allen Mitteln einer eben so kühnen, als ausgebildeten Technik eine Naturwahrheit zu erreichen, welche jene Glut der Empfindung dem Beschauer unmittelbar nahe zu rücken geeignet ist. Da jedoch seine Begeisterung nicht der freie Erguss der schaffenden Künstlerseele war, sondern mehr als eine künstliche Erhitzung des Verstandes erscheint, so verraten seine Darstellungen durchweg eine gewisse reflektierende Absichtlichkeit, tragen ein mehr oder minder affektiertes Gepräge ; da er ferner nur den gröberen Sinn zu befriedigen bestrebt war, so trat bei ihm an die Stelle von Grazie und Schönheit ein gesuchter koketter Liebreiz und wo er empfindsam werden will, ist seine Sentimentalität die einer Buhldirne. Man kann sagen, dass er die Schattenseiten der Darstellungsweise des Correggio, die stimulierte Erhitzung des Gefühls, die gesuchte Grazie und die rundlichen fleischigen Körperformen bis zur Karikatur übertrieb. Dabei trieb ihn sein Streben nach Pathos und Bewegung zu einer malerischen Behandlungsweise, welche nicht selten zu einer Tölligen Auflösung der der Plastik eigentümlichen Darstellungsgesetze führte. Seine männlichen Charaktergestalten sind gewöhnlich von einem gemeinheroischen Ausdruck und haben eine prahlerische Muskulatur, die nicht das Ergebnis wahrer elastischer Kraft ist, sondern an aufgedunsene Bälge erinnert; die üppigen Fleischmassen seiner Weiber verhöhnen das Schönheitsgefühl und dem Fleisch selbst gab er ein weiches Fett, das allen wahren Gliederbau unsichtbar macht und durch seine glänzende Politur vollends widerlich wird; seine Gewänder, die an der Bewegung der affektvollen Motive Teil nehmen müssen, sind in malerischen Massen komponiert und haben einen ungemein manierierten Faltenwurf. Dagegen ist Bernini in der Behandlung der Stoffe, worin er alles leistet, was die Skulptur überhaupt zu leisten vermag, unübertrefflich und seine Bildnisse sind meistens ausgezeichnete Arbeiten.

In der Architektur erscheint Bernini als der unbestrittene Hauptrepräsentant des sogenannten Barockstils, jener Ausschweifung des architektonischen Geschmacks, der die antiken Säulenordnungen, Gebälke, Giebel u.s.w., mit fremden und abenteuerlichen Formen, geschwungenen und gebrochenen Linien vermischt und überladen, mit der größten Willkür auf dekorationsmäßige Weise verwendete. Obgleich dieser Stil einer Scheinarchitektur, in welcher, bei einer unverkennbaren Hohlheit des Gefühls, oft eine eigentümliche Großheit des Sinns zum Vorschein kommt, mit seiner sonstigen Kunstweise ganz im Einklang stand, so befleißigte er sich in seinen vielen Bauten doch meistens einer größeren Einfachheit und Mäßigung als seine Zeitgenossen und Nachfolger, ja er legte in manchen derselben recht deutliche Beweise seines ausgezeichneten Talentes an den Tag.

Unter den ersten Skulpturen, die Bernini in Rom öffentlich ausstellte, befanden sich: der heil. Laurentius auf dem Rost; die Gruppe des Äneas, der den Anchises trägt; David, im Begriff den Stein gegen den Riesen zu schleudern, wobei er in dem Kopf des Helden sich selbst porträtierte, und die erste seiner größeren Arbeiten, womit ihn sein Hauptgönner, Papst Urban VIII., der ihn auch in den Ritterstand erhob, beauftragte, war das kolossale gegen 90 fuss hohe bronzene Tabernakel über der Gruft des heil. Petrus in der Peterskirche zu Rom, ein imponierendes, aber affektiertes Dekorationswerk, zu dem das Material aus der Decke der Vorhalle des Pantheons genommen wurde und wofür Bernini vom Besteller 22,500 Scudi (circa 48,000 Gulden rhein.) und noch ein außerordentliches Donativ von 10,000 Scudi erhielt. Hierauf versah er die vier Kuppelpfeiler der Peterskirche mit Nischen, in welche Statuen zu stehen kamen, von denen indessen nur eine, der heil. Longinus, von seiner Hand herrührt. Im Jahr 1629, nach C. Maderno's Tod zum Baumeister der Peterskirche ernannt, begann er den Bau der Glockentürme zu beiden Seiten der Fassade, die indessen wegen schlechter Fundamentierung während des Baues wieder abgetragen werden mussten. Sein Hauptbauwerk besteht indessen in den (zwar erst 1667 angelegten) mächtigen Säulengängen, welche den Platz vor der Peterskirche einschließen und einen prächtigen und großartigen Eindruck gewähren. Andere Architekturen, welche man von ihm rühmt, sind: der Palast Barberini, an welchem man besonders das Erdgeschoss und die Treppe bewundert; der Palazzo Bracciano; die kleine Kirche S. Andrea2), für das Noviziat der Jesuiten errichtet, auf dem Quirinal zu Rom; die Scala Regia des vatikanischen Palastes und verschiedene kleinere Kirchen, Kapellen in Rom und dessen Umgehung. Ferner führte er die Grabmäler Urban VIII. und Alexander VII. in der Peterskirche; die Kathedra des h. Petrus mit den vier Kirchenlehrern im Chor von St. Peter, und den Hauptbrunnen auf der Piazza Navona aus. Zu seinen vorzüglichsten Skulpturarbeiten zählt man, aussei den angeführten und einer großen Anzahl trefflicher Büsten: den Raub der Proserpina,3) (in der Villa Ludovisi); die Reiterstatue Konstantin des Großen (in der Vorhalle der Peterskirche); die Verzückung der heil. Therese4), eine Gruppe, in welcher die Heilige in hysterischer Ohnmacht, mit gebrochenem Blick, auf einer Wolkenmasse liegend, ihre Glieder streckt, während ein lüsterner Engel mit dem Pfeil (hier dem Sinnbild der göttlichen Liebe) auf sie zielt (in der Kirche S. Maria della Vittoria); die selige Lodovica Albertoni, die zu seinen schönsten Arbeiten gehört (in S. Francesco a Ripa); die Statue des Kardinals Belarino (in der Kirche al Gesù); die heil. Bibiana (in der Kirche dieser Heiligen); den Triton (auf der Piazza Barberini); den heil. Sebastian (in S. Sebastiano); die Wahrheit; Habakuk, vom Engel an, den Haaren erfasst; Daniel in de:r Löwengrube; den heil. Hieronymus und Maria Magdalena (für die Kapelle Chigi im Dome zu Siena). Von den Engelsfiguren auf der Balustrade der Engelsbrücke, die ganz zärtlich mit dem Marterwerkzeugen kokettieren, ist nur der Engel mit der Kreuzinschrift von ihm, die anderen rühren von seinen Schülern her. Eine Reiterstatue von ihm, Ludwig XIV. vorstellend, wie er den Berg des Ruhmes hinanreitet, soll später von einem französischen Bildhauer in einen Curtius umgewandelt worden sein. — Außer diesen zahlreichen Arbeiten im Gebiete der Architektur und Skulptur soll Bernini noch gegen 200 Gemälde, in Darstellungen aus der biblischen und Profangeschichte, aus der Mythe und in Bildnissen bestehend, gefertigt haben, die sich in verschiedenen Kabinetten, besonders in Italien, befinden.

Bernini, schon frühe mit dem Kreuz des Christusordens dekoriert, genoß in seinen späteren Jahren fürstliches Ansehen. Er war der Günstling aller Päpste, die während seines Lebens regierten, wurde von ihnen, sowie von der sich seiner Zeit zu Rom aufhaltenden Königin Christine von Schweden, zum öfteren sammt ihrem Hofstaate in seiner Wohnung besucht und andere europäische Fürsten rissen sich um die Ehre, Werke von ihm zu besitzen, denn er galt ohne Frage für den größten damals lebenden Künstler. Ludwig XIV. konnte nur mit großen Mühen erlangen, dass er sich l nach Paris zu ihm verfügte, um sein Porträt in Marmor auszuführen und Pläne für das Louvre zu entwerfen (die aber später denen des Perrault weichen mussten); Philipp IV., König von Spanien, bestellte bei ihm ein kolossales Kruzifix für die königl. Grabkapelle und König Karl I. von England ließ von ihm sein Porträt nach einem Bilde von Van Dyck und das Bildnis seiner Gemahlin in Marmor ausführen. Bernini verstand auch diese Gunstbezeugungen und Bestellungen zu benützen: er hinterließ nach seinem Tode ein Vermögen von mehr denn 400,000 Scudi.

 

Literatur. Dom. Bernini, La Vita del Bernini, Rorna 1713. — Fil. Baldinucci, La Vita del Bernini. — Bern. de Dominici, Vite dei Pittori, Scultori ed Architetti Neapolitani. Napoli 1840. — Cicognara, Storia della scultura italiana. — Quatremère de Quincy, Dictionnaire histotique d'Architecture. — Museo fiorentino, woselbst auch sein Porträt im Stich. — Kugler, Handbuch der Kunstgeschichte. — J. Burckhard, der Cicerone.

 

1) Abgebildet in den Denkmälern der Kunst. Atlas zu Kuglers Handb. der Kunstgesch. Taf. 92, Fig. 1.  

2) Ebendaselbst. Taf. 91, Fig. 2.

3) Ebendaselbst. Taf. 92, Fig. 2.  

4) Ebendaselbst. Taf. 92, Fig. 3.


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