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Moral der Opfertiere

215.

Moral der Opfertiere. — „Sich begeistert hingeben“, „sich selber zum Opfer bringen“ — dies sind die Stichworte eurer Moral, und ich glaube es gerne, dass ihr, wie ihr sagt, „es damit ehrlich meint“: nur kenne ich euch besser, als ihr euch kennt, wenn eure „Ehrlichkeit“ mit einer solchen Moral Arm in Arm zu gehen vermag. Ihr seht von der Höhe derselben herab auf jene andere nüchterne Moral, welche Selbstbeherrschung, Strenge, Gehorsam fordert, ihr nennt sie wohl gar egoistisch, und gewiss! — ihr seid ehrlich gegen euch, wenn sie euch missfällt, — sie muss euch missfallen! Denn indem ihr euch begeistert hingebt und aus euch ein Opfer macht, genießt ihr jenen Rausch des Gedankens, nunmehr eins zu sein mit dem Mächtigen, sei es ein Gott oder ein Mensch, dem ihr euch weiht: ihr schwelgt in dem Gefühle seiner Macht, die eben wieder durch ein Opfer bezeugt ist. In Wahrheit scheint ihr euch nur zu opfern, ihr wandelt euch vielmehr in Gedanken zu Göttern um und genießt euch als solche. Von diesem Genusse aus gerechnet, — wie schwach und arm dünkt euch jene „egoistische“ Moral des Gehorsams, der Pflicht, der Vernünftigkeit: sie missfällt euch, weil hier wirklich geopfert und hingegeben werden muss, ohne dass der Opferer sich in einen Gott verwandelt wähnt, wie ihr wähnt. Kurz, ihr wollt den Rausch und das Übermaß, und jene von euch verachtete Moral hebt den Finger auf gegen Rausch und Übermaß, — ich glaube euch wohl, dass sie euch Missbehagen macht!