Zum Hauptinhalt springen

Erste Eindrücke

2.

[Erste Eindrücke]

Die Stadt scheint schon am Bahnhof sich herzugeben. Kioske, Bogenlampen, Häuserblöcke kristallisieren zu niewiederkehrenden Figuren. Doch das zerstiebt, sowie ich nach Namen suche. Ich muß mich trollen... Zu Anfang gibt es nichts als Schnee zu sehen, den schmutzigen, der schon Quartier bezogen hat, und den reinen, der langsam nachrückt. Gleich mit der Ankunft setzt das Kinderstadium ein. Gehen will auf dem dicken Glatteis dieser Straßen neu erlernt sein. Die Häuserwildnis ist so undurchdringlich, daß nur das Blendende im Blick erfaßt wird. Ein Transparent mit Inschrift »Kefir« leuchtet in den Abend. Ich merke mir's, als wäre die Twerskaja, die alte Straße nach Twer, auf der ich jetzt bin, noch wirklich Chaussee und weit und breit nichts zu sehen als Ebene. Ehe ich Moskaus wirkliche Landschaft entdeckt, seinen wirklichen Fluß gesehen, seine wirklichen Höhen gefunden habe, ist jeder Straßendamm schon ein umstrittener Fluß, jede Hausnummer ein trigonometrisches Signal und jeder seiner Riesenplätze mir ein See geworden. Nur eben, daß ein jeder Schritt und Tritt hier auf benanntem Grunde getan wird. Und wo nun einer dieser Namen fällt, da baut sich Phantasie um diesen Laut im Handumdrehen ein ganzes Viertel auf. Das wird der späteren Wirklichkeit noch lange trotzen und spröd wie gläsernes Gemäuer darin steckenbleiben. Die Stadt hat in der ersten Zeit noch hundert Grenzbarrieren. Doch eines Tages sind das Tor, die Kirche, die Grenze einer Gegend waren, unversehens Mitte. Nun wird die Stadt dem Neuling Labyrinth. Straßen, die er weit voneinander angesiedelt hat, reißt eine Ecke ihm zusammen, wie die Faust eines Kutschers ein Zweigespann. Wie vielen topographischen Attrappen er verfällt, ließe in seinem ganzen passionierenden Verlauf sich einzig und allein im Film entrollen: die Großstadt setzt sich gegen ihn zur Wehr, maskiert sich, flüchtet, intrigiert, verlockt, bis zur Erschöpfung ihre Kreise zu durchirren. (Das kann zunächst sehr praktisch angegriffen werden; für Fremde sollten während der Saison in großen Städten »Orientierungsfilme« laufen.) Am Ende aber siegen Karten und Pläne: abends im Bett jongliert die Phantasie mit wirklichen Gebäuden, Parks und Straßen.