Beispiele des persönlichen Nimbus


Die großen Führer der Massen wie Buddha, Jesus, Mohammed, Jeanne d'Arc, Napoleon, besaßen diese Art des Einflusses in hohem Maße und haben sich besonders durch ihn Geltung verschafft. Götter, Helden und Glaubenslehren setzen sie durch, ohne Erörterung zu dulden; sobald sie darauf eingehen, untergraben sie sich selbst.

Die großen Persönlichkeiten, die ich anführte, besaßen ihre bezaubernde Macht schon, ehe sie berühmt waren, und wären ohne sie nicht berühmt geworden. Es ist z. B. klar, dass Napoleon auf dem Gipfel seines Ruhms allein durch seine Macht einen ungeheuren Einfluß hattet, aber er besaß ihn zum Teil schon in der Anfangszeit seiner Laufbahn, als er noch keine Macht hatte und völlig unbekannt war. Als er, noch ein unbekannter General, durch Fürsprache zum Befehlshaber des italienischen Heeres ernannt worden war, trat er unter rauhe Generale, die dem jungen, vom Direktorium ihnen aufgezwungenen Eindringling einen abschreckenden Empfang bereiten wollten. Aber von der ersten Minute, vom ersten Zusammentreffen an, ohne Redensarten, Gesten, Drohungen, beim ersten Anblick des künftigen großen Mannes waren sie zahm. Taine gibt uns nach zeitgenössischen Erinnerungen einen interessanten Bericht über diese Zusammenkunft:

"Die Divisionsgeneräle, unter anderen Augereau, ein tapferer, grober Haudegen, der stolz war auf seine große Figur und seine Tapferkeit, kommen, voreingenommen gegen den kleinen Emporkömmling, den man ihnen aus Paris sendet, ins Hauptlager. Durch die Beschreibung, die man ihnen von ihm gegeben hat, ist Augereau in feindseliger Stimmung, von vornherein widerspenstig: ein Günstling von Barras, ein General des Vendémiaire, ein Straßengeneral, den man für einen eingesponnenen Brummbären hält, weil er immer nur nachdenkt, er soll ein kleines Gesicht haben und steht in dem Ruf, ein Mathematiker und Träumer zu sein. Sie werden empfangen, und Bonaparte läßt auf sich warten. Endlich erscheint er, den Degen umgeschnallt, bedeckt sich, setzt seine Pläne auseinander, gibt ihnen seine Befehle und verabschiedet sie. Augereau ist stumm geblieben, erst draußen faßt er sich und findet seine gewöhnlichen Flüche wieder, er und Massena sind sich darüber einig, dieser kleine Teufelskerl von General hat ihm Furcht eingeflößt; er kann sich den Einfluß nicht erklären, von dem er sich durch den ersten Blick überwältigt fühlte."

Als Napoleon ein großer Mann geworden war, wuchs sein Einfluß mit seinem Ruhm und glich dem Einfluß, den eine Gottheit auf ihre Anbeter hat. General Vandamme, ein revolutionärer Haudegen, noch brutaler und energischer als Augereau, sagte eines Tages 1815, als sie zusammen die Tuilerientreppe hinaufstiegen, zu Marschall d'Ornano:

"Mein Lieber, dieser Teufelskerl übt auf mich einen Zauber aus, den ich nicht begreife. Das geht so weit, dass ich, der weder Gott noch Teufel fürchtet, in seiner Nähe fast wie ein Kind zu zittern beginne, und er könnte mich dazu bringen, durch ein Nadelöhr ins Feuer zu gehen."

Den gleichen Zauber übte Napoleon auf alle aus, die sich ihm näherten.*)

Davoust sagte, als er von Marets und seiner Ergebenheit sprach: "Wenn der Kaiser uns beiden sagte: Die Interessen meiner Politik erfordern die Zerstörung von Paris, ohne dass es jemand erfährt und die Stadt verläßt, so würde Maret, dessen bin ich sicher, das Geheimnis wahren; er würde sich aber nicht enthalten können, es so weit zu verletzen, dass er seine Familie veranlaßte, die Stadt zu verlassen. Ich aber würde aus Furcht, etwas zu verraten, mein Weib und meine Kinder darin lassen."

An diese erstaunliche Macht der Bezauberung muß man denken, will man die wunderbare Rückkehr von der Insel Elba begreifen, die schnelle Eroberung Frankreichs durch einen alleinstehenden Mann, der gegen alle organisierten Kräfte eines großen Landes zu kämpfen hatte, von dem man annehmen mußte, dass es seiner Tyrannei müde war. Er brauchte die ausgesandten Generale, die geschworen hatten, ihn gefangenzunehmen, nur anzublicken. Alle unterwarfen sich ihm ohne Widerstand.

"Napoleon landet fast allein und als Flüchtling der kleinen Insel Elba, die sein Königreich war, in Frankreich", schreibt General Wolseley, "und bringt es zuwege, in wenigen Wochen ohne Blutvergießen die gesamte Machtorganisation Frankreichs unter seinem legitimen König umzustoßen; hat die persönliche Macht eines Menschen sich je bewunderungswürdiger bekundet? Wie erstaunlich ist aber die Macht, die er von Anfang bis Ende dieses Feldzuges, seines letzten, auch über die Verbündeten ausübte, indem er sie zwang, seine Entschlüsse anzunnehmen; und es fehlte nicht viel, so hätte er sie zerschmettert!"

Sein Nimbus überlebte ihn und wuchs weiter. Er machte seinen unbekannten Neffen zum Kaiser. Angesichts der heutigen Erneuerung seiner Legende sieht man, wie mächtig dieser große Schatten noch ist. Mißhandelt die Menschen, schlachtet sie zu Millionen ab, führt einen feindlichen Einbruch nach dem andern herbei, alles ist euch gestattet, wenn ihr genügend Nimbus besitzt und das Talent, ihn aufrechtzuerhalten.

Gewiß habe ich hier ein ganz besonderes Ausnahmebeispiel herangezogen, aber es war geeignet, die Entwicklung der großen Religionen, Lehren und Reiche verständlich zu machen. Ohne die Macht, welche der Nimbus auf die Masse ausübt, würde diese Entwicklung unbegreiflich sein.

 

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*) Der Kaiser kannte seine Wirkung wohl und wußte sie noch zu vermehren, indem er die großen Persönlichkeiten seiner Umgebung, zu denen mehrere jener berühmten Konventsmitglieder gehörten, die Europa so sehr gefürchtet hatte, etwas schlechter als Stallknechte behandelte. Die zeitgenössischen Berichte sind voll von derartigen bezeichnenden Tatsachen. Eines Tages fuhr Napoleon im versammelten Staatsrat Beugnot, den er wie einen ungeschickten Diener behandelte, grob an: "Nun, Sie großer Dummkopf, haben Sie Ihren Kopf wiedergefunden?" Darauf verbeugte sich Beugnot, der wie ein Regimentstambour gewachsen war, sehr tief, und der kleine Mann hebt die Hand und nimmt den großen beim Ohr, wie Beugnot schreibt, "ein Zeichen berauschender Gunst, eine vertrauliche Gebärde des leutselig redenden Herrn." Solche Beispiele geben einen klaren Begriff von dem Grad der Plattheit, den Nimbus hervorrufen kann; sie machen die ungeheure Verachtung des großen Despoten für die Menschen seiner Umgebung begreiflich.


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